Schinken und Käse – dafür ist Parma weltberühmt. Doch ein Besuch lohnt sich auch für Liebhaber von Oper, Musik, Theater und Kunst. Erst recht 2021, wenn das verlängerte Kulturhauptstadtjahr für Aufmerksamkeit sorgt.
Liegt es an der starken touristischen Konkurrenz im Land? An mangelnder Aufklärung? Das an der alten Handelsstraße Via Emilia gelegene Parma jedenfalls wird von vielen schlicht übersehen. Zu Unrecht! Schon Ludwig Tieck, der Schöpfer des „Gestiefelten Katers", schwärmte vor rund 200 Jahren: „Niemand sage, er habe Italien gesehen, wenn er nicht dich besucht hat, Parma!" Die im Herzen der Po-Ebene gelegene 200.000-Einwohner-Stadt mit dem Insider-Status löst auch bei heutigen Besuchern regelmäßig Begeisterung aus, vor allem weil sie aus kultureller Sicht sehr viel zu bieten hat. Das Großprojekt „Italienische Kulturhauptstadt 2020" sollte das deutlich machen. Doch gerade als das ambitionierte Programm Anfang vergangenen Jahres Fahrt aufnahm, bremste es die Corona-Pandemie inklusive Lockdown radikal wieder aus. Aufgeben war jedoch keine Option. Vielmehr machten die Organisatoren das Beste daraus. So konnte Parma „seinem" Komponisten Giuseppe Verdi, ganz in der Nähe geboren und auf Parmas Opernbühnen berühmt geworden, mit der Reihe „Verdi im Park" immerhin einige Veranstaltungen widmen. Die Fornasetti-Ausstellung im Palazzo della Pilotta wurde eröffnet; die beeindruckende XXL-Installation „Hospitale", die Rückschau in die Geschichte und zugleich Vorschau war, konnte weitgehend stattfinden; die restaurierte Kirche San Francesco del Prato konnte wiedereröffnet werden. Doch das Wichtigste: Man verlängerte kurzerhand den Status als Kulturhauptstadt um ein Jahr. Und damit auch das Programm – inklusive Fornasetti-Ausstellung und „Hospitale"-Installation. Wobei auch hier vieles ins Virtuelle verlagert wurde: soziale und kulturelle Teilhabe, Veranstaltungen und Ausstellungen. Möglich machen das die Webseite www.parma2020.it sowie die Gratis-App von Parma 2020+21. Dank modernster 360-Grad-Technologie (und mit der neu eingeführten und auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus nutzbare Parma Card) können sich Interessierte in vielen Kultureinrichtungen umsehen. „Die virtuellen und mitunter von Guides begleiteten Touren der wunderbaren Ausstellungen", so der für Kultur zuständige Stadtrat Michele Guerra, „sind der richtige Treffpunkt zwischen dem technologischen Potenzial, wo wir in die Räume und die ausgestellten Werke eintauchen können, und dem Streben, alles wieder live zu sehen, was uns in diesen Monaten so schmerzlich entrissen wurde."
Auch virtuelle Touren möglich
Nicht nur Guerra wird sich darüber freuen, dass eben jene Live-Momente näher zu rücken scheinen. Seit Anfang Februar dürfen dank Lockerungen der Corona-Maßnahmen in der Emilia-Romagna nämlich wieder Museen sowie Bars und Restaurants bis 18 Uhr öffnen. Zeit wird’s!
Apropos Zeit: „Das Programmmotto ,La cultura batte il tempo‘ (,Kultur schlägt Zeit‘) ist geblieben und weiterhin zentral bei unseren Events, die das Thema Tradition auch digital und technologisch aufbereiten", erklärt Cristiano Casa, Tourismusvorsitzender der Stadt Parma und Präsident der touristischen Destination Emilia. „Über 500 Veranstaltungen rund um Parma, Piacenza und Reggio Emilia sowie ein abwechslungsreiches Programm machen deutlich, dass wir bereit sind, der Welt zu zeigen, wer wir sind und was wir zu bieten haben." Und das ist eine ganze Menge: Die spannende Stadtgeschichte – von den Römern über das Mittelalter und die Habsburger bis zum Parma des 21. Jahrhunderts – spiegelt sich auch in einer ganzen Reihe von Sehenswürdigkeiten wider. Zu den Highlights des 184 vor Christus von den Römern errichteten Parma gehör(t)en einst wie heute der unter der Papstfamilie Farnese entstandene weitläufige Parco Ducale mit dem gleichnamigen Palazzo sowie der auf der anderen Flussseite gelegene Palazzo della Pilotta. Aktuell beherbergt das von außen mehr einer Festung als einem Palast gleichende Ensemble mehrere Museen, darunter das Archäologische Nationalmuseum und die Nationalgalerie Parma. Diese zeigt mit Gemälden von El Greco über Hans Holbein d. J. und Tintoretto bis Leonardo da Vinci unerwartet viele Großmeister.
„Über 500 Veranstaltungen"
Ebenfalls zum Pilotta-Gebäudekomplex gehören das Teatro Farnese – das aus Holz errichtete Barocktheater gilt als architektonisches Kleinod – sowie die Biblioteca Palatina, die die kunstsinnige Habsburgerin Marie-Louise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Überhaupt begegnet man ständig Hinterlassenschaften der Tochter des österreichischen Kaisers. Auf das Konto der späteren Gattin Napoleons geht auch der Bau des sehenswerten Teatro Regio di Parma. Bei einer Backstage-Besichtigung der Künstlergarderoben, Werkstätten und Schneiderei können Opernfreunde überraschend viele verborgene Geheimnisse des neoklassizistischen Theaters, in dem Verdi so große Triumphe feierte, erkunden. Und Verdi wird im Veranstaltungsprogramm eine noch größere Rolle spielen als ursprünglich gedacht. „Dadurch", so Cristiano Casa, „dass Parma auch 2021 noch italienische Kulturhauptstadt ist, können wir das 120-jährige Jubiläum des Todestages von Giuseppe Verdi mit einer Reihe weiterer Events in die Feierlichkeiten einbeziehen."
Steingewordene Zeugen der mittelalterlichen Blüte Parmas sind neben dem Benediktinerkloster San Giovanni Evangelista der Dom (in beiden Gebäuden sind eindrückliche Deckenfresken von Correggio zu bewundern) und das benachbarte Baptisterium San Giovanni. Im Inneren sorgt das sehenswerte Kuppelgemälde für Ahs und Ohs, von außen macht das achteckige, in zartrosa und cremeweißem Verona-Marmor errichtete Gebäude aber auch viel her. Tipp: bei Sonnenuntergang die Terrasse des „TCafès" nebenan aufsuchen, allein der berauschenden Lichtstimmung wegen. Die wird durch einen „Violet Spritz" vermutlich noch gesteigert. Der Drink aus Prosecco, Soda und Veilchen-Likör ist typisch für die „Stadt der Veilchen". Und auch das hat wieder mit Marie-Louise zu tun, die sämtliche Räume ihres Schlosses und viele ihrer Roben mit den stark duftenden Blumen geschmückt haben soll. Dufte ist auch, dass zahlreiche nostalgische Läden in der Stadt heutigen Besuchern ein Sortiment anbieten, das von Veilchenseifen über entsprechendes Parfüm, Honig und Tee bis zu kandierten Veilchen reicht.
Auszeichnung: „Kreative Stadt für die Gastronomie"
Überhaupt die Kulinarik! Als einzige Stadt des Landes erhielt Parma 2015 von der Unesco die Auszeichnung „Kreative Stadt für die Gastronomie". Kein Wunder: In und um Parma befinden sich Hunderte Parmesan-Käsereien und Prosciutto-Produzenten. Zudem ist in der Region mit Barilla die weltgrößte und älteste Pasta-Fabrik zu Hause, mit einer Spaghetti-Produktion von mehr als 270 Kilometern pro Stunde. 2020 sorgte die rekordartige Nudellust der Deutschen sogar noch für Steigerungen und den Einsatz von mittlerweile viermal wöchentlich startenden „Pasta-Zügen" nach Ulm. Zusammen mit lokalen Weinen, den berühmten Steinpilzen von Borgotaro und Albareto sowie dem schwarzen Trüffel von Fragno ergeben sich jedenfalls schier unendliche Gerichte-Kombinationen. Geplante Diäten sollte man also unbedingt auf die Zeit nach dem Parma-Besuch verschieben. Oder seinen Hunger vornehmlich mit Wissen stillen. Gleich mehrere Museen in der Region haben sich dem Genuss verschrieben. Die Auswahl reicht vom Museum des Parmigiano Reggiano in Soragna über das Nudel- und Tomatenmuseum im Taro-Park in Collecchio bis zum Museum des Parmaschinkens in Langhirano. Eine ganz besondere Bühne bekommt das Thema regionale Ess-Kultur dann Ende des Jahres, wie Cristiano Casa jüngst angekündigt hat: „Wir planen eine große Veranstaltung, auf der die einzelnen Produkthersteller und Herstellungsverfahren der kulinarischen Besonderheiten der drei Provinzen präsentiert werden." Geschmackvoller könnte das Kulturhauptstadtjahr kaum enden.