Das Festival Perspectives findet als zweiteilige Ausgabe im Mai und im Juli statt. Die Künstlerische Leiterin Sylvie Hamard stellte den ersten Teil des Programms, das vom 20. bis zum 29. Mai digital zu erleben ist, vor.
Wir wollen stattfinden!", sagte Sylvie Hamard mit fester Stimme. Die Künstlerische Leiterin des Festivals betonte diese Absicht noch einmal kurz vor Ende der ersten Online-Pressekonferenz in der Geschichte von Perspectives. Mehr als 40 Teilnehmer in Deutschland und Frankreich verfolgten diese Pressekonferenz, die tadellos und professionell ablief. Das ist weder eine Kleinigkeit noch eine Selbstverständlichkeit, denn zwei Dienste wurden zur Videokonferenz aufgerufen, dazu Untertitelungen und Übersetzung per Voiceover. Außerdem Videoeinspielungen von Künstlern und Grußworte. „Sie haben den Schlüssel gefunden", sagte Dr. h.c. Doris Pack als Vorstand der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit in ihrem Grußwort, während ein Lächeln über ihr Gesicht huschte, und meinte Sylvie Hamard und Martha Kaiser, stellvertretende Festivalleiterin und Projektkoordination. Beide präsentierten abwechselnd das Programm, Pressereferentin Marion Touze moderierte.
Welcher Schlüssel das sein könnte, war mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Wie soll das deutsch- und französischsprachige Festival zeitgenössischer Bühnenkunst stattfinden? Wird das Festival zum Streaming-Festival?
Ministerpräsident Tobias Hans erwartet, dass das Festival Perspectives „Hoffnung und Zuversicht" verbreitet und ist sicher, dass „Kreativität und Spielfreude nicht verloren gehen." In der Corona-Zeit kann Künstlern nicht nur Spiel- sondern auch Lebensfreude verloren gehen. Jean-Claude Cunat, Vizepräsident des Département Moselle und Kulturbeauftragter, sagte in seiner Grußbotschaft: „Ich glaube, Kultur ist eine echte Therapie." Findet diese Therapie vorm Monitor statt?
Die Künstlerische Leiterin Sylvie Hamard verdeutlichte, weshalb es Sinn macht, ein Festival, das nicht physisch besucht werden kann, dennoch durchzuführen statt abzusagen. Um „neue künstlerische Formate" gehe es. „Sehr wichtig", betonte Hamard, „Künstler erfinden digitale Formate!" Ich dachte an Professor Peter Weibel, Vorstand des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe, Zukunftsforscher und eine Koryphäe in Sachen Digitale Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Er fordert schon lange: „Neue Kunstwerke für Online-Paradiese." Abgefilmte Bühnenkunst und gestreamte Live-Aufführungen machen uns nicht mehr froh. Die darstellenden Künste ticken anders. Genau weil die „neuen künstlerischen Formate" im letzten Jahr nicht vorhanden waren – gar nicht vorhanden sein konnten – sagte Hamard das deutsch-französische Festival zeitgenössischer Bühnenkunst damals ab. Inzwischen haben sich einige Kreative auf den Weg gemacht. Wie sehen diese „neuen künstlerischen Formate" aus?
Spielformate mit Überraschungen
Das Kollektiv punktlive besteht aus acht Kreativen, darunter Cosmea Spelleken, die für Buch und Regie der Produktion „werther.live" verantwortlich ist. Die Produktion wurde für den digitalen Raum erdacht, inszeniert und umgesetzt. Das digitale Theaterstück lehnt sich an den Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers" Johann Wolfgang von Goethes an. Bei punktlive verlieben sich Lotte und Werther auf eBay-Kleinanzeigen. Nach eigener Angabe des Kollektivs haben bereits 6.000 Zuschauer das digitale Theaterstück gesehen. Jeder Akteur agiert in seiner Stadt vom heimischen Laptop aus. Sylvie Hamard findet, die Produktion „werther.live" sei „sehr gelungen". Sie habe sogar Lust bekommen, Goethe wieder zu lesen.
Das siebenköpfige Medientheaterkollektiv machina eX forscht seit 2010 an der Schnittstelle von Theater und Computerspiel. „Lockdown" ist als Live-Veranstaltung auf Telegram konzipiert. In einer Wohngemeinschaft ist die Mitbewohnerin Tess verschwunden. Über den Nachrichten-Dienst Telegram entsteht eine digitale Schnitzeljagd, denn das Publikum muss die vermisste Tess suchen. „Lockdown" verspreche einen kooperativen Wohnzimmer-Krimi. Dass bei der Lösung des Rätsels Kommunikation und Interaktion zwischen den Akteuren entstehen, betonte Martha Kaiser zu diesem Format, habe sie dafür eingenommen. Das Theaterkollektiv vorschlag:hammer entwickelte in der Schweizer Kleinstadt Birsfelden einen Krimi für den Messanger-Dienst Telegram. Rita Senf heißt die Ermittlerin in „Twin Speaks", frei nach David Lynchs gleichnamiger Kult-Fernsehserie. Mittels vorproduzierten Videosequenzen und Live-Gesprächen wurde die Bühnen-Inszenierung „Twin Speaks", die wegen des Lockdowns nicht fürs Theater entstehen konnte, in eine dreiteilige Krimiserie umgewandelt.
Der Theatermacher und Performer Oliver Zahn beschäftigt sich im Performance-Essay „Lob des Vergessens – Teil 2" mit dem Erinnern und Vergessen. Die Live-Veranstaltung wird via Zoom zu verfolgen sein. Den Desktop macht Oliver Zahn dabei zu seiner Bühne. Sein Rechercheprojekt fragt: „Woher komme ich? Wer bin ich? Welche Verantwortung trage ich gegenüber der Vergangenheit?" Der Dokumentarfilm „Der Schwarm –
Die Compagnie XY im Höhenflug" begleitet die Akrobaten der Compagnie XY bei Probenarbeiten – eine Welturaufführung beim Festival Perspectives. Die Erstausstrahlung auf Arte ist für den 4. Juli um 22.45 Uhr angekündigt. Als zweite Weltpremiere steht die Dokumentation des Zirkuskünstlers Kolja Huneck, die die Kreation seines Stücks „CM_30" beschreibt und Einblicke hinter die Kulissen gibt, auf dem Programm.
Als weitere Besonderheit ist zu nennen, dass zu jeder Veranstaltung im Anschluss ein Publikumsgespräch ermöglicht wird. Das gedruckte Programmheft muss keiner suchen – es gibt keins.
Bei der Online-Ausgabe wird auf die Website und Social Media gesetzt. Die Karten kosten einheitlich fünf Euro, der Vorverkauf hat begonnen. Wer denkt, online stehen unbegrenzt Karten zur Verfügung, irrt. Das Kartenkontingent ist beschränkt, weil die Spielformate auch nicht unbegrenzte Teilnahme zulassen. Für „Lockdown" gilt: 30 Teilnehmer können auf Schnitzeljagd gehen. Das größte Kartenkontingent wird für „werther.live" bereitgehalten.
„Wir wollen stattfinden!", sagte Sylvie Hamard mit fester Stimme und erinnert schon an Teil zwei des Festival Perspectives: „Vom 29. Juli bis 1. August sehen wir uns in Parks und Gärten, um die Bühnenkunst zu feiern."