Eigentlich ist es keine Frage, dass Rafael Nadal einmal mehr den Favoriten bei den French Open vom 30. Mai bis zum 13. Juni gibt. In herbstlicher Frische holte er sich 2020 mit 34 Jahren seinen 13. Titel auf seiner geliebten Pariser Asche. Doch in dieser Saison ist der Sand teils widerspenstig.
Drei Musketiere machten sich über München, Barcelona, Madrid und Rom auf den Weg nach Paris, um dem Sandplatzkönig die Sonne zu verschatten: Dominic Thiem aus Österreich, Alexander Zverev aus Hamburg und Stefanos Tsitsipas aus Griechenland. Der erste ist der legitime Thronfolger seit Jahren und hat seit den US Open mit 27 Jahren endlich seinen ersten Grand-Slam-Titel im moralischen Rüstzeug. Der zweite ist einer der besten fünf Weltklassespieler dieser Saison, der mithilfe von Stoßwellen in den maladen Ellbogen seinen Aufschlag wieder in Schwung brachte und beim ranghöchsten Masters in Madrid den Sandplatzkönig Nadal respektlos vom Platz fegte. Der Dritte ist ein junger, griechischer Tennisgott, der auf dem Centre Court „Pista Rafa Nadal“ ebendiesen jüngst im Finale von Barcelona beinahe bezwungen hätte.
Zverev besiegte Nadal dreimal in Folge
Der vierte Angreifer, Daniil Medvedev, ist inoffizieller Musketier. Der unablässig vor sich hin murmelnde Russe hat den „Matador von Manacor“ jüngst von Ranglistenposition zwei gestoßen. Auf Sand ist die neue Nummer zwei der Welt kein wirklicher Rivale. Siehe seine frühe Niederlage in Rom gegen Landsmann Aslan Karazev, einen 27-Jährigen, der vor wenigen Jahren noch auf Platz 800 der Weltrangliste stand und jetzt die Großen ärgert.
Seinen 35. Geburtstag feiert Rafael Nadal am 3. Juni während seines favorisierten Grand Slams in Paris. Der „Matador“ zelebriert dort seine Rafa-Festspiele seit 2005, als er bei seinem Debüt sofort das Höchstklassen-Event auf dem ganz speziellen Sand von Paris gewann. Nadal bekommt mit Sicherheit eine Torte. So wie Carlos Alcaraz, eines der größten Talente auf der Tour. Am Tag seiner ersten Partie gegen Nadal wurde der Jungstar in Madrid 18 Jahre alt. Was für eine Geburtstags-Party: Der größte Sandplatz-Champion aller Zeiten spielte gegen die spanische Tennis-Zukunft in Gestalt des gerade volljährig Gewordenen. Alcaraz breakte sein Vorbild und bekam von ihm Applaus, als er mit dem Rücken zum Netz zirkusreif retournierte. Dennoch verteilte Rafa Saures: „Heute war nicht der Tag, an dem ich ihm einen Sieg als Geschenk überreichen musste.“
„Ich hatte das Gefühl, ich werde mutig sein“
Das Siegen fällt dem Rekordspieler in dieser Saison schwer. Seine Rituale auf dem Platz, mit wischenden Gesten und Flaschen-Rücken, zelebriert er noch aufgescheuchter als sonst. Seine Vorhand will nicht so, wie er will: mal zu lang, dann wieder zu kurz. So kann er dem Gegner nicht sein Spiel aufzwingen. In Monaco nicht. In Madrid am Ende auch nicht. Immerhin hatte der ewig nach Vervollkommnung Strebende in Barcelona Stefanos Tsitsipas in einem epischen Endspiel nach dreieinhalb Stunden in die Schranken gewiesen. Doch dann traf „Rafa“ in Madrid im Halbfinale auf Alexander, genannt „Sascha“, Zverev. Beim 1000er-Masters-Turnier triumphierte der 24-Jährige über den Sandplatzkönig Nadal. Schließlich kam Rom. Diesmal ein Viertelfinale „Nadal gegen Zverev“. Der Matador nahm Rache. Egal, wie nah Deutschlands Nummer eins in jedem Spiel an ihn herankam, Nadal biss zurück und revanchierte sich für Madrid mit einer Niederlage beim 1000er-Masters von Rom. Für Rafas Rivalen, für die drei Musketiere also und somit auch für Sascha gilt immer noch: Meister im Umfeld von Legenden zu werden, ist nicht so einfach. Zwischen Maestros und Königen, ewigen Helden und nächster Generation. Dennoch kann der 24-Jährige stolz sein. Darauf, einer von nur zwölf aktiven Spielern zu sein, die 15 und mehr Titel auf der ATP-Profitour geholt haben. Und zum dritten Mal in Folge den 20-fachen Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal besiegt zu haben, erstmals sogar auf Sand.
Gespannt darf Alexander Zverev auf die French Open sein: „Nadal ist immer noch der Spieler, den man schlagen muss. Das wissen alle. In Paris muss man bei Nadal durch. Das wird dieses Jahr auch die Geschichte sein“, sagte Zverev bereits bei den BMW Open in München. In Madrid lernte Deutschlands Top-Spieler mehr über Nadal: „Wichtig war, dass er die Vorhand ins Netz gehauen hat. Danach habe ich mich viel wohler gefühlt, aggressiver gespielt, das Gefühl gehabt, dass ich das Spiel in der Hand habe. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl gegen Nadal.“ Rafa wird wegen seiner Niederlage gegen Zverev nicht als Top-2-Spieler bei den French Open antreten. Gegebenenfalls könnte er deshalb im Halbfinale auf Djokovic treffen. „Ich fabrizierte ein Desaster“, sagte der „Matador“ über Passagen seines Madrider Matches gegen Sascha. Trotz seiner mehr als 60 Titel als Profi auf Sand wollte Nadal keinesfalls vor dem nach dem Flieger „Roland Garros“ benannten Grand Slam ernsthaft ins Trudeln geraten. In Rom lud der Spanier seinen Akku nach dem Achtelfinale mit Zauberenergie neu auf, um Zverev eine Woche nach seiner Demütigung mit all seiner Kunst abzustrafen. Quasi Wartungsarbeiten für das Entree zum Krönungsdefilee. Heuer könnte Nadal sich zum 14. Mal auf der fabulösen Asche in Paris zum Sandplatzkönig krönen lassen. Bei den French Open, die in diesem Jahr wieder ganz klassisch im Frühsommer die Fans der legendären Fünfsatz-Matches auf schwerem Sand nach Frankreich ziehen. Allerdings – zu Ungunsten des zeitgleichen Stuttgarter Herren-Turniers – um eine Woche nach hinten verschoben. So sollen mehr Zuschauer auf dem Gelände erlaubt sein. Zudem dürfen Ende Mai und Anfang Juni Spieler vielleicht wieder raus aus dem Hotel und durch Paris bummeln.
Das ist gut für Dominic Thiem, Musketier zwei, dem die Bubble-Beschränkungen zusetzten. Vor allem auf ihn wartet in Paris Nadal, der spätestens dort in jedem Jahr zur Sandplatz-Statue wird, die sich nicht so leicht vom Sockel stoßen lässt. Sein 27-Jähriger „Kronprinz“ teilte sich seine Kräfte bei den Aufheiz-Turnieren auf europäischen Sandplätzen vorsichtig ein. Der Wiener freute sich über den „Schwung“, den er vom hochgelegenen Madrid zum Meeresniveau in Rom transportieren konnte und gratulierte seinem Kumpel Alexander Zverev, der ihn im Viertelfinale von Madrid besiegte. „Das sind zwei Kapazunder“, sagte er vor dem „Endspiel“ zwischen Nadal und Zverev, ohne sich festlegen zu wollen, wer von beiden aktuell die größere „Kapazität“ auf dem Sand darstelle und das Halbfinale in der „Caja Mágica“, der Zauberkiste, in der spanischen Hauptstadt gewinnen werde.
Angelique Kerber ist wieder etwas besser in Form
„Ich hatte das Gefühl, ich werde mutig sein“, sagte Zverev über das Dreisatz-Match gegen Matteo Berrettini im Finale von Madrid. Er, der immer die anderen mit seinen harten Aufschlägen unter Druck setzt, vor dessen Vorhand Nadal zurückscheut, musste sich etwas einfallen lassen, um den Ball gegen den enorm starken Italiener im Spiel zu halten. Deshalb zog er sich nicht so weit von der Grundlinie zurück, wie sonst, ging auf Risiko. „Ich habe zuvor ja gegen keinen auf Sand gespielt, der mit 235 Kilometern pro Stunde aufschlägt und den Ball dominiert, wie er es macht“, sagte Zverev bei Sky. Doch er wollte das Match nicht noch mal durchkauen. „Ich möchte es einfach genießen, die Trophäe steht neben mir.“ Und dann das. „Ich möchte keine Story daraus machen“, sagte Zverev zunächst. Ein italienischer Journalist hatte ihm angeboten, Italiener zu werden, da ihm die deutschen Journalisten nicht folgen würden. Eine Steilvorlage, denn als am Ende der internationalen Pressekonferenz keine Frage auf Deutsch kam, scherzte Zverev, leicht angefasst wirkend: „Ernsthaft? Ich gewinne ein Masters, und es kommt keine Frage auf Deutsch. Offensichtlich bin ich den Deutschen wirklich egal.“ Sprach’s und ging zu weiteren Kopfhörer-Interviews mit deutschen Medien. Immerhin warteten seine zwei Hunde und eine Trophäe neben Team und Familie zum Anstoßen auf ihn.
Geburtstag feiert am Vorabend von Roland Garros Iga Swiatek, die 2020 ohne Satzverlust ins Finale einzog und dort gegen das amerikanische „Wunderkind“ Sofia Kenin locker ihren ersten Grand-Slam-Titel holte. Heuer wird die Polin 20 Jahre und bewegt sich auf Weltranglistenplatz 15 sehr selbstbewusst zwischen den etablierten Damen des Spitzentennis. Bei den Damen wirbeln aktuell die Australierin Ash Barty, die Belarussin Aryna Sabalenka, aber auch die Griechin Maria Sakkari besonders viel Asche auf. Mit ihrer Kraft könnten sie mit Serena Williams auf dem Sand von Roland Garros mithalten. Sofern sie fit sind: Barty gab im Viertelfinale von Rom verletzt auf.
Laura Siegemund ist bekannt für Überraschungen unterm Eiffelturm: 2020 ließ sie sich vom stürmischen Wetter bis ins Viertelfinale tragen. Angelique Kerber spielte in Rom gegen die French-Open-Siegerin von 2018, Simona Halep, als diese sich während des Matches verletzte. Kerber selbst, Deutschlands Nummer eins, der zu ihren drei anderen Grand-Slam-Titeln einer auf Sand fehlt, ist wieder etwas besser in Form.Millionärin ist Serena Williams längst, doch in Rom war ihr eine andere Zahl wichtig: Ihr 1000. Match spielte die 39-Jährige bei den Italian Open – und verlor. Die Generalprobe für die French Open ging früh schief. Vielleicht bringt ihr das Glück für ihren heiß ersehnten Rekordtitel Nummer 24. Seit den Australian Open war die US-Amerikanerin bei keinem Turnier mehr dabei gewesen. In Florida hatte sich die Grande Dame der Grand Slams ein wenig auf Sand eingespielt, in Paris in der Akademie von Patrick Mouratoglou konkret auf die French Open vorbereitet. Eine Herkules-Aufgabe. Die Turniere sind alle stark besetzt. Das weiß auch Andrea Petkovic, einstige Top-Ten-Spielerin aus dem Porsche-Team, die beim French-Open-Vorturnier der Damen in Stuttgart darüber sinnierte, dass Tennis ihr so viel leichter falle als Moderieren oder Bücherschreiben. Denkt sie ans Aufhören? „Ich bin nicht Paul McCartney, bin mehr so der Ringo Starr der Beatles. Ich mach’ es für mich, für keinen anderen“, sagte „Petko“. „Solange mich die Leute nicht vom Platz treiben, werde ich es noch weitermachen. Es gibt nichts Vergleichbares zu Tennis. Einzig ist es schwierig, mich über Grenzen hinauszutreiben, wenn das Publikum fehlt.“
In Paris werden wahrscheinlich Zuschauer dabei sein. Das wird Nadal stützen, dem in Rom Teenager Jannik Sinner und der 22-jährige Denis Shapovalov frech sehr nahekamen. Applaus hilft auch denen, die ihn angreifen und denen die schwere Asche zuarbeitet. Die Spiele des Sandplatzkönigs werden spannend – in diesem Jahr. Nicht nur für ihn.