Lea Opitz betreibt die seltene Disziplin des Bergeinrad- Fahrens. An die 25 Länder hat die 22-Jährige schon durchfahren. Vor allem hohe Gebirgsketten und Gletscherlandschaften liebt sie. Um nicht abzustürzen, musste sie ihr Rad auch schon in die Tiefe fallen lassen.
Lea Opitz liebt Umwege. Je unebener, sandiger und steiniger der Weg zum Ziel, desto besser. Die 22-Jährige ist immer in Bewegung, kann Langeweile kaum ertragen. Wenn sie nicht in den Bergen mit ihrem Einrad „reitet" oder für die Uni lernt, trainiert sie viele Stunden täglich für ihre „Balance". Das abenteuerliche Unterwegssein steckt ihr „in Blut und Bein". An die 25 Länder – von Asien bis Ozeanien – hat sie schon bereist, die wenigsten zu Fuß oder per Zweirad, sondern Downhill mit ihrem „Muni".
Schon mit elf Jahren auf dem Einrad
Das „Mountain Unicycling" (Bergeinrad-Fahren) ist eine seltene Disziplin, die weltweit vor allem im asiatischen Raum – in Südkorea – und Kanada betrieben wird. Nur wenige Frauen bleiben lange dabei. Damit ist Lea im deutschsprachigen Raum eine Exotin dieses Extremsports. Ihre Liebe zur unicyclischen Disziplin ist konstant. Bereits ihr halbes Leben lang wird sie neben ihrem unbändigen Freiheitsdrang von ihrem Einrad begleitet. Das sei schon wie ein angewachsenes Organ – eine Verlängerung der Beine. „Mittlerweile kann mein Körper immer Einrad fahren. Selbst wenn ich betrunken wäre und nicht mehr laufen könnte. Meine Familie kennt mich seit meinem elften Lebensjahr nicht ohne mein Muni. Es fühlte sich damit immer richtig und normal – wie ein Zuhause – an." Der Ehrgeiz hatte sie in der Grundschule gepackt, als ein Freund so ein Rad zu einer Schulveranstaltung mitbrachte. „Ich konnte nicht mal aufsteigen, wünschte mir gleich eines zum Geburtstag und lernte mithilfe des Zauns unseres Nachbarn zu balancieren," erinnert sich Lea, die im örtlichen Einrad-Club schnell an den ersten Renn- und Freestyle-Wettbewerben teilnahm. Ihre Passion für den Downhill trainierte sie unentwegt – erst in Wäldern, dann auf Bergen. Mit einem 20-Zoll-Muni ohne Bremse dann die Zugspitze, Deutschlands höchsten Berg, herunterzufahren, war die Feuertaufe für ihr erstes größeres 28-Zoll-Kris-Holm-Unicycle-Muni mit Scheibenbremse. Der kanadische Einrad-Pionier Kris Holm erfand quasi die sportliche Einrad-Akrobatik in den Bergen. Sein Credo: „Evolution of Balance". Seit zwei Jahren ist Lea Teil seines internationalen KH-Factory-Teams und fährt 2022 die anstehende Weltmeisterschaft in Frankreich (Trials, Mountain) – ihr lang gehegter Traum!
Ohne Bremse die Zugspitze runter
Treffen kann man die Einradakrobatin auf ihrem Blog: In selbst produzierten Videoclips sieht man sie mit Leichtigkeit durch Wüsten, über Bergkämme und Gestein „riden" – sich die naturgegebenen Parcours erobern. Den rechten Arm immer fest an Sattel und Bremse, den linken ausbalancierend in der Luft. „Ich muss noch mehr üben, um die Arme auch mal zu wechseln. Den freien immer am Berg zu haben wäre besser," so Lea, die vor allem hohe Gebirgsketten und Gletscherlandschaften liebt. Das Faszinierende ist, dass sie die Strecken zumeist nicht kennt und sie intuitiv bezwingt. „Sie nicht vordenken" ist ihre Devise. Mit diesem „offenen Freigeist" muss sie sekundenschnell die Topografie des Weges abscannen. Wichtig sei das Vertrauen in eigene Fähigkeiten und Körpergefühl. Dabei aber mental dann den Fokus zu halten: „Wenn meine Gedanken abschweifen, falle ich. Für mich zählt nicht der Gipfel, sondern der Weg, wie die Natur ihn vorgibt." Da müsse man blitzschnell entscheiden, ob man rechts oder links an der holprigen Wurzel vorbeifahre. Mein Wille ist eben stärker als das Hindernis", strahlt Lea, für die Downhill auf Zeit – möglichst schnell zu fahren – kein Anreiz ist. Sie wolle den Boden spüren und Tricks für die Trials (vorgegebene Hindernis-Strecken) ausprobieren. Angst stelle sich selten ein: „Für mich gibt es zwei Formen: die situative, wenn plötzlich eine Gefahr wie eine besonders steile Stelle oder ein aufziehendes Gewitter auftaucht. Da hilft es nur, sehr konzentriert zu handeln, um die Situation unbeschadet zu überstehen und sehr schnell einen Unterschlupf finden. Die zweite Angst produziere ich durch eine selbst auferlegte Challenge. Wenn ich einen gewagten Sprung plane, zerlege ich ihn technisch, überlege wie ich lande oder wohin ich abrolle. Da schaue ich mir die Sprungstelle vorab an. Ich bete zwar vorher nicht, aber atme, zentriere Körper und Geist. Für meinen Körper bin ich ja nun mal selbst verantwortlich. Einen Unfall – außer mal am Anfang einen Ellenbogenbruch, als ich noch zu unvorbereitet einen Downhill in Spanien fuhr – gab’s weiter nicht", erzählt die drahtige junge Frau. Um bei einem engen Aufstieg in Österreich nicht selbst abzustürzen, musste sie einmal ihr Muni in die Tiefe fallen lassen. „Ach ja, einmal stürzte ich beim Bruch einer Erdkante drei Meter in die Tiefe, landete auf dem Gesicht, kam mit blauer Nase und Helmschaden davon. Der Boden war weg", erinnert sie sich ungern. Nach der Frage nach einem besonderen Flow-Gefühl erzählt sie: „Einmal sind wir im Wallis morgens um fünf im Dunkeln losgefahren. Wir kamen in einen Schneesturm, meine Stirnlampe fiel aus, und ich fuhr im Licht der anderen mit Gegenwind im Gesicht. Ich sah fast nichts und rutschte über den verschneiten Boden. Ich wusste aber, dass ich heil unten ankommen würde. Das Gefühl, eins mit der Natur und der Gruppe zu sein, war unglaublich schön."
„Das Muni zu reiten, ist Freiheit pur"
Mittlerweile besitzt die Profi-Unicyclistin drei Räder – das 27,5-Zoll-Kris Holm-Muni für den Downhill in den Bergen. Ein kleineres 19-Zoll-Rad zum Trial fahren und eins ohne Bremse für die Stadt, um über Mauern und Paletten zu springen. Im Urbanen praktiziert sie auch „Parcours" (Freestyle-Hindernislauf ohne Rad) – für ein Sich-besser-fallen-lassen-Können. Auch mit Klettern, Jonglieren und Skaten halte sie sich fit. In der Corona-Zeit habe sie gelernt, ruhiger zu werden, angefangen zu malen oder sie professionalisiere den Videoschnitt – als Teil ihrer Arbeit. Auf ihrem Blog „Blumen für Lea" kann man ihre Reiseabenteuer auf zahlreichen Videoclips verfolgen. Den Blog – als digitales Tagebuch – hatte ihr die Familie zum 18. Geburtstag geschenkt, als sie noch ohne Rad auf eine achtmonatige Solo-Rucksack-Weltreise durch Asien aufbrach. Beim Reisen lerne man viel über sich selbst.
Am liebsten ist die Weltenbummlerin mit Freunden in den Bergen unterwegs, die ihre Leidenschaft teilen. Mehrere Tage draußen zu sein und unter den Sternen zu schlafen, das verbinde. „2018 bin ich zum ersten Mal mit dem Muni nach Jordanien geflogen – eine der besten Erfahrungen. Ich liebe es auf losen, sandigen Untergründen durch die Wüste zu fahren. Einmal sind wir kurz vor Sonnenuntergang noch los, um eine große Sandsteinbrücke zu überqueren. Wir wurden von einem Sandsturm in plötzlich anbrechender Dunkelheit und Kälte überrascht, verloren die Orientierung. Meine Kräfte waren am Minimum, ich hatte Hunger und Durst, wollte umkehren. Mit den anderen haben wir den Weg angeschaut, uns bestärkt und sind regelrecht in die Nacht geflogen." Lea liebt es, vielfältige Landschaftsformen zu erobern. Auf Teneriffa – am Pico del Teide – ist sie auf Vulkangestein gefahren. Mit dem Schlauchboot mit Einrad-Anhänger war sie Flusswandern auf der Drau. Das Wallis in der Schweiz mit seiner Berg- und Gletscher-Topografie ist ein weiteres Highlight. Eigentlich wollte sie letztes Jahr mit dem Segelboot von Frankreich nach Patagonien segeln. Wenn Reisen wieder möglich ist, stehen Afrika, Südamerika und Albanien mit ihren weiten unberührten Landschaften oder der Kilimandscharo in Tansania auf ihrer Wunschliste. Da 2022 die Weltmeisterschaft in Frankreich stattfindet, wird sie dort als nächstes trainieren.
Die ersten Meter einer Abfahrt sind für Lea immer berauschend: „Der Moment auf dem Berg zu stehen, aufs Muni zu steigen, es zu reiten, ist Freiheit pur. Da fährt mir immer ein breites Muni-Lächeln ins Gesicht, und ich weiß, dass es ein großartiger Tag wird. Vor jedem Ride atme ich dreimal aus bevor ich fahre." Darüber ist Lea zur Meditation gekommen und hat ein Studium in Regensburg für angewandte Bewegungswissenschaften und Achtsamkeit begonnen. Es fasziniert sie, ihre mentalen Erkenntnisse wissenschaftlich zu verarbeiten. Was ihr früher zur Überwindung von Langeweile diente, sich zu einer sogartigen Sucht entwickelte, ist in ihr gereift. Sie möchte Menschen ermutigen, dranzubleiben, fokussiert zu machen, was sie wirklich lieben. Ob Malen, Tanzen oder Muni, in allem schlummert der gleiche Flow. Man muss sich nur fokussieren, extrem trainieren und auf dem Umweg bleiben.