Ein Museum mit über 3.500 Musikinstrumenten kombiniert mit einem Forschungsinstitut. Das einzigartige Profil des Staatlichen Instituts für Musikforschung (SIM) ist ausgerechnet durch ein Gutachten zur Neuordnung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gefährdet.
Das Haus ist ein Hingucker. Das Berliner Institut für Musikforschung (SIM), zu dem auch das Musikinstrumenten-Museum gehört, residiert in einem von Hans Scharoun geplanten Gebäude. Der berühmte Architekt entwarf nicht nur den wegweisenden Konzertsaal nebenan, die Philharmonie, sondern auch das Gesamtkonzept für den kulturellen Knotenpunk am Potsdamer Platz: Das Musikinstrumenten-Museum vervollständigt hier das Ensemble von Konzertsälen, Staatsbibliothek und Kunstsammlungen.
Dem lichtdurchfluteten Neubau sieht man nicht an, was für eine Odyssee diese Instrumentensammlung hinter sich hat. Bereits 1888 wurde der Grundstock für eine „Sammlung alter Musikinstrumente" gelegt, die zur Königlichen Akademie für Tonkunst gehörte und in der Fasanenstraße untergebracht war. Dafür wurde die 240 Instrumente umfassende Sammlung des Leipziger Musikverlegers Paul de Wit angekauft. Weitere Exponate stammten aus dem Kunstgewerbemuseum.
1917 schloss sich ein Institut für musikwissenschaftliche Forschung an. In den 1930ern wurden das Instrumentenmuseum der Staatlichen Musikhochschule und das Archiv deutscher Volkslieder eingegliedert.
Bemalte Cembali neben italienischen Geigen
Heute besteht das SIM aus drei Abteilungen, von denen das Musikinstrumenten-Museum die bekannteste ist. Dabei musste der Aufbau dieser Sammlung nach Kriegsende neu beginnen. Ob zerstört, gestohlen, in strengen Wintern verheizt – nach 1945 waren nur noch 700 von Tausenden Instrumenten übrig. Sie wurden zunächst im Schloss Charlottenburg untergebracht; später in einem Gebäude der Hochschule der Künste in der Bundesallee. 1984 fand das Museum seine Heimat im Neubau am Kulturforum. Aktuell besitzt die Einrichtung rund 3.500 Instrumente. Ein Viertel davon zeigt die ständige Ausstellung, eine wahre Schatzkammer. Bunt bemalte flämische Cembali finden sich neben unbezahlbaren italienischen Geigen, den Blasinstrumenten der Preußenarmee oder einer imposanten Orgel der Londoner Orgelbaufirma Gray. Die ältesten Exponate stammen aus dem 16. Jahrhundert, als die ersten fahrenden Musiker in die Städte zogen. Ihre Krummhörner und Schreipfeifen sind heutigen Augen und Ohren ebenso fremd wie manch anderes Exponat: Viola d’amore oder Einfachpedalharfe, das Arpeggione, ein Zwitter aus Cello und Gitarre, oder der Fagott-Vorläufer namens Dulzian.
Aus neuerer Zeit stammen rare Musikautomaten und elektronische Instrumente. So gehören Theremin und Trautonium zu den bereits vergessenen strombetriebenen Klangerzeugern des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Publikumsrenner ist die riesige weiß-goldene Wurlitzer, die größte Kinoorgel Europas. Ihre ausgefallenen Klangspielereien werden regelmäßig live vorgeführt.
Neben dem Museum dient die zweite SIM-Abteilung der Forschung. Hier wird zum Beispiel seit Jahrzehnten der Briefwechsel der Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg publiziert.
Die dritte Abteilung veranstaltet Konzerte und pädagogische Aktivitäten. Das Institut besitzt eine bestens ausgestattete Fachbibliothek und ein Tonstudio. Außerdem gibt es einen Vortragssaal mit 200 Plätzen.
Längst ist das Musikinstrumenten-Museum in der digitalisierten Gegenwart angekommen: Es gibt einen Guide fürs Smartphone und ein Hörquiz, das man online machen kann. Der museumseigene Youtube-Kanal präsentiert Instrumente und Klangbeispiele.
Mit seinen drei Abteilungen gilt das SIM als Deutschlands größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung für Musik. Doch trotz seiner Bedeutung ist es in Gefahr. Diese droht von einem Gutachten auszugehen, das der Wissenschaftsrat im Sommer 2020 vorlegte. Dieses Beratungsgremium für Bund und Länder widmete sich darin einer Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Die Preußenstiftung vereint die Staatlichen Museen mit ihren 15 Sammlungen, die Staatsbibliothek, das Geheime Staatsarchiv, das Ibero-Amerikanische Institut und eben auch das SIM. Mit ihren rund 2.000 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von derzeit etwa 336 Millionen Euro gilt sie als „behäbiger Tanker". Dass die Stiftung zu groß, zu bürokratisch, zu schwerfällig ist, wird kaum bestritten. Doch ausgerechnet beim SIM, der kleinsten der fünf Einrichtungen der Stiftung, schlug das Gutachten die einschneidendsten Änderungen vor.
80 Musikologen gegen ein Gutachten
Denn die Berater legen dem Staatlichen Institut für Musikforschung eine Trennung von Instrumenten-Museum und Forschungseinrichtungen nahe. Die prestigeträchtige Sammlung soll erhalten bleiben, die Forschung jedoch auf die eigenen Bestände reduziert werden. Zu befürchten ist, dass die anderen Teile des SIM, die nicht unmittelbar dem Museum zuarbeiten, mittelfristig abgewickelt werden. Das Gutachten ignoriert die Einzigartigkeit einer Kombination wertvoller Sammlungen, Archive und Bestände. Und ebenso das ausgefeilte Zusammenspiel von Forschung, Bewahrung und Vermittlung. Nach der Veröffentlichung war der Aufruhr groß. Im September 2020 unterschrieben rund 80 angesehene Musikologen aus aller Welt einen offenen Brief an Kulturstaatsministerin Grütters, die Auftraggeberin des Gutachtens.
Thomas Ertelt, der das SIM noch bis zu seinem Ruhestand Ende Juli leitet, stellt inzwischen eine Resonanz auf den geballten Protest fest. Immerhin läuft inzwischen das Bewerbungsverfahren für seinen Nachfolger – der laut Ausschreibung neue Perspektiven für das SIM entwickeln und eine intensive Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek, den Staatlichen Museen und dem Humboldt-Forum etablieren soll.
Eine solche Partnerschaft dürfte sich als ergiebig erweisen. Am Humboldt-Forum dockt auch das Ethnologische Museum an. Es hütet die musikethnologische Abteilung, darunter das Phonogrammarchiv mit 150.000 Tondokumenten traditioneller Musik aus aller Welt.