Über den Lebensweg des langjährigen Vorsitzenden der Synagogengemeinde Saar, Richard Bermann, drehte Autor und Regisseur Boris Penth einen aufrüttelnden Film. Die Dokumentation „Eine jüdische Biografie – Richard Bermann erinnert sich“ läuft demnächst im SR-Fernsehen.
Neid und Ausgrenzung. Krieg und Nachkriegszeit. Ein vom Schicksal geprägter, aber nicht gebrochener Mann, eine zurückhaltende, gefasste Persönlichkeit tritt uns in dem filmischen Porträt, gedreht von Dr. Boris Penth – früherer Leiter des Filmfestivals Max Ophüls Preis – gegenüber. Richard Bermann wuchs neben seinen Eltern ohne weitere Verwandte auf, weil sie alle in Auschwitz ermordet wurden.
In den Achtzigerjahren erfährt er dank eines anonymen Anrufers, dass die Nazis jüdische Grabsteine zum Bau der Fußballtribüne im Völklinger Stadion genutzt hatten, darunter auch den Grabstein seiner Großmutter. Der Film schildert, dass aus diesen Erfahrungen nicht Wut und Resignation erwuchsen, sondern eine beharrliche Energie, mit der sich Richard Bermann fortan gegen Antisemitismus, Hass und Fremdenfeindlichkeit stellte. Er hat Nichtjuden dazu eingeladen, an jüdischen Feierlichkeiten teilzunehmen und in einen Dialog zu treten. Zu guter Letzt zeigt Boris Penth auch einen Mann, der selbstkritisch hinterfragt, was die Aufklärungsarbeit der letzten Jahrzehnte gebracht hat, und der mit Sorgen um die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland in die Zukunft blickt.
Rückblende: 1935 stimmen die Saarländer für den Anschluss an Nazi-Deutschland, sie wollen „Heim ins Reich“. Helene und Friedrich Bermann aus Saarbrücken emigrieren nach Frankreich. Seit Oktober 1940 beginnt das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime auch in Frankreich, Juden in Lager zu internieren. 1940 betrifft das auch Familie Bermann. Der Vater wird in den Lagern Le Vernet und Catus interniert, später in der Landwirtschaft eingesetzt. Vor einer erneuten Internierung 1943 gelingt ihm die Flucht und er schließt sich der Résistance an. Helene Bermann wird ins Lager Gurs in der Nähe der Pyrenäen transportiert.
Aufklärungsarbeit gegen Antisemitismus
Wie es im Lager aussah, weiß Richard Bermann, geboren 1941, aus den Erzählungen seiner Mutter. „Die fast 400 Baracken waren stets überbelegt, es gab nicht genügend Betten, Typhus und ähnliche Krankheiten waren an der Tagesordnung, viele sind verhungert, es muss grauenhaft gewesen sein.“ Im Film unterlegt Boris Penth diese Erinnerungen mit historischen Aufnahmen vom Lager und mit Zeichnungen von Gefangenen. Eindrückliche Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Nach ihrer Entlassung aus Gurs arbeitet Helene Bermann als Küchenhilfe und Zimmermädchen, versteckt sich schließlich mit Sohn Richard im Süden Frankreichs, wo sie auch ihren Ehemann wieder trifft. Den Krieg übersteht Familie Bermann, kehrt 1947 ins Saarland zurück, baut sich wieder eine Existenz auf, spricht nicht mehr über das Erlebte.
Im Alter von sieben Jahren wird Richard Bermann auf dem Spielplatz in Gersweiler von einem gleichaltrigen Jungen als „Judensau“ beschimpft - das erste Mal, dass er bewusst mit Antisemitismus in Berührung kommt. Diese frühe Erfahrung von 1948 wird ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen.
Fortan begleitet ihn ein - mal latenter, mal offen zur Schau getragener - Judenhass. Während seines Engagements in der jüdischen Gemeinde in Saarbrücken und im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland sucht er stets den Dialog, forciert den Austausch mit anderen Religionen, öffnet die Türen der Synagoge, spricht vor Schulklassen. Bei Kommunalpolitikern wirbt er darum, Orte und Straßennamen, die an Nazis erinnern, umzuwidmen; Bemühungen, die häufig ins Leere laufen. Für seinen Herzenswunsch, den ermordeten Juden einen sichtbaren Gedenkort in der Stadt zu verschaffen, muss er viele dicke Bretter bohren. Auch in diesem Fall: lange Jahre vergebens.
Zwar wurde 2013 der Rabbiner-Rülf- Platz an der Berliner Promenade eingeweiht, doch erst jetzt, im November 2021, werden die Namen aller ermordeten Juden in einem Denkmal vor der Synagoge in Saarbrücken einen würdigen Platz finden.
Das Fazit, das Richard Bermann am Ende des Films und am Ende seines aktiven Engagements in der Synagogengemeinde zieht - nach 24 Jahren als Vorstand der Synagogengemeinde Saar, legte er 2020 er sein Amt in jüngere Hände – ist zwiegespalten.
Brückenbauer zwischen den Religionen
Dankbar ist er für all die herzliche Zugewandtheit und Wertschätzung, die ihm widerfahren ist. Dennoch kann er nicht verstehen, dass trotz aller Anstrengungen der Alliierten, die Deutschen nach 1945 zu entnazifizieren, trotz aller Gedenkfeiern zum Holocaust, Verlegung von Stolpersteinen, Schulfahrten in Konzentrationslager, Errichtung von Mahnmalen in Innenstädten, dass trotz alledem der Antisemitismus in Deutschland wieder an Boden gewinnt und immer offener zu Tage tritt.
Erschreckend und bitter für Richard Bermann, der sich als Mahner und Brückenbauer zwischen den Religionen und Kulturen versteht: Dass 76 Jahre nach dem Aufdecken der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden noch immer Synagogen Angriffen ausgesetzt sind und einer besonderen Bewachung und Sicherung bedürfen, dass jüdisches Leben noch immer unter Polizeischutz gestellt werden muss, und Juden empfohlen wird, nicht mit der Kippa durch die Straßen von Berlin zu gehen, dass man auf Schulhöfen wieder „Du Jude“ als Schimpfwort hört und – dass ganz aktuell seit der jüngsten Eskalation im Nahen Osten – wieder jüdische Fahnen öffentlich verbrannt werden.
Filmemacher Boris Penth hofft, dass sein Film aufrüttelt und einen Beitrag leistet, aus unseren Gedanken und Herzen Hass und Antisemitismus zu verbannen. „Sie existieren zwar, wachsen auch, aber sie dürfen kein akzeptierter Teil unserer politischen Kultur werden. Hier ist uns Richard Bermann in meinen Augen ein Vorbild: Er kämpft entschieden mit Worten dagegen an, er sucht den Dialog mit denen, die er für erreichbar hält. Für diejenigen, die geltendes Recht brechen, fordert er ein entschiedenes Handeln der Justiz.“
Gesucht hierfür werden: Vorausschauende Politikerinnen und Politiker, die entsprechende Gesetze erlassen und mutige Richterinnen und Richter, die Hasspostings in den Sozialen Medien und antisemitische Taten konsequent verfolgen.