Die EU muss die Luftpiraterie Lukaschenkos scharf sanktionieren
Wenn in der EU von Macht geredet wird, bleibt es meist bei verbalen Ergüssen. Die Brüsseler Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in ihrer ersten außenpolitischen Grundsatzrede im November 2019: „Europa muss auch die Sprache der Macht lernen.“ Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker war noch blumiger und hatte im Februar 2018 gefordert, dass die EU „weltpolitikfähig“ werden müsse. Hochtrabende Worte, denen oft wenig Taten folgten.
Seit vergangenem Sonntag gibt es einen neuen Testfall. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko hatte eine Passagiermaschine der irischen Fluggesellschaft Ryanair auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius kapern und, flankiert mit einem Kampfjet, zu einer Landung in Minsk zwingen lassen. Unter dem offensichtlich fabrizierten Vorwand einer Bombe an Bord folgten die Ryanair-Piloten den Anweisungen. Der wahre Grund: Der im polnischen Exil lebende belarussische Journalist Roman Protasewitsch, ein scharfer Kritiker des Lukaschenko-Regimes, befand sich im Flieger. Er wurde zusammen mit seiner Lebensgefährtin in Minsk festgenommen.
Europa reagierte zunächst mit einem lautstarken Betroffenheitstremolo. Doch am späten Montagabend verhängte der EU-Gipfel vergleichsweise scharfe Sanktionen. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge aus Belarus sowie ein Landeverbot auf EU-Flughäfen. Zudem riefen sie Airlines aus der EU auf, Belarus nicht mehr zu überfliegen.
Lukaschenko, der im August 2020 die Präsidentschaftswahl im eigenen Land manipuliert hatte, zeigte mit seiner dreisten Luft-Piraterie ein neues Ausmaß an Zynismus, Machtbesoffenheit und Größenwahn. Er will die Opposition einschüchtern, mundtot machen, zerstören. Mehr als 35.000 Frauen und Männer wurden bislang festgenommen.
Der stellvertretende Innenminister von Belarus, hatte bereits Ende April geätzt, die Opposition gleiche immer mehr tollwütigen Hunden. „Wo sie sich auch aufhalten, wir finden sie und merzen sie aus, ohne jede Verjährungsfrist“, drohte er.
Die menschenverachtende Sprache und der Brachialkurs gegen Andersdenkende erinnern an das brutale Vorgehen der russischen Staatsmacht. Demonstranten und Anhänger des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny wurden zwischen Moskau und Wladiwostok immer wieder gnadenlos niedergeknüppelt. Für Lukaschenko wie für Russlands Präsident Wladimir Putin gilt das Motto: Wer aus der Linie des Autokratismus ausschert, erklärt dem herrschenden System den Krieg. Er oder sie muss mit Gefängnis, Folter oder der Hinrichtung rechnen. Nawalny wurde im August 2020 mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet und entkam nur knapp dem Tod.
Angesichts der innenpolitischen Verhärtung in Belarus und Russland muss der Westen eine Grundsatzentscheidung treffen. US-Präsident Joe Biden betonte in seiner Rede bei der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar, dass sich die Welt an einem „Wendepunkt“ befinde. Die Befürworter der Demokratie und die Protagonisten der Autokratie stünden sich einander gegenüber.
Lukaschenkos Entführungs-Manöver ist ein außenpolitischer Härtetest für Europa. Geht die kriminelle Aktion ohne schmerzhafte Konsequenzen durch, werden die Machthaber in Russland, Kasachstan oder der Türkei dies als Freibrief für künftige Erpressungen ansehen. Zu oft hatte die EU in der Vergangenheit wachsweiche Sanktionen aufgelegt und damit ihren Ruf ramponiert. Das Einfrieren von Vermögen sowie Einreisesperren für Lukaschenko oder seine Marionetten waren nicht mehr als politische Platzpatronen.
Ein Angriff auf die internationale Zivilluftfahrt, die jeden Passagier treffen kann, muss härtere Schritte der Europäer nach sich ziehen. Der EU-Gipfel vom Montag beauftragte den Ministerrat der Gemeinschaft damit, „gezielte Wirtschaftssanktionen“ gegen Belarus zu verhängen. Man kann nur hoffen, dass die vollmundige Ankündigung durch wirksame Strafmaßnahmen unterfüttert wird. So sollten die Geschäftskontakte mit belarussischen Staatsunternehmen, die Lukaschenko wichtige Einnahmen bescheren, gekappt werden.
Europa muss Zähne zeigen. Andernfalls sind Brüsseler Macht-Aspirationen à la von der Leyen und Juncker reines Wortgeklingel. Lukaschenko, Putin & Co. werden ihre Schlüsse daraus ziehen.