Die Weinhandlung „Pracht“ trägt ihren Untertitel „Wild und Wein“ zu Recht: Inhaber und Jäger Christofer Radic sorgt für waidgerecht geschossene Tiere. Koch Christoph Hauser verwandelt sie in Wurst und Weckgerichte. Sommelier Christian Wilhelm empfiehlt vor Ort ungewöhnliche Weine, die dazu passen.
Das Wildschwein hängt am Haken, und wir sehen uns an, was passiert, bevor aus ihm Salami, Tafelspitz oder Bolognese wird. Das Tier ist noch im Fell, aber die Eingeweide wurden bereits ausgenommen, die Läufe abgesägt. Christofer Radic, Jäger und Inhaber von „Pracht Wild & Wein“ in Schlachtensee, nimmt uns ein Stück mit auf den Weg vom Tier zum Fleisch. Erzählt und erklärt, weshalb die nachhaltige Jagd nicht nur dem Tier Respekt erweist, sondern schließlich ebenfalls für mehr Wohlgeschmack sorgt. In seinem Zehlendorfer Atelier mit der Infrastruktur für die fachgerechte Vorbereitung, das Lagern und Reifen des Wilds, mit Küche und großem Esstisch, schauen wir beim sogenannten Abschwarten und Zerlegen des Tiers zu.
Das dauert bei einem Wildschwein etwa eine Stunde. Das Fell muss an jeder Stelle mit dem Messer abgeschnitten werden. Bei einem Reh wäre das anders: Das „Aus der Decke“-Schlagen geht fixer, weil nur ein Kranz um den Kopf ausgeschnitten wird und sich der Rest abziehen lässt. Unser Besuch vor Ort richtet sich nach dem Jagderfolg – wenn ein Tier geschossen ist, ist es da. Radic ist bis zu dreimal in der Woche in seinem Brandenburger Revier.
Ein Schuss wird nur gesetzt, wenn ein Tier waidgerecht und in Ruhe erlegt werden kann. „Man will auf jeden Fall vermeiden, dass die Tiere leiden oder verletzt werden“, sagt Radic. Schonzeiten, wie derzeit für die Bachen mit ihren Frischlingen oder wie zuvor für die paarungsbereiten Eber in der „Rausche“, sind einzuhalten. „Wenn ich mir nicht sicher bin, bleibt der Finger gerade, wie man so schön sagt.“
Natürlich machen die Tiere in freier Wildbahn das, was sie wollen und wann sie wollen: „Rehe sind sehr verlässlich im Sonnenauf- oder -untergang“, sagt Radic. „Aber ist man auf der falschen Kanzel, schießt man nicht. “Wildschweine sind unberechenbarer. „Mal kommen sie um 8 oder 10, mal um 3 Uhr in der Nacht. Und manchmal auch gar nicht.“ Radic zeigt uns die Eintrittsstelle des Schusses an der Schulter. Ideal wäre unterhalb vom Schulterblatt, damit es zu möglichst wenig Verletzung und Einblutungen kommt.
Jagd für Tiere möglichst stressfrei
Nicht anders als bei der Tierhaltung auf der Weide oder im Stall kommt es bei der Jagd auf das möglichst stressfreie Töten an. Deshalb ist Radic nie bei größeren Jagden dabei, sondern immer allein mit seinem Gewehr auf dem Hochsitz. „Ich mag das gar nicht. Es versetzt die Tiere in Panik, sie werden hochflüchtig.“
Das Denken vom Tier und von der Waidgerechtigkeit her ist das Eine, der Fokus auf den späteren, möglichst nachhaltigen Genuss das Andere. „Wenn ich nicht weiß, woher das Wild stammt und wie es weiterverarbeitet wird, ist das nicht gut.“ Radic jagt selbst seit drei Jahren, interessiert sich aber weitaus länger dafür. Seine Vorliebe für guten Wein und gutes Essen ließ sich damit bestens verbinden. Koch Christoph Hauser verarbeitet das Fleisch der erlegten Tiere anschließend weiter. Er war zuvor Küchenchef im „Herz und Niere“, das zum Jahresende 2020 nach sechs erfolgreichen Jahren schloss. Christofer Radic war ebenfalls daran beteiligt.
„Mit Christoph passt es einfach. Die Kochkurse haben wir damals schon in meinem Atelier gemacht“, sagt Radic. „Ob Reh, Hirsch oder Sau: Jedes Tier, das da hing, wurde komplett zerlegt und gekocht.“ Wild stieß vor Corona bei den Gästen des für seine „Nose to Tail“-Philosophie bekannten Restaurants auf ebenso große Resonanz wie nun seit September 2020 bei den Kunden der Schlachtenseer Weinhandlung „Pracht“.
Die Zeiten von „strenger Geschmack“ oder „in Buttermilch einlegen“ sind vorbei. „Du brauchst keine Buttermilch. Es gibt nicht den Wildgeschmack“, sagt Radic. Aber mehr Wissen über die unterschiedlichen Fleischstücke, den richtigen Umgang damit und passende Zubereitungsarten. „Ich bin erstaunt, wie viele Leute ganze Stücke kaufen und sich damit beschäftigen.“
Welches wäre denn ein gutes Anfängerstück von „unserem“ Tier? „Die ausgelösten Rückenstränge zum Beispiel. Die schmeißt man fünf Minuten in die Pfanne, bis sie dunkelbraun sind, und lässt sie zehn Minuten im Ofen nachziehen.“ Fertig ist das Wildschwein-Rückensteak. Hört sich machbar an. „Der Nacken ist sensationell zum Schmoren. Das dauert fünf bis sechs Stunden, aber es ist ein wunderbares Schmorgericht.“
Ähnlich wie bei den bekannten Ochsenbäckchen spielt das Kollagen im Fleisch dabei eine entscheidende Rolle. Werden Muskelstücke mit viel von dem proteinreichen Bindegewebe lange geschmort, verwandelt sich Kollagen in Gelatine. Die bindet das aus dem Fleisch ausgetretene Wasser, das Gericht wird saftig.
Aus dem vor uns hängenden Schwein sollen unter anderem Bolognese und Königsberger Klopse entstehen. Zwei Klassiker, die aus Wild ebenso zubereitet werden können wie aus dem Fleisch anderer Tiere. Auf zwei bis drei Kilo schätzt Radic eine Keule vom soeben gehäuteten Schwein. Sie muss aber erst noch wie alle anderen Stücke zwei bis drei Tage im Dry-Aged-Kühlschrank reifen. Das einjährige Wildschwein ist mit 25 Kilogramm Gewicht ein eher kleines. Mit allem Drum und Dran wog es zuvor 37 Kilo. „Wir hatten aber auch schon eins mit einer Sieben-Kilo-Keule“, sagt Radic. „Da dauert die Reife zwei bis drei Wochen.“
Karamellbonbons aus Fett des Schweins
Ob Salami oder Kochschinken, Tafelspitz oder Rillette: „Wir versuchen, möglichst viel aus dem Schwein zu machen.“ Neuestes Experiment: Aus dem Fett sollen Karamellbonbons werden. „Die habe ich vor Jahren vom Mangalitza-Schwein gegessen.“ Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Aromatisches Schweinefett und Zucker zusammen geschmolzen – daraus dürften regelrechte Umami-Bömbchen entstehen. Das könnte wahrhaft prachtvoll werden. Genauso dürften der Name des Unternehmens und die durch ihn ausgelösten Assoziationen gemeint sein.Der Kreis von Jagd und Wild zu Wein und Weinhandlung schließt sich: „Pracht beschreibt für mich alles, was mit dem Tier und der Umgebung – der Natur, den Geräuschen, dem Licht, den Stimmungen, den Gerüchen – zu tun hat. Es sind prachtvolle Momente, die entstehen und prachtvolle Tiere, die einem begegnen, und später findet sich ebendiese Pracht in all ihrer Essenz auf unserem Teller wieder.“ So Christofer Radics Statement auf der Website. Besondere Weine, individuelle Beratung, Klarheit und Zurückhaltung in der Präsentation, aber Opulenz im Geschmack treffen in der Schlachtenseer Weinhandlung ebenso wie in den Produkten aufeinander.
Anstelle eines Kronleuchters mit Kristallbehang, den ich bei diesem Namen vor meinem inneren Auge sehe, erleuchtet dessen abstrakte Schwester, ein Entwurf des befreundeten Designers Christian Seltmann, mit dicken, punktgenau illuminierten Glasrechtecken den Holztisch im Verkostungsraum der Weinhandlung. Gleich nebenan stehen Kühlschrank und Regale, in denen sich Wein, Fleisch, Wurst und Eingeglastes finden. Die von Christoph Hauser eingeweckten Gerichte kosten im Schnitt zwischen zehn und 15 Euro. Neben Wildschwein sind nun, nach dem Ende der Schonzeit, auch wieder Reh und Maibock zu haben. Zu den vollmundigen Wildgerichten und Spezereien passen insbesondere Weine mit leichter Restsüße, auf die Christian Wilhelm von der Weinhandlung sein Augenmerk legt. Der Sommelier, der zuletzt im „Falco“ in Leipzig und im „Fischers Fritz“ in Berlin tätig war, sorgt in der Schlachtenseer Ortsmitte für Unbekannteres und Überraschendes im Glas. Weine und Naturweine aus Slowenien, Deutschland, Frankreich und Österreich stehen in den Regalen. Winzer wie Von Othegraven oder Zilliken von der Mosel sind vertreten. Simone Adams aus Ingelheim, das Weingut Prinz aus Hallgarten im Rheingau und das Weingut Groebe aus Rheinhessen sind ebenfalls zu finden. Das Spektrum reicht von Gutsweinen für zehn Euro die Flasche bis zu großen Gewächsen, die einige Jahre auf dem Buckel haben können.
„Wir haben keine Weine von der Stange“, sagt Christian Wilhelm. Ein Ürziger Riesling Würzgarten Auslese von 1994 steht auf dem langen Holztisch im hinteren Raum. Kann ich mir gut vorstellen, dass diese Rarität auch meine süße Nase gut träfe. Der Erdener Prälat Riesling Auslese von 1992 durfte zwei weitere Jahre lagern. Mit 48 Euro ist er sicher kein Wein für den schnellen Schluck nebenbei, auch die Würzgarten-Auslese für 30 Euro nicht. Aber was so lange lagern kann und darf, hat eben auch großes Potenzial für eine große Geschmackstiefe, die angemessen genossen sein will.
Die Weinhandlung konnte seit ihrer Eröffnung und trotz Corona durchgängig geöffnet bleiben. Das war in jedem Fall gut für den Verkauf von Fleisch, Wildgerichten und Wein. Der lange weggefallene Absatz von großen Mengen gereiche den Weinen mit Potenzial durchaus zum Vorteil, meint Christian Wilhelm: „Das ist ganz gut so für die großen Gewächse, die sonst eher zu früh auf den Markt kommen.“ Sie haben mehr Zeit zum Reifen. Auch bei den europäischen Nachbarn lohne der Blick über den üblichen Glasrand: „Wir haben Alternativeres wie von Burja Estate aus Slowenien im Sortiment. Das sind biodynamische Weine, die beinah alle aus der Nähe von Triest kommen.“
Auch georgische Rotweine aus Saperavi-Trauben vom Weingut Iberieli gelte es zu entdecken: „Leicht gekühlt und so bei 12, 13, 14 Grad getrunken sind die eine schöne Sache.“ Biegt da ein Sommerwein um die Ecke? Die Terrasse vor dem „Pracht“ bietet sich in jedem Fall zum Antrinken an: Seitdem der Gastronomiebetrieb draußen erlaubt ist, stehen Tische und Stühle vor dem Laden. Es darf, nach den geltenden Test- und Impfspielregeln, nun endlich vor Ort verkostet, getrunken und ausgiebig genossen werden.