Jens Lehmann verliert nach rassistischer Äußerung in einem Messenger-Dienst seinen Posten im Aufsichtsrat von Hertha BSC.
Keine 24 Stunden nach der Beleidigung erklärte das Opfer, die Entschuldigung anzunehmen – dennoch hatte der Täter bereits gewaltigen Schaden davongetragen. Vergangene Woche machte der Ex-Fußballprofi Dennis Aogo, an diesem Abend Experte für das Champions-League-Spiel zwischen Manchester City und Paris Saint-Germain beim TV-Sender Sky, nach der Übertragung via Instagram eine rassistische Beleidigung publik. Der Absender: Jens Lehmann, der Aogo eine Whatsapp-Nachricht geschickt hatte, die offenbar für jemand anderen bestimmt war. Darin verwendete der WM-Torwart von 2006 in Zusammenhang mit dem Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter – anscheinend als „Scherz" gemeint – den Begriff „Quotenschwarzer". Aogo veröffentlichte daraufhin ein Bildschirmfoto der Nachricht auf seinem Instagram-Account mit dem Kommentar: „Dein Ernst?". Der Post schlug gewaltige Wellen, sodass einige noch ahnungslose Fußballinteressierte bereits am nächsten Vormittag die Schlagzeile geliefert bekamen: „Hertha-Investor wirft Lehmann raus".
Der Begriff war „Quotenschwarzer"
Lars Windhorst, Vorsitzender der global operierenden Tennor AG, die den Berliner Bundesligisten bis Ende Juni mit insgesamt 374 Millionen Euro ausgestattet haben wird, zog also umgehend Konsequenzen aus der rassistischen Aussage – und setzte dem von ihm in den Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH & Co KGaA berufenen Lehmann den Stuhl vor die Tür. Für die Blau-Weißen, die sich mitten in der Vorbereitung auf das nächste Spiel im Kampf um den Klassenerhalt befanden, hatte dies unliebsame Störgeräusche zur Folge. Die Verantwortlichen für das Sportliche wollten (und konnten) zu dem Thema dann aber auch gar nicht besonders Stellung beziehen: Zunächst wurde unisono nicht nur das schnelle, konsequente Handeln bei der Entlassung des 51-Jährigen begrüßt, sondern in diesem Zusammenhang auch auf die Werte verwiesen, für die der Verein steht. Pal Dardai unterstrich dazu, dass Lehmann kein enges Verhältnis zur Mannschaft besessen habe und die Meldung daher für seine Spieler außer der gewissen medialen Unruhe nicht von größerer Bedeutung sei.
Jens Lehmann war erst im Mai 2020 von Lars Windhorst in den Aufsichtsrat des Fußballbundesligisten aus der Hauptstadt berufen worden. Der frühere Fußballprofi besetzte damit den vakanten Posten, den Jürgen Klinsmann nach seinem unrühmlichen Abgang von Hertha BSC drei Monate zuvor hinterlassen hatte. Die Tennor AG und Windhorst besitzen durch ihre Investition eine vertraglich geregelte Anzahl an Posten in dem Gremium – Klinsmann war im November 2019 der erste Vertreter dort gewesen, der für den Investor eine gewisse Strahlkraft aus seiner sportlichen Vita besitzen, gleichzeitig aber eine durchaus eigene und kritische Expertise einbringen sollte. Bei einer finanziellen Einlage in solchen Dimensionen sicherlich keine abwegige Idee – dennoch geriet die Zusammenarbeit mit „Klinsi" aus dem Ruder, nachdem er, zum Trainer umfunktioniert, im sportlichen Bereich die Kastanien aus dem Feuer holen sollte. Er überforderte Verein und Verantwortliche letztlich mit seinem Willen nach schnellen Veränderungen, bis er mit seinem eigenmächtigen Abgang alle bei Hertha BSC brüskierte. Die vage Hoffnung Klinsmanns auf den Erhalt des Aufsichtsratsmandats aber durchkreuzte Windhorst, der die Zusammenarbeit seinerzeit ebenfalls zügig für beendet erklärte. Im Nachhall wurde dann auch noch eine interne Liste Klinsmanns publik, in der nicht nur die Spieler schonungslos bewertet wurden, sondern auch die Verantwortlichen um den damaligen Geschäftsführer Sport, Michael Preetz. Die erneute Welle der Empörung darüber war wieder groß, inzwischen – und nach den letzten Entwicklungen bei Hertha BSC – kann man jedoch auch konstatieren, dass Klinsmann zumindest in seiner Analyse von Profis und Führungsetage nicht vollständig danebenlag.
Mehrere zweifelhafte Bemerkungen
Der Riesenwirbel, der Hertha BSC damals wochenlang verfolgte, war jedoch zweifelsohne schädlich. Das dürfte im aktuellen Fall anders sein – allein schon, weil Jens Lehmann nicht so exponiert zum Einsatz kam wie Klinsmann. Dennoch gab es bereits bei seiner Berufung einige Kommentare, die Zweifel an der Personalie des neuen Aufsichtsratsmitglieds zum Ausdruck brachten. Als Sportler hatte Lehmann für einige unvergessene Momente gesorgt: das Last-Minute-Tor im Revierderby etwa, das ihm im Dezember als Schlussmann von Schalke 04 gegen Borussia Dortmund gelang, oder das Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale 2006, bei dem er mit einem von Torwarttrainer Andy Köpke vorbereiteten Spickzettel die argentinischen Schützen aus der Fassung brachte. Trotz aller sportlicher Meriten haftete Lehmann aber auch stets das Image des Eigenbrötlers an, der auf dem Platz und abseits davon mit einigen Eskapaden für Schlagzeilen sorgte. Auch sein übergroßes Ego spielte dabei eine Rolle – wenn er etwa hin und wieder für die gut 250 Kilometer von seinem Wohnsitz am Starnberger See zum Training beim VfB Stuttgart wie selbstverständlich auf eigene Kosten einen Hubschrauber nutzte.
So verwunderte es auch nur wenige, als er vor der Saison 2020/21 – für die Herthas Verantwortliche moderate Ziele ausgegeben hatten – völlig unverblümt eine Platzierung für den internationalen Wettbewerb einforderte. Freunde machte er sich auf der sportlichen Führungsebene der „Alten Dame" damit gewiss nicht, doch wie sagte schon Ex-Nationalspieler Rudi Völler über Lehmann: „Den Oscar der Beliebtheit wird er nicht mehr gewinnen." Eigenwilligkeit oder Egozentrik sind jedoch das eine, bedenkliche Äußerungen das andere. So war Jens Lehmann in den vergangenen Jahren auch schon mit zweifelhaften Bemerkungen zu den Themenbereichen Homosexualität oder Coronavirus aufgefallen – Letzteres kurz vor, aber auch während seiner Beschäftigung im Aufsichtsrat von Hertha BSC. Immerhin: Nach einer ersten, ungelenken Entschuldigung Lehmanns wegen seiner rassistischen Äußerung, welche ihn auch die Rolle als regelmäßiger Talkgast bei Sky und Sport 1 sowie den Botschafterposten der Laureus World Sports Academy kostete, ließ der Kritisierte zwei Tage später via Twitter wissen: „Man darf solche Sprüche nicht machen, sonst werden sie gesellschaftsfähig" – (Selbst-)Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.