Die jüngste Eskalation erfordert eine internationale Diplomatie-Initiative
Die neue Gewaltwelle in Israel und in Gaza schockiert die Welt. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern schien lange Zeit eingefroren. Zusammenstöße, Raketenangriffe der radikalislamischen Hamas und Bombenattacken der israelischen Luftwaffe gab es punktuell, aber nicht derart flächendeckend und heftig wie in diesen Tagen.
Die Wurzeln der Spannungen reichen weit in die Geschichte zurück. Seitdem die Vereinten Nationen den Briten 1920 Palästina und Transjordanien als Mandatsgebiet übertragen haben, beanspruchen Juden und Araber das Land zwischen Mittelmeer und Jordan für sich. Eine Vielzahl von Kriegen und Krisen haben den arabisch-israelischen Konflikt immer komplizierter gemacht.
Vor diesem Hintergrund führen Hauruck-Lösungen nicht zum Ziel. Es gibt aber aus deutscher Sicht Konstanten, die bei jedem Versuch der Beruhigung der Lage zu berücksichtigen sind.
Erstens: Die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson Deutschlands. So hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede in der Knesset im März 2008 formuliert. Angesichts des im deutschen Namen verübten Massenmords an sechs Millionen Juden definierte Merkel als ehernes Gesetz der deutschen Außenpolitik: „Nur wenn sich Deutschland zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten."
Zweitens: Die Palästinenser haben das Recht auf einen eigenen Staat. In der mit großer Mehrheit angenommenen UN-Resolution vom November 2015 ist die Rede von „zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen". Wie die Grenzen verlaufen, ist Sache von Verhandlungen.
Drittens: Um das Sicherheitsbedürfnis Israels zu wahren, muss ausgeschlossen werden, dass ein Staat Palästina das Nachbarland angreifen kann. Am besten erfolgt dies durch die Verpflichtung zur Nichtbewaffnung. Im Gegenzug könnte die Sicherheit Palästinas durch internationale Garantien festgeschrieben werden.
Viertens: Die Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad in Gaza haben sich bislang als politische Gesprächspartner disqualifiziert. Ihre wahllose Raketenangriffe auf zivile Ziele in Israel haben nur einen Zweck: Sie wollen Jerusalem zu harten Gegenreaktionen provozieren und dadurch die Palästinenser radikalisieren. Die Bilanz der seit 2006 in Gaza regierenden Hamas ist desaströs. Die gut zwei Millionen Einwohner der Küstenenklave leben trotz üppiger Hilfsgelder der EU und des Golfemirats Katar in Armut.
Fünftens: Die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland ist von Korruption und Ineffizienz geprägt. Der 85-jährige Präsident Mahmud Abbas führt seit 2009 die Amtsgeschäfte ohne demokratische Legitimierung. Seiner Partei, der Fatah, ist es nicht gelungen, sich mit der Hamas auf eine tragfähige Verhandlungslinie zur Interessenvertretung der Palästinenser zu einigen.
Sechstens: Die stark gewordenen ultraorthodoxen Parteien in der Knesset erschweren einen Kompromiss zwischen Israel und den Palästinensern. Sie sind die treibenden Kräfte der fortschreitenden Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Ihr Ziel ist die Schaffung von „Großisrael", das die biblischen Gebiete Judäa und Samaria mit einschließt. Der Manövrierspielraum der Regierung wird eingeengt.
Was im israelisch-palästinensischen Konflikt nottut, ist Deeskalation. Kurzfristig braucht es eine Waffenruhe, langfristig muss ein Fahrplan für einen Verhandlungsprozess erstellt werden. Für beide Szenarien sind internationale Akteure erforderlich, die Zugang zu den Streitparteien haben. US-Präsident Joe Biden, der eigentlich die innenpolitischen Scherben der Trump-Jahre zusammenkehren wollte, muss eine neue Nahost-Initiative starten. Am erfolgversprechendsten wäre dies im Tandem mit Russland, flankiert durch den regionalpolitischen Spieler Ägypten.
Dieser Weg ist anstrengend, zeitraubend und mit vielen Rückschlägen gepflastert. Empfehlenswert wären vertrauensbildende Maßnahmen zu Beginn, gefolgt von Stufenplänen bis hin zu einer endgültigen Lösung. Wegschauen ist keine Option. Wer den israelisch-palästinensischen Konflikt ignoriert oder vor sich hinköcheln lässt, wird früher oder später durch eine neue Eskalation überrascht.