Die Saar-SPD zieht mit Heiko Maas an der Spitze in den Bundestagswahlkampf. Der Bundesaußenminister über die Chancen der SPD, das Ansehen Europas und die Lage im Nahen Osten.
Herr Maas, der Bundestagswahlkampf nimmt Kontur an, die Parteien haben sich formiert, die Spitzenkandidaten stehen fest. Wie sehen die Chancen für die SPD aus?
Die Messe für die Bundestagswahl ist noch nicht gesungen. Selten war eine Wahl so offen. Es gibt für die meisten Menschen im Moment nur ein Thema, das ist die Pandemie. Ich glaube, dass die Stimmung dadurch politisch ganz wesentlich geprägt ist. Da wird sich noch viel verändern in den kommenden Wochen und Monaten. Wir werden im Sommer allen Menschen ein Impfangebot gemacht haben, wir werden die Pandemie im Wesentlichen überwunden haben. Deshalb glaube ich, dass sich die Stimmungslage, die sich im Wesentlichen auch auswirkt auf Wahlentscheidungen, noch massiv verändern wird. Das sehen viele so. Deshalb ist es im Moment extrem nervös im politischen Berlin. Die Umfragewerte, wie wir sie im Moment haben, werden sich deutlich unterscheiden vom Wahlergebnis im September. Und darin liegt natürlich für die SPD eine Chance.
Es wird für die Partei sicher auch darum gehen, die eigene Arbeit in der jetzigen Koalition deutlich zu machen. Wie kann die Gratwanderung gelingen, in der Regierung die aktuellen Herausforderungen zu bearbeiten, gleichzeitig im Wettbewerb mit dem Koalitionspartner zu stehen?
Ich glaube, solange die Pandemie noch nicht überwunden ist, gibt es wenig Verständnis dafür, wenn jetzt Revierduelle auch innerhalb der Bundesregierung stattfinden. Wir müssen jetzt alle Energie in die Bekämpfung der Pandemie stecken und die Impfkampagne zu Ende bringen. In der heißen Phase des Wahlkampfes, ab der Sommerpause, werden sicher die Unterschiede deutlich herausgearbeitet werden. In der sehr ernsten Lage sollte niemand die eigenen Parteiinteressen in den Vordergrund stellen. Das wird nicht goutiert werden. Dafür verlangt die Corona-Krise den Menschen im Moment zu viel ab.
Die Grünen sind derzeit auf einem Höhenflug. Werden sie überschätzt?
Ich gehe davon aus, dass es nach der Sommerpause ganz wesentlich davon abhängen wird, ob die Leute die Gesichter, die sie über die Pandemie begleitet haben, noch einmal sehen wollen oder nicht. Sagen die Leute: Das war eine Pandemie, jetzt reicht es uns, das wollen wir nicht noch mal wieder, und dafür wollen wir Leute, die über Erfahrung verfügen im Umgang mit einer solchen Situation? Darin liegt eine Chance von Olaf Scholz, dessen Erfahrung als Krisenmanager sicherlich ein Pluspunkt für uns ist. Das wollen wir auch in den Mittelpunkt stellen. Dann ist die Frage: Wollen die Leute die Geschicke dieses Landes in die Hände von jemandem der diese Krise mit all seiner Erfahrung gelöst hat, legen oder nicht?
Sie haben das Thema Europa besonders betont. Wie nötig ist es, jetzt über Europa zu reden?
Ich glaube, dass wir leider zu unfähig geworden sind, über die Vorteile von Europa zu reden. Wir reden sehr viel über das, was gerade schiefläuft. Ja, es mag nicht alles perfekt sein. Aber: Das Aufbauprogramm mit 1,3 Billionen Euro etwa ist ein historischer Beschluss gewesen. Wenn es ernst wird, ist die Europäische Union zu Solidarität in der Lage. Und auch bei der Impfstoffbeschaffung, die viele kritisierten, ist das so. Jeder Einzelne ist nur sicher, wenn wir alle sicher sind. Deshalb müssen wir auch in Deutschland, das mitten in Europa liegt, darauf achten, dass um uns herum das Virus besiegt wird, sonst wird es immer wieder zurückkehren, und zwar in noch schlimmeren Varianten in mutierter Form. Das sind zwei Beispiele dafür, dass Europa immer dann da ist, wenn es wirklich darauf ankommt.
Als Bundesaußenminister sind Sie im Moment besonders gefordert von der Entwicklung im Nahen Osten. Wie gefährlich ist die Lage dort?
Es ist eine ganz gefährliche Situation, mit der wir es zu tun haben. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, dann droht sich der Konflikt in der ganzen Region zu verstärken und zu verschärfen. Das müssen wir unter allen Umständen verhindern. Meine Hauptaufgabe ist, mit den Kollegen in der Region dort zu sprechen – mit Israel, aber auch mit allen anderen Kollegen, um nach Wegen zu suchen, um zunächst einmal einen Waffenstillstand zu erreichen. Das ist etwas, an dem wir mit vereinten Kräften auch als Europäische Union arbeiten müssen. Erster Schritt muss sein, dass die Waffen schweigen und das Sterben von unschuldigen Menschen endet.
Der Konflikt schlägt sich auch hierzulande nieder, brennende Fahnen als Beispiel genannt. Was bricht hierzulande auf?
Leider Antisemitismus, den es latent in Deutschland gibt, der völlig inakzeptabel ist. Dem müssen wir mit null Toleranz entgegentreten. Die Tatsache, dass wir jüdische Einrichtungen mit Polizei schützen müssen, ist schon schlimm genug. Dass es, wenn solche Konflikte im Nahen Osten aufbrechen, darüber hinausgeht, drauf muss der Staat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren. Der Rechtsstaat muss mit aller Härte vorgehen. Gerade wir in Deutschland müssen nicht nur sagen, sondern auch unter Beweis stellen, dass es gegenüber Antisemitismus kein Pardon gibt. Wer israelische Flaggen verbrennt oder antisemitische Hetze verbreitet, gehört nicht auf die Straße, sondern vor Gericht.