Die Eisbären Berlin küren sich in einer denkwürdigen Saison zum Jubiläumsmeister. Der achte Titel der Vereinsgeschichte war für alle etwas Besonderes, denn als Sieger der 100. Eishockey-Meisterschaft in Deutschland werden die Spieler in den Geschichtsbüchern stehen.
Für die ganz großen Emotionen passte der Rahmen einfach nicht. Als Kapitän Frank Hördler im Konfettiregen die Trophäe in die Höhe reckte und aus den Lautsprechern „We are the Champions" dröhnte, kam von den Rängen nur eisiges Schweigen zurück. Auch einen Tag später konnten sich Hördler und Co. nicht wie gewohnt von den Fans hochleben lassen, die Saisonabschlussfeier fand aus Hygienegründen digital statt. Die Behörden hatten Konzepte für eine öffentliche Meisterparty nicht genehmigt. Und so sahen die Anhänger zu Hause vor den Bildschirmen, wie die Berliner Mannschaft in der leeren Mercedes Benz Arena ein Plakat hochhielt, auf dem stand: „Und nächstes Jahr wieder gemeinsam!" Auch wenn die ganz große Sause ausfiel, war dieser achte Meistertitel für die Eisbären „besonders". Dieses Wort benutzte fast jeder, der nach seinen Emotionen befragt wurde. Spieler, Trainer, Manager, Stadionsprecher, Fanbeauftragter. Und das hat viele Gründe.
Da ist zum einen der Fakt, dass Berlin durch das 2:1 im Play-off-Finale gegen die Grizzlys Wolfsburg seiner acht Jahre langen Wartezeit für die Rückkehr auf den Thron ein Ende gesetzt hat. Und nicht nur das: Durch Titel Nummer acht überflügelten die Berliner die Adler Mannheim und sind wieder alleiniger Rekordchampion in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Und es gab sogar eine historische Note: Die Eisbären haben die 100. Eishockey-Meisterschaft in Deutschland für sich entschieden und sind als Jubiläumssieger nicht mehr aus den Geschichtsbüchern zu streichen. „Das ist schon sehr besonders", sagte Hördler über all die vielen schönen Statistiken. „Dieser Titel wird mir auch besonders in Erinnerung bleiben."
Der wohl wichtigste Grund für die emotionale Bedeutung hat aber nichts mit Statistiken zu tun, sondern mit den Umständen. Die Corona-Saison, die erst spät und nur dank des immensen Gehaltsverzichts der Profis begonnen hat, ging an die Nerven und Substanz. Nahezu im Drei-Tage-Rhythmus mussten die Clubs aufs Eis, von den Rängen kam keinerlei Unterstützung. Zwischendurch kam immer mal wieder die Sinnfrage auf, doch alle Beteiligten zogen die Saison professionell durch. Anders als in der nordamerikanischen Profiliga NHL gab es zwar nicht so viele Corona-Fälle und Quarantäne-Maßnahmen. Trotzdem blieb die Saison bis zum Ende ein Ritt auf der Rasierklinge.
„Wolfsburg war so unangenehm"
Dementsprechend sind die Eisbären die verdienten Sieger dieser denkwürdigen Saison, denn keine andere Mannschaft hat sich besser auf die Gegebenheiten eingestellt und Rückschläge besser verarbeitet. In allen drei K.o.-Runden haben sie jeweils das Auftaktspiel verloren, was in einer Best-of-three-Serie eine besonders schwere Hypothek ist. „Wir haben es wieder geschafft, obwohl wir immer wieder mit dem Rücken zur Wand standen", sagte Topscorer Marcel Noebels fast ungläubig über die Comeback-Qualitäten des Teams. Torhüter Mathias Niederberger, der sowohl in der Hauptrunde als auch in den Play-offs ein sicherer Rückhalt war, wirkte dagegen immer entspannt. „Ich hatte nie das Gefühl", sagte der vor der Saison von der Düsseldorfer EG zurückgekehrte Goalie, „dass es eng für uns werden würde. Weil ich den Charakter der Mannschaft kenne."
In der Tat schien der Zusammenhalt auf dem Eis und in der Kabine der Schlüssel für den Erfolg gewesen zu sein. Andere Kader wie die der Adler Mannheim oder von Red Bull München waren individuell besser besetzt, aber keine Mannschaft trat so geschlossen auf wie die Eisbären. Außer Wolfsburg in den Play-offs. Der große Außenseiter machte dem Sieger der Nord-Gruppe das Leben im Finale sehr schwer. „Wolfsburg war so unangenehm. Man kann ihnen nur ein Kompliment aussprechen", sagte Leo Pföderl. Der Stürmer machte mit seinem 23. Saisontor zum 2:1 im dritten und letzten Final-Duell den Titel perfekt. „Was am Ende den Ausschlag gegeben hat, ist mir ehrlich gesagt scheißegal", sagte der Bayer offen und ehrlich, „Hauptsache jetzt wird gefeiert." Nicht wie früher, sondern „auf jeden Fall mit Abstand", wie Niederberger betonte. Doch so ganz konnten die Helden das wohl nicht einhalten, jedenfalls sprach der EHC-Torhüter zwölf Stunden später von einer „unbeschreiblichen Nacht".
Die Parade-Sturmreihe mit Pföderl, Jungstar Lukas Reichel und Noebels war neben der Geschlossenheit und der starken Torhüterleistung der Hauptgrund für den Triumph. Das Trio, das sich auf dem Eis fast blind verstand, zeichnete sich für 125 (!) Scorerpunkte verantwortlich – das ist ein sensationeller Wert. Für Vorlagen-König Noebels (45 Assists) gab es auch noch eine persönliche Auszeichnung: Wie im Vorjahr wurde der 29-Jährige zum „Spieler der Saison" gekürt. „Ich freue mich riesig über die Auszeichnung", sagte Noebels. „Gute Spieler zeichnet aus, dass die Leistungen konstant gut sind."
Und so richteten die Berliner in der Stunde des Erfolges den Blick auch schon nach vorne. Die neue Rolle des Gejagten gefällt den Eisbären. „Wenn wir eine Meisterschaft gewonnen haben, dann kam immer auch eine zweite hinterher", erinnerte Geschäftsführer Peter John Lee. „Wir wollen auch nächstes Jahr wieder ins Finale kommen." An der Motivation der Spieler soll es nicht scheitern. „Das macht natürlich Lust auf mehr", meinte Niederberger. „Wer so ein Gefühl jemals erlebt hat, möchte es unbedingt wiederholen." Das Gros wird dazu die Chance bekommen, auch Meistertrainer Serge Aubin. „Wir haben eine gute Mannschaft, der Kern wird zusammenbleiben", verriet Sportdirektor Stéphane Richer.
Weitere Personalentscheidungen sollen folgen. Nicht wenige Experten glauben, dass die Eisbären erneut eine Ära prägen können. Auch André Rankel sieht seinen Ex-Club im Wettstreit mit Mannheim, München und Ingolstadt gewappnet. Der langjährige Kapitän, der alle vorherigen sieben Meistertitel miterlebt hatte, durchlebte im diesjährigen Finale ein Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite sei es „der schlimmste Tag nach meinem Karriereende" gewesen, gab Rankel zu. Nur zu gerne hätte er selbst auf dem Eis gestanden und die Trophäe nach oben gereckt. Auf der anderen Seite habe die Schlusssirene bei ihm nur schöne Emotionen hervorgerufen: „Da war keine Enttäuschung mehr, auch keine Traurigkeit. Ich habe mich für die Jungs einfach nur gefreut."
Den Fans vor den Bildschirmen ging es ähnlich. Beim Auftakt der Saison 2021/22 im kommenden September wolle man „hoffentlich eine richtige Feier mit unseren Fans machen", kündigte Lee an. Die Betonung lag auf dem Wort „hoffentlich". Noch ist völlig unklar, ob und wie viele Zuschauer dann von den Behörden erlaubt werden. Alle hoffen jedoch, dass im kommenden Herbst etwas Normalität einkehrt und die Geisterspiele der Vergangenheit angehören. Denn so besonders dieser achte Meistertitel auch ist, die Eisbären wollen „so eine Saison nicht noch mal erleben", wie Hallensprecher Uwe Schumann sagte. Er gab bei Heimspielen am Mikrofon immer alles, auch wenn seine Stimme im leeren Rund verhallte. „Es war nicht immer einfach", sagte Schumann, „aber es musste ja gemacht werden."