Sven Marquardt hat mir vor langer Zeit einmal ermöglicht, das Berghain auch von innen zu „genießen". Jetzt ist er Hauptdarsteller in einem Film, der einen einzigartigen Blick auf die Bohème Ostberlins vor und nach dem Mauerfall ermöglicht. Ganz am Anfang spricht der Tätowierte und reichlich Gepiercte, der zu DDR-Zeiten als Punk die Obrigkeiten nervte, über Nähe und Distanz.
Kurios: Sowohl damals als auch heute bleiben in der S-Bahn, wenn er Platz genommen hat, die Sitze neben ihm immer frei, wie von Zauberhand. Dann folgen faszinierende Fotos, die Marquardt im Ostberlin der 80er aufgenommen hat, alles in Schwarz-Weiß. Neben tristen, grauen Hinterhöfen an der Kastanienallee machte er Aufnahmen von Dominique Hollenstein, seiner Muse, der er „Dome" nannte, und von Robert Paris.
In den Ruinen dieses Künstlerviertels war zu dieser Zeit eine kreative Szene unterwegs, die heute fast vergessen ist. Im Film wird zum Beispiel eine schräge Modeperformance im Stadtbad Oderberger Straße, damals eine Ruine, zum Leben erweckt. Heute ist in diesem Bau ein Luxushotel. Jene wilden, subversiven Bilder einer Szene, die es in der DDR auch gab, kommen erst jetzt zaghaft ans Tageslicht, und machen die graue Republik mit einem Schlag menschlicher.
Marquardt hatte nach langer Zeit seine Arbeit als Fotograf aufgenommen und tourte mit seiner Fotoausstellung um die ganze Welt. Für den Film lässt er sich bei Shootings mit „Dome" beobachten; diese Szenen sind selbst für einen Dokumentarfilm hoch spannend. Anstatt die Protagonisten, wie es in viel zu vielen Dokumentarfilmen zum Überdruss praktiziert wird, vom geblümten Sofa aus plaudern zu lassen, folgt die Kamera hier aktionsgeladenen Szenen der Fotoshootings und Vorbereitungen.
Marquardt und „Dome" haben den Übergang vom Kommunismus in den Kapitalismus auf ihre Art gut bewältigt. Gegen Ende wird Hollenstein dabei gezeigt, wie sie in ihrer feenhaft eingerichteten Wohnung Schmuck anfertigt, den sie auf Flohmärkten in Bayern verkauft.