Mit seinem Sieg in Monaco hat Red-Bull-Pilot Max Verstappen Mercedes-Champion Lewis Hamilton die WM-Führung abgeknöpft. Sebastian Vettel erlebte im Aston Martin mit Rang fünf eine Auferstehung. Ihr nächstes Stadttheater führt die Formel 1 am Sonntag in den Häuserschluchten von Baku/Aserbaidschan auf.
Wo war beim Grand Prix von Monaco der siebenmalige Champion und dreimalige Saisonsieger, Mercedes-Überflieger Lewis Hamilton? „Nirgendwo, irgendwo im Niemandsland", antwortete sein ehemaliger Teamkollege und Erzrivale Nico Rosberg als Sky-Experte. „Es war nicht nur ein schwarzes, sondern ein rabenschwarzes Wochenende für Mercedes", legte der Weltmeister von 2016 nach. In der Tat: „Formel-1-Fürst" Lewis war im Fürstentum komplett untergetaucht. Nur magerer Siebter im Qualifying. Im Rennen bei der TV-Übertragung fast „Totenstille", was Hamilton betrifft. Erwähnenswert waren lediglich sein strategisch misslungener Boxenstopp, der ihn zwei Plätze kostete, und die schnellste Rennrunde, die ihm als kleines Trostpflaster einen Zusatzpunkt einbrachte. Als Siebter im Ziel bekam er noch vier WM-Zähler. „Jetzt müssen wir wieder Fuß fassen und ruhig bleiben. Diese Lektionen sind schmerzhaft, aber wir haben das schon öfter durchgemacht", beschwichtigt Hamilton.
Immerhin hat Hamilton noch fünf WM-Punkte eingefahren, während Teamkollege Valtteri Bottas leer ausging. Der Mercedes-Finne, von Platz drei gestartet, musste auf Platz zwei liegend nach einem völlig verpatzten Boxenstopp aufgeben. Was war passiert? Während drei Räder rasch getauscht waren, hat sich die Radmutter vorne rechts festgefressen. Das Vorderrad konnte mit dem Schlagschrauber nicht gelöst werden. „Nachdem ich 30 Sekunden gestanden hatte, konnte ich es nicht glauben. Ich weiß gar nicht, was da passiert ist. Keine Ahnung, war es menschliches Versagen oder ein technisches Problem. Das ist natürlich eine riesige Enttäuschung", gestand Bottas. Nicht minder enttäuscht reagierte Motorsport-Chef Toto Wolff: „Es hat sich furchtbar angefühlt. Wir erlebten ein schreckliches Rennen, aus dem wir gestärkt hervorgehen müssen." Dem Mechaniker am Vorderrad machte Wolff aber explizit keinen Vorwurf, im Gegenteil: „Wir haben den Jungen aufgebaut." Dann packte der Wiener Schlawiner noch einen typischen Wolff-Spruch aus: „Es handelt sich um einen der besten Mechaniker im Team. Deshalb ist es okay. Er wird den Fehler nicht noch mal machen. Deswegen wird er einer der Besten werden." Kein Zweifel: Bei Mercedes ist Druck im Kessel. Den Siegeszug von Hamilton und Mercedes hat Red Bull vorerst gestoppt.
„Jetzt müssen wir ruhig bleiben"
Den Super-GAU aber erlebte Ferrari-Pilot Charles Leclerc. Der Monegasse konnte bei seinem Heimrennen erst gar nicht antreten. Und das, obwohl er mit dem zuletzt lahmen Ferrari-„Pferd" die Poleposition herausgefahren hatte. Auf dem Weg in die Startaufstellung machte dann das „schwarze Pferd", das den roten Boliden antreiben sollte, schlapp. Nix ging mehr. Alle Versuche, den „Gaul" wieder flottzumachen, waren vergebens. Renn-Aus für „Reiter" Charles Leclerc beim Heimspiel! „Sehr schwer zu verdauen, hier zu Hause nicht zu starten, ist sehr hart. Mir fehlen die Worte. Aber so ist das Leben." Damit setzt sich für den 23-Jährigen die schwarze Serie seiner Heim-Grand-Prix fort. Weder 2017 in der Formel 2 noch bei seinen beiden Formel-1-Heimrennen hat Leclerc die Zielflagge gesehen.
Das monegassische „Formel Gähn"-Rennen ohne Unfall, ohne Safety-Car und bei nur einem Überholmanöver hatte auch Erfreuliches zu bieten. Leclercs Startplatz auf der Poleposition blieb also frei. „Das Pech von Charles, nicht von Platz eins starten zu können, ist Glück für mich", bekannte Verstappen bei Sky. Er erbte quasi die Pole, durfte aber nicht auf den ersten Startplatz aufrücken. So preschte er aber in der ersten Startreihe von Platz zwei los, hat freie Sicht und führt hoch motiviert und konzentriert problemlos aber „stramm" 78 Runden lang eine Nachmittagsprozession rund um den Hafen durch Häuserschluchten und Leitplanken-Dschungel an. Er hat alle und alles unter Kontrolle. Nach 1:38:56 hat der „stramme" Max in seinem 123. Grand Prix mit Sieg zwölf eine perfekte Glanz- und Galavorstellung geboten. „Ich bin super happy. Es ist etwas ganz Besonderes, hier in Monaco zu gewinnen. Für mich ist es hier das erste Podium. Es war ein unglaubliches Rennen, du musst in allen Bereichen, überall und immer richtig fokussiert und hochkonzentriert bleiben. Aber das ist richtig cool", befand das „Wunderkind". Kleine Randnotiz: Von 66 Grand-Prix-Siegern in Monaco seit 1950 konnten am Ende nur 22 auch die Weltmeisterschaft gewinnen – 33,3 Prozent. Mit seinem Premierensieg im sechsten Anlauf an der Cote d’Azur schnappte Verstappen zugleich Hamilton die WM-Führung weg und führt erstmals eine Fahrerwertung an. Nach dem fünften von 23 Saisonrennen hat er vier Punkte Vorsprung auf Hamilton (105:101). Nicht nur der Champion ist seinen Vorsprung los, auch Mercedes. Red Bull liegt mit 149 Punkten einen Zähler vor dem Serien-Weltmeister.
„Es ist etwas ganz besonderes, hier zu gewinnen"
Fahrer des Tages in Monaco aber war Sebastian Vettel. Endlich ist es mal für ihn so richtig rundgelaufen. Heißt: Achter im Qualifying, Fünfter im Rennen, drei Plätze vor Teamkollege Lance Stroll, die ersten Punkte eingesackt nach saisonübergreifend sieben Rennen ohne WM-Zähler, in der WM als Elfter (zehn Punkte) jetzt vor Stallrivale Lance Stroll (neun Punkte). Der zuletzt oft Kritisierte hat mit einem bockstarken Rennen ein Ausrufezeichen gesetzt. „Platz fünf ist mit Sicherheit gut, es war das beste Wochenende bisher. Irgendwie wussten wir, dass wir in Monaco etwas mehr herausholen können als üblich", so ein glücklicher Sebastian Vettel. Der zweimalige Monaco-Sieger (2011 und 2017) verrät bei „Sky": „Wenn du rausfährst und direkt ein gutes Gefühl hast, kannst du darauf aufbauen." „Sky"-Experte Rosberg bescheinigte seinem Landsmann einen „phänomenalen Ritt durch die Häuserschluchten." Mick Schumacher brachte nach seinen zwei Unfällen im Training den Haas-Boliden als Letzter auf Rang 18 ins Ziel, landete erstmals hinter Teamkollege Nikita Masepin (17.).
Die Formel-1-Karawane zieht weiter. Zum nächsten Stadttheater in die Häuserschluchten nach Baku. Die Hauptstadt Aserbaidschans hat seit 2016 einen festen Platz im Formel-1-Kalender. Zum fünften Mal wird in der orientalisch geprägten Hauptstadt Baku ein Formel-1-Rennen ausgefahren, nachdem der Grand Prix 2020 der Pandemie zum Opfer gefallen war. Die Zwei-Millionen-Metropole und das Land haben mangels Tradition keine große Motorsport-Begeisterung. Aber das öl- und gasreiche Land hat keine Probleme, die exorbitanten Antrittsgelder für das Fahrgeschäft, zwischen 45 und 50 Millionen Euro, hinzublättern.
Baku liegt 28 Meter unter dem Meeresspiegel
Steht das Straßenrennen in Monaco für Glitzer, Glanz und Glamour und für eine Strecke, auf der Überholen fast unmöglich ist, hat Baku eine ganz spezielle Kulisse mit unterschiedlichen Aspekten zu bieten – und eine ganz eigene Strecken-Charakteristik. Und die Formel 1 erlebt jedes Mal bei ihrem Gastauftritt am Kaspischen Meer ihren Tiefpunkt: Baku liegt 28 Meter unter dem Meeresspiegel und somit 2.340 Meter unter dem Niveau von Mexiko City. Mit extrem engen Passagen führt die sechs Kilometer lange Strecke durch die historische Altstadt, seit 2000 Unesco-Welterbe. Mit ihrer Zwei-Kilometer-Geraden entlang der Strandpromenade erreichen die Piloten Spitzengeschwindigkeiten von 340 km/h. Dann müssen sie brutal in die Eisen steigen, um die erste langsame Linkskurve zu beherrschen. Ganz eng ist die Einfahrt um den Altstadt-Bereich. Die Steigung zur alten Stadtmauer ist „wie eine Fahrt durch ein Nadelöhr. Es passen keine zwei Autos nebeneinander", beschreibt Nico Rosberg den Baku-City-Circuit. Als besonders unfallträchtig erweist sich Kurve 15 im Altstadt-Bereich, nicht gerade langsam, blind über eine leichte Kuppe, dann stark bergab. Der Stadtkurs mit seinen acht Rechts- und zwölf Linkskurven verzeiht bei 51 Runden keine Fahrfehler.
Im „Land des Feuers", wie es die Aserbaidschaner selbst beschreiben, hat Sebastian Vettel 2017 seinem Rivalen Lewis Hamilton „Feuer" unter den Hintern gemacht. Unvergessen, als der Ferrari-Pilot sich vom führenden Hamilton hinter dem Safety-Car mehrere Male unfair eingebremst fühlte. Vor lauter Wut fuhr Vettel seinem Rivalen ins Auto. Diese Attacke bescherte ihm eine Zehn-Sekunden-Strafe und kostete ihn den möglichen Sieg. Gewonnen hat der 53-malige Grand-Prix-Sieger im „Land des Feuers" noch nicht. In den bisher vier Rennen hat Mercedes dreimal mit drei verschiedenen Piloten die WM-Läufe dominiert: Nico Rosberg 2016, Lewis Hamilton 2018, Valtteri Bottas 2019. Daniel Ricciardo hieß der Sieger 2017. In den engen Gassen der Altstadt Baku kann auch an diesem Sonntag, 6. Juni, der Fahrer den Unterschied machen – wie zuletzt beim Stadttheater in den engen Gassen und Häuserschluchten von Monaco.