Viel spricht dafür, dass der Sieger der als Nachfolger des EHP-Pokals in der Saison 2020/2021 neu gegründeten European League aus Deutschland kommen wird. Denn für das am 22. und 23. Mai in Mannheim ausgetragene Turnier kommen drei der vier Teilnehmer aus der HBL.
Schon vor der durch den Präsidenten der European Handball Federation (EHF) Michael Wiederer am 27. April in Wien vorgenommenen Auslosung der Halbfinal-Begegnungen der für die Saison 2020/2021 als Nachfolger des EHF-Pokals neu geschaffenen EHF European League stand fest, dass zumindest ein Finalteilnehmer bei dem am 22. und 23. Mai in der Mannheimer SAP-Arena stattfindenden Sport-Events aus deutschen Landen kommen wird. Schließlich stammen mit den Rhein-Neckar-Löwen, dem SC Magdeburg und den Füchsen Berlin gleich drei der vier für das Final Four qualifizierten Mannschaften aus der Liqui Moly Handball Bundesliga (HBL). Der vierte Teilnehmer ist das polnische Top-Team Orlen Wisla Plock, das zum ersten Mal in einem europäischen Halbfinale steht und dem trotz bemerkenswerter Vorstellungen im Achtelfinale gegen Sporting Lissabon und im Viertelfinale gegen die starken Dänen von GOG Svendborg Gudme eigentlich nur Außenseiter-Chancen eingeräumt werden.
Wisla Plock ist der große Außenseiter
Dem Gastgeber, den Rhein-Neckar-Löwen, die Mitte April ganz kurzfristig den Zuschlag von der EHF zur Ausrichtung des Turniers erhalten hatten, wurde zwangsläufig die Favoritenrolle zugeschrieben. Löwen-Geschäftsführerin Jennifer Kettemann bezeichnete den Zuschlag für den Club, der derzeit auf dem dritten Platz der HBL rangiert, hocherfreut als „große Ehre", ließ in ihrem Statement aber auch schon unmissverständliche Titel-Ambitionen mitklingen: „Natürlich wünschen wir uns den größtmöglichen sportlichen Erfolg. Auf der anderen Seite bedeutet es für den Club per se sehr viel, das Vertrauen des Verbandes in Form einer Entscheidung für die Rhein-Neckar-Löwen als Gastgeber ausgesprochen zu bekommen."
Ein Triumph der Nordbadener wäre keine große Überraschung, aber auch dem SC Magdeburg, dem derzeitigen Tabellenvierten der HBL, oder auch den Füchsen Berlin, die zuletzt etwas enttäuschend auf dem siebten Platz der HBL rangierten, wäre der Gewinn der kleinen Schwester der großen EHF Champions League zuzutrauen, in der die beiden deutschen Paradevereine SG Flensburg-Handewitt und Titelverteidiger THW Kiel um die europäische Handball-Krone kämpfen. Schließlich hatten deutsche Mannschaften schon den EHF-Pokal, den Vorgänger der EHF European League, gleichsam nach Belieben dominiert und dabei nicht weniger als 24 Titel erringen können. Wobei Frisch Auf Göppingen und der THW Kiel sich jeweils viermal in die Siegerliste eintragen konnten, dem SC Magdeburg war das dreimal gelungen. Zumindest in der „kleinen Champions League" fand sich daher die HBL in ihrem Selbstverständnis als stärkste Handball-Liga der Welt bestätigt, auch wenn im offiziellen EHF-Ranking die französische Ligue Nationale de Handball der HBL den Spitzenplatz abgelaufen hat.
Während sich die Rhein-Neckar-Löwen, der SC Magdeburg und die Füchse Berlin ganz souverän als Sieger der erstmals mit sechs statt wie bislang im EHF-Pokal mit vier Teams bestückten Gruppenphase (also vier Gruppen A-D à sechs Mannschaften) durchsetzen konnten, war der vierte HBL-Teilnehmer der EHF European League 2020/2021, nämlich die MT Melsungen, schon in der ersten Qualifikationsrunde des mit 48 Mannschaften aufgenommenen Wettbewerbs gescheitert. Wobei die Hessen den Startplatz nur am grünen Tisch erhalten hatten, weil der TSV Hannover-Burgdorf freiwillig auf die Teilnahme wegen finanzieller, coronabedingter Engpässe verzichtet hatte. Eine sprudelnde Geldquelle für die teilnehmenden Clubs dürfte die EHF European League ohnehin kaum sein. Da gibt es deutliche Parallelen zur Uefa Europa League im Fußball, die finanziell auch deutlich im Schatten der Uefa Champions League steht. Konkrete Zahlen über Prämienausschüttungen für die EHF European League wurden bislang nicht veröffentlicht, wohl aber für die EHF Champions League, deren Gewinner 2020/2021 die Rekordsumme von einer Million Euro einheimsen wird. Was im Vergleich zu den europäischen Fußball-Wettbewerben natürlich immer noch eine geradezu lächerliche Zuwendung ist.
Neuer Wettbewerb nicht sehr lukrativ
Bei den Halbfinals kommt es am 22. Mai zum deutsch-deutschen Duell zwischen den Rhein-Neckar-Löwen und den Füchsen Berlin sowie dem Aufeinandertreffen zwischen dem SC Magdeburg und Orlen Wisla Plock. Für die Rhein-Neckar-Löwen ist es die letzte Möglichkeit, eine weithin unbefriedigende Saison doch noch zu retten und dem auf eigenen Wunsch den Verein zum Ende der Spielzeit verlassenden Trainer Martin Schwalb noch ein schönes Abschiedspräsent zu bescheren.
Den Nordbadenern ist es 2020/2021 wieder nicht gelungen, den Abstand zu den beiden norddeutschen Top-Clubs zu verringern. Das lässt sich natürlich auch mit der ungewöhnlich hohen Zahl verletzter Stammspieler erklären, was ein Mitmischen im nationalen Titelkampf ausgeschlossen hatte. Der schwedische Weltklasse-Torwart Mikael Appelgren fehlt bereits seit Saisonbeginn, der serbische Abwehrchef Ilija Abutovic fällt wahrscheinlich wegen einer Fingerverletztung bis Saisonende aus. Und ob der am Meniskus Anfang April operierte Kapitän und Linksaußen der deutschen Nationalmannschaft Uwe Gensheimer rechtzeitig zum Final Four fit werden kann, steht derzeit noch in den Sternen.
Das direkte Bundesliga-Duell mit den Füchsen Berlin hatten die Rhein-Neckar-Löwen in der Hauptstadt in der dortigen Max-Schmeling-Halle am 21. Februar klar mit 29:23 für sich entschieden. Beim Löwen-Heimspiel am 6. Mai in der Mannheimer SAP Arena behielten die Berliner überraschenderweise mit 27:24 die Oberhand – und konnten damit die kleine Generalprobe für das EHF-Event für sich entscheiden. Dennoch haben die Löwen die ihnen zugesprochene Favoritenrolle gern angenommen. Trainer Martin Schwalb: „Wir stehen unter den letzten vier Mannschaften, noch dazu findet das Final Four in unserer Halle statt. Da gibt es keine zwei Meinungen, wir wollen den Europapokal gewinnen und benötigen dazu noch zwei Siege." Ins gleiche Horn stieß Andy Schmid, der Schweizer Spielmacher und das kreative Herz der Löwen: „Das ist der Wettbewerb, in dem wir einen Titel gewinnen können. Und wenn man bei den Rhein-Neckar-Löwen spielt, muss man mit diesem Druck auch umgehen."
Magdeburger Kontinuität
Ähnlich wie der Gegner Füchse Berlin mussten die Löwen im Viertelfinale die Hypothek einer Auswärtsniederlage mit einem deutlichen Heimsieg ausbügeln. Die Berliner zeigten in Person von Geschäftsführer Bob Hanning deutlich Respekt vor der bevorstehenden Halbfinal-Aufgabe: „Es ist die schwerste aller Möglichkeiten, gegen den Gastgeber im Halbfinale zu spielen. Wenn man so ein Turnier gewinnen will, muss man aber auch für zwei Spiele bereit sein." Für die Füchse war der beeindruckende Auftritt im Viertelfinal-Rückspiel gegen das französische Top-Team Montpellier HB nach zuvor vier Niederlagen in fünf HBL-Spielen so etwas wie ein Befreiungsschlag. Um eine echte Siegchance gegen die Löwen zu haben, müsste allerdings wohl der dänische Rechtsaußen Hans Lindberg wieder einen ähnlich tollen Sahnetag wie gegen die Franzosen erwischen. Und Kapitän und Nationalspieler Paul Drux seine alte Top-Form nach Überwindung eines Außenmeniskusschadens komplett wiedergefunden haben.
Beim SC Magdeburg, der bislang eine überraschend positive Rolle in der laufenden HBL-Saison spielt und locker mit zwei Siegen das Viertelfinale gegen den schwedischen Vertreter IFK Kristianstad überstanden hatte, war man rundum zufrieden mit der Halbfinal-Auslosung. „Wenn man in einem europäischen Wettbewerb spielt", so Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt, „möchte man auch einen europäischen Gegner haben." Die Löwen und die Füchse kenne man ohnehin in- und auswendig aus der Bundesliga. Aber Plock dürfe man keinesfalls unterschätzen, weil sie auf dem Weg ins Final Four starke Gegner aus dem Weg geräumt hätten. „Insofern treffen im Final Four vier Teams aufeinander, die alle den Pokal gewinnen können."
Magdeburgs Erfolgskonzept dürfte in der Eingespieltheit der Mannschaft aufgrund einer großen Kontinuität im Kader rund um den norwegischen Kapitän und Rückraum-Strategen Christian O’Sullivan begründet sein. In der kommenden Spielzeit werden von den aktuell 16 Aktiven 13 Profis weiterhin das grün-rote Trikot tragen. Höchste Zeit, auch mal wieder etwas Greifbares mit nach Hause nach Sachsen-Anhalt mitzubringen. O’Sullivan: „Ich habe mein Ziel, mit dem SCM Titel zu gewinnen, noch nicht erreicht." Um das zu ändern, muss in Mannheim zunächst einmal das Team von Orlen Wisla Plock, aktuell Zweitplatzierter in der polnischen Ekstraklasa-Liga, aus dem Weg geräumt werden.
Wer es am 23. Mai letztlich ins Finale schaffen wird oder wer sich am gleichen Tag mit dem Spiel um Platz drei begnügen muss, ist reine Spekulation. Viel spricht für ein Endspiel zwischen den Löwen und Magdeburg. In der HBL hatten die Nordbadener am 11. November 2020 in Magdeburg mit 33:31 knapp die Oberhand behaupten können. Sollten die Berliner und die Magdeburger sich im Endspiel gegenüberstehen, spricht viel für den SCM, weil dieser beide Partien gegen die Füchse in der laufenden HBL-Saison für sich entscheiden konnte.