Dieses Jahr kommt zur digitalen Buchmesse Saar ein neues Konzept zum Tragen, bei dem Besucher die Messe virtuell mittels Avataren erleben und sich austauschen können. Entwickelt wurde der erweiterte Messeauftritt von der Firma Di Lenardi. Die IT-Experten erläutern ihre Intention.
Die Corona-Pandemie zwingt auch die Verlagsbranche dazu, sich anders und vor allem digitaler aufzustellen. Wie aber kann man eine Messe mit zahlreichen Besuchern und verschiedenen Ausstellern, Verlagen, Autoren, Künstlern und Händlern virtuell umsetzen? Karsten Wolter, Messeveranstalter der Buchmesse Saar, hat für die technischen Fragen bereits im August des vergangenen Jahres den IT-Fachmann Thomas Di Lenardi, Geschäftsführer der Di Lenardi GmbH, und seinen Mediengestalter Jan Schäfer damit beauftragt, eine Lösung auszuarbeiten.
Herausgekommen ist beispielsweise ein Messestand in 3D. Wo im letzten Jahr noch Bild und Text standen, können Besucher jetzt bis zu 18 unterschiedliche Bücher oder Illustrationen eines Ausstellers oder einer Ausstellerin begutachten. Jeweils sechs Bücher gibt es an einem Stand zu sehen, der Betrachter kann sich sogar – wie in einer echten Welt – drehen und den nächsten Stand etwa auf der gegenüberliegenden Raumseite betrachten. Ziel des 3D-Messestandes war, einen virtuellen Erlebnis- und Verkaufsraum zu gestalten. Je nachdem, welche Pakete die Austeller buchen, variiert die Anzahl der Bücher, die im Regal platziert werden können, aber auch die Möglichkeiten zusätzlicher Features variiert. So können Nutzer eines Premiumpaketes beispielsweise auch Live-Beratung am Messestand anbieten. Bis zu 30 Personen gleichzeitig – verteilt über drei Gespräche mit je zehn Besuchern – kann man über die eigenen Angebote informieren, dabei mit speziellen Funktionen bestimmte Bücher oder Kunstwerke verdeutlichen oder sich vom Kunden zeigen lassen, was genau für ihn von Interesse ist. Wer eine kurze Pause einlegen möchte, kann den eigenen Stand – ähnlich wie ein Geschäft im realen Leben – mit einer Abwesenheitsnotiz versehen.
Daneben gibt es die Möglichkeit, auf die Social-Media-Kanäle von Anbietern zu klicken, Videos anzuschauen, deren Onlineshop zu besuchen und Bestellungen aufzugeben oder sich das Leseprogramm herunterzuladen und Lesungen zuzuhören. Für Besucher ist all das kostenlos möglich. Jeden Montag finden Informationsabende statt, an denen die virtuelle Welt genauer vorgestellt wird und Funktionen vorab getestet werden können. Dieses Angebot würde mit je zehn bis 20 Anwesenden gut angenommen, berichtet Thomas Di Lenardi. Er glaubt, dass insbesondere die neuen virtuellen Messe-Stände, die eine Eins-zu-eins-Beratung ermöglichen, dazu beigetragen haben, dass bislang genauso viele Premiumpakete wie Basispakete verkauft worden sind. Auch für größere Verlage wie etwa den Kinder- und Jugendbuchverlag Oettinger oder die Verlagsgemeinschaft Klett Cotta sei das interessant. Geplant ist, die Infoabende bis vor Beginn der Buchmesse beizubehalten.
Gather Town ist zweidimensional
„Wir haben versucht, die bestmögliche aktuelle Technik zu finden und es gleichzeitig jedem zugänglich zu machen, um so nah wie möglich an die Realität zu kommen", erklärt Di Lenardi seinen Ansatz. Er hat dafür seine Kompetenzen aus den Bereichen IT, Webdesign und Technik eingebracht, während der Mediengestalter Jan Schäfer sich unter anderem um Gestaltung und Lichtsetzung gekümmert hat. „Als Gestalter gibt es eine Art hippokratischen Eid: Ich darf nichts machen, was die Menschen verwirrt. Deshalb stand die Benutzerfreundlichkeit bei der Entwicklung an erster Stelle. Bei der Gestaltung habe ich auf ein modernes, ansprechendes Aussehen geachtet, das gleichzeitig hochwertig wirken soll", so Schäfer. Dieser 3D-Messestand dient gleichzeitig auch zur Vertriebsanalyse, weil nachvollziehbar wird, wie lange Besucher wo verweilen und was sie sich besonders lange und häufig anschauen, ohne dabei ihre genaue Identität preiszugeben.
Neben dem neuen Messestand gibt es auch den sogenannten Gather Town, einen Bereich, in dem sich Besucher austauschen und miteinander interagieren können. Gather Town ist ein Tool, mit dessen Hilfe sich eine zweidimensionale Welt gestalten lässt. Di Lenardi und Schäfer haben mithilfe dieses Tools eine virtuelle Begegnungs-Welt speziell für die Buchmesse Saar erstellt. Besucher können einen Avatar gestalten und sich mit diesem bewegen. Außerdem können mehrere Personen gleichzeitig per Videokonferenzen zusammenkommen. Dabei ist es möglich – wie im echten Leben auch – zu Gesprächen dazuzustoßen oder wieder auszusteigen, in dem man sich mit dem Avatar bewegt. So gibt es beispielsweise einen Show Room, einen Ruhebereich, eine Lounge zum Relaxen und eine für Blogger sowie eine Media Galerie und die sogenannte Messe-Bar. Wer einen Bekannten auf der Buchmesse im Gather Town sucht, kann dies über eine spezielle Suchfunktion tun und stößt so direkt zu dessen Avatar. In dieser Gather-Town-Umgebung sind auch exklusive Veranstaltungen und Treffen mit Autorinnen und Autoren geplant.
Gather Town ist für jeden schon vor dem offiziellen Beginn der Buchmesse Saar ab Juni nutzbar – kostenlos, ohne Anmeldeprozedur, am besten via PC oder Laptop.
Um zu den virtuellen Messeständen und dem Gather Town zu gelangen, können Besucher den Messeplan nutzen. Für diese Übersicht haben die Entwickler eine Art Stadt mit virtuellen Häusern und Siedlungen gebaut, die thematisch eingeteilt sind. So gibt es beispielsweise Häuser für Autoren, Verbände, Verlage oder Illustratoren. Auch die Partner der Buchmesse sind dort vertreten. Seit August wurde geplant, im Dezember 2020 standen bereits die ersten technischen Prototypen und seit Januar wird intensiv an den echten Ständen, der Seite und den neuen Features, die nach und nach dazukommen, gebaut. „Wir wollen mit unserer Arbeit die Realität nicht ersetzen. Wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, haben Menschen sicher Lust, auch wieder vor Ort zu sein. Wer aber von weiter weg kommt, für den ist das auch perspektivisch eine gute Möglichkeit. Wir wollen Wählbarkeit schaffen und die Realität erweitern", erklärt Jan Schäfer.