Wie die deutsche Fußball-Nationalelf clever um die WM in Katar herumkommt
In der Neuzeit kennen wir politische Proteste von Sportlern seit den Olympischen Spielen von 1968 in Mexiko. Damals erregten während der Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos weltweites Aufsehen, als sie ihre Fäuste zum Black-Power-Gruß erhoben. Das Foto ging um die Welt, der Skandal war da.
In der jüngsten Zeit waren es die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die vor dem Länderspiel gegen Island kurzfristig Trikots überzogen, auf denen in weißen Buchstaben die Worte „Human Rights“ aufgepinselt waren. In ungelenken Lettern zwar, Ausdruck der spontanen Geste, dafür aber in der richtigen Aufstellung der Spieler entsprechend dem Schriftbild – eine logistische Meisterleistung. Im Spiel ging die richtige Positionierung zwar etwas verloren, aber es wurde 3:0 gewonnen.
Mit dieser gelungenen Choreografie wollten die Spieler auf die Menschenrechtssituation in Katar und die teils mittelalterlichen Arbeitsbedingungen dort während des Baus der Sportstätten für die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft 2022 aufmerksam machen – mehr nicht. Auf die erwartungsgemäß einsetzende öffentliche Erregung betonten sowohl der deutsche Fußball-Bund als auch die Spieler, dass ihre Aktion ein grundsätzliches Bekenntnis zu den Human Rights sei, nicht etwa ein Aufruf zum Boykott der Weltmeisterschaft! Sowohl DFB als auch Bundestrainer Jogi Löw verteidigten die Aktion. Schließlich wollte man Katar als Investor in großen deutschen Dax-Konzernen und großzügigen Fifa-Sponsor nicht über Gebühr verärgern.
Public Relations-Experten haben das tatsächliche Ansinnen aber durchschaut. Sie glauben an einen bereits lange bestehenden Masterplan der Nationalmannschaft zum Boykott der WM in Katar. Dieser soll Schritt für Schritt auf sportlichem Wege so umgesetzt werden, dass es zu einem faktischen Boykott durch Nichtteilnahme, aber nicht zu einem politischen Eklat kommt.
Der Plan erweist sich als geradezu genial: Erster Schritt war das Ausscheiden bei der Fußball-WM 2018 in Russland, sozusagen als Probelauf. Das Problem: „Die Mannschaft“ muss nun in der Qualifikation gegen solche Fußball-Schwergewichte wie Island, Lichtenstein, Armenien und Nord-Mazedonien ran. Der zweite Schritt war daher der einmalig hohe Verlust eines Freundschaftsspiels gegen Spanien (0:6) und damit verbunden das Säen von Zweifeln ob der Machbarkeit einer WM-Qualifikation sowie die Einstimmung der deutschen Fan-Gemeinde auf eine mögliche Nichtteilnahme in Doha. Dritter Schritt: Protest auf dem Spielfeld. Der vierte Schritt schließlich ist das Erreichen der Nichtqualifikation in der deutschen Spielgruppe J – somit eine völlig legale und politisch korrekte Nichtteilnahme an der WM im Wüstensand von Katar. Genial!
Das Ziel ist tatsächlich bereits deutlich näher gerückt. Um den Schein zu wahren hat man gegen Island knapp gewonnen, gegen Rumänien mit Glück ein Unentschieden hingebogen und gegen Fußballzwerg Nord-Mazedonien, die Nummer 65 der Weltrangliste, dann eindrucksvoll 1:2 verloren. Der perfekt vorgetäuschte Absturz aus der Weltklasse ist in der Tat eine wahre Meisterleistung.
Die letzten Skeptiker zu überzeugen wird dennoch nicht ganz einfach. Als Fußball-Ikone Sepp Maier gefragt wurde, wie hoch die Weltmeistermannschaft von 1974 wohl gegen Nord-Mazedonien gewonnen hätte, sagte er: „1:0“ Daraufhin der Reporter völlig überrascht: „Wie, nicht höher?“. Die Antwort vom Maier-Sepp: „Ja, Sie müssen bedenken, wir sind heute alle bereits über 70!“.
Überzeugende Niederlagen in den verbleibenden Qualifikationsspielen im September gegen Lichtenstein und Armenien sowie der im November anstehenden Rückspiele in der Gruppe bleiben zwar eine schwere Aufgabe, aber nach Expertenmeinung lösbar. Der angestrebte, aber politisch korrekte Boykott der Fußball-WM in Katar durch die deutsche Fußball-Nationalelf ist also durchaus in greifbare Nähe gerückt.