Häuser, die mit Stroh gedämmt wurden, sieht man in Deutschland bisher selten. Doch es gibt viele Vorteile. Und das Interesse am klimafreundlichen Material wächst.
Sollen wir oder sollen wir nicht? Monika Krebs (51) und ihr Ehemann Jörg (52) sind sich noch unsicher, ob ihr Traum vom Strohballenhaus wahr wird. Nachhaltig bauen wollen sie auf jeden Fall, doch ist das Stroh aus dem Nachbarort dafür wirklich geeignet? Das Ehepaar aus Derenburg im Harz will es genau wissen und hat deshalb einen Anhänger samt Stroh mitgebracht – zum Testen, ob das Material den nötigen Qualitätsansprüchen genügt.
Für die Begutachtung sind sie in einen Ort gefahren, der sich mit Stroh auskennt: Sieben Linden, ein Ökodorf im Norden von Sachsen-Anhalt. Die 145 Einwohner benutzen Kompost-Toiletten, teilen sich Autos und erfreuen sich an mehreren Alpakas, die im Dorf grasen. Auch Strohballenhäuser gehören zur Lebensphilosophie. Schon 2004 wurde in Sieben Linden das erste Gebäude mit getrockneten Halmen gedämmt, elf weitere Häuser folgten. Was als Projekt von einigen Idealisten begann, hat sich inzwischen zu einer viel beachteten Bautechnik entwickelt. Stroh, Holz und Lehm – viel mehr braucht es nicht, um ein umweltfreundliches und trotzdem haltbares Gebäude zu errichten, wie die Dorfbewohner durch eigene Experimente herausfanden. Mittlerweile ist Sieben Linden zu einer Anlaufstelle für alle geworden, die von Beton und Backstein genug haben.
In diesem Fall ist es das Ehepaar Krebs, das mehr über die Bautechnik erfahren möchte. „Wir wollen möglichst CO2-neutral bauen", sagt Monika Krebs. „Außerdem findet man die Rohstoffe direkt in der Umgebung, viel besser als bei einem industriell hergestellten Haus." Jörg Krebs ergänzt, dass es – anders als früher – heute eine Vielzahl an Möglichkeiten gebe, ein solches Projekt zu verwirklichen. „Die Baugenehmigung war total easy", sagt er, „das ist kein Hexenwerk mehr." Aber eben nur, wenn das mitgebrachte Stroh auch geeignet ist. Ansonsten müssten sich die Bauwilligen nach einer anderen Quelle umsehen.
In Sieben Linden ist Bettina Keller die Expertin für solche Fragen. Die 40-jährige Zimmerin hat früher Fachwerkhäuser saniert. Inzwischen baut sie pro Jahr ein bis zwei neue Strohballenhäuser im Dorf; auch an einem Mehrfamilienhaus in Lüneburg hat sie mitgewirkt. Ob ein Projekt gelingt oder nicht, hänge entscheidend vom Material ab, sagt Keller. „Ist es zu nass, kann es gammeln. Ist es zu trocken, bricht es schnell." Auch die Länge der Halme spielt eine Rolle. „Dieses hier ist recht kurzhalmig", erklärt sie, während sie das mitgebrachte Stroh in eine Testwand hineindrückt. „Ideal ist die Oberfläche nicht. Aber zum Bauen reicht’s vollkommen aus. Da müssen die Putzer eben etwas mehr Arbeit leisten." Das Ehepaar Krebs ist beruhigt: Eine Sorge weniger.
Bedenken lassen sich reduzieren
Stroh als Baumaterial wirkt heute nicht mehr so exotisch wie noch vor einigen Jahren. Im Grunde war es das nie, denn schon vor Jahrhunderten wurde es zum Dämmen genutzt. Mit der Verfügbarkeit von Zement nahm die Bedeutung aber ab, zumal Stroh allerlei Ängste auslöst: Brandgefahr. Feuchtigkeit. Mäusebefall. Ganz abwegig sind solche Bedenken nicht. Doch lassen sie sich bei fachgerechtem Einbau deutlich reduzieren, beteuert der Fachverband Strohballenbau (Fasba), in dem sich Handwerksbetriebe und Strohbau-Interessierte zusammengeschlossen haben.
Auf seiner Website versucht der Verband, die gängigen Vorurteile zu entkräften. Brandgefahr? Kein Problem, solange die Halme so dicht gepresst werden, dass kein Sauerstoff zuströmen kann. Schimmel? Vermeidbar, solange das Stroh während der Bauzeit vor Regen geschützt wird. Ungeziefer? Hat keine Chance, wenn die einzelnen Bauteile sorgfältig verputzt werden. Um diese und andere Vorgaben zu erfüllen, existiert seit 2014 eine sogenannte Strohbaurichtlinie, die 2019 noch einmal aktualisiert wurde. Ein Strohhaus zu bauen, sollte von Behördenseite also kein Problem mehr sein. Die Zahl der Gebäude nimmt folglich zu: Zwischen 900 bis 1.500 stehen laut Fasba momentan im Bundesgebiet. Wie viele es genau sind, weiß der Verband nicht, da es kein entsprechendes Verzeichnis gibt. Man gehe aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
„Das Interesse nimmt zu", sagt Fasba-Sprecherin Wiebke Kaesberg. Zum einen aus Klimaschutzgründen, denn Strohballen fungierten „wie ein CO2-Radiergummi". Zum anderen handele es sich um einen nachwachsenden Rohstoff. „Die Anzahl der Fachbetriebe, die mit Strohbau zu tun haben, kann auf gut 200 beziffert werden", sagt Kaesberg, Tendenz steigend. Längst gehe es nicht mehr nur um kleine Privathäuser, sondern um mehrgeschossige Gebäude. „In Saint-Dié-des-Vosges in Frankreich steht schon ein Haus mit acht Stockwerken", sagt Kaesberg. „Als Nächstes will der Architekt elf Etagen umsetzen." Auch in Deutschland wurde mit dem „Speicherbogen" in Lüneburg bereits ein Mehrfamilienhaus verwirklicht, das hauptsächlich aus Holz, Lehm und Stroh besteht. Das größte Strohballenhaus Süddeutschlands entsteht derzeit im Kloster Plankstetten in der Oberpfalz: drei Etagen, 30 Gästezimmer, 1.700 Quadratmeter Fläche.
Trotzdem müssen Bauwillige nach wie vor Geduld mitbringen. Strohballenhäuser sind keine 08/15-Projekte; die Baubranche springt nur langsam auf den Trend auf. Das EU-Projekt „Up Straw", das die Strohbauweise mit 3,8 Millionen Euro fördert, nennt in einer Studie zwei große Hürden: Zum einen gebe es zu wenig Fachkräfte. Zum anderen halte sich deren Interesse in Grenzen – obwohl es beispielsweise mit dem Norddeutschen Zentrum für Nachhaltiges Bauen durchaus Anlaufstellen gibt, bei denen sich Handwerker weiterbilden können. Der Studie zufolge nutzen derzeit vor allem kleine Betriebe mit weniger als fünf Angestellten den Baustoff Stroh. Das wiederum wirkt sich auf die Kapazitäten aus: Käme plötzlich der große Run, könnte die Nachfrage nicht gedeckt werden.
Handarbeit macht die Sache teuer
Auch die Kosten sind höher als bei einem Betonprojekt. „Vielleicht 10.000 Euro mehr pro Haus", schätzt Wiebke Kaesberg vom Fasba-Verband. Es komme aber ganz auf den Einzelfall an. „Man darf Äpfel nicht mit Birnen vergleichen", sagt Kaesberg. Nicht der Baustoff, sondern die Handarbeit mache die Sache teurer. „Erst muss das Stroh gepresst werden, dann kommen die Lehmschichten, am Ende muss das Ganze trocknen. Außerdem unterscheiden sich die Preise von Region zu Region." Pauschale Aussagen zu Kosten seien daher schwierig.
Eine weitere wichtige Frage: Woher kommt das Stroh? Nicht alle Häuslebauer besitzen einen Acker samt Mähdrescher oder kennen einen Landwirt, der ihnen die Halme zur Verfügung stellt. Für solche Fälle gibt es bisher nur wenige Anlaufstellen, etwa die Firma Henkel in Neufra (Baden-Württemberg) oder die in Verden ansässige Baustroh GmbH, die unter anderem von Kaesbergs Mann geleitet wird – die Welt des Strohs ist übersichtlich, noch.
Die Landwirtschaft gibt sich auf Nachfrage ebenfalls zurückhaltend. Laut Angaben des Bauernverbands fallen in Deutschland jährlich 33 bis 38 Millionen Tonnen Stroh an. Ein Großteil davon verbleibe auf dem Acker, werde als Einstreu für die Tierhaltung oder zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet. „Strohpreise schwanken stark und liegen in der Regel zwischen acht und 15 Euro pro 100 Kilo für Großballen", erklärt Axel Finkenwirth, Pressesprecher des Bauernverbands. Landwirte müssten daher abwägen zwischen zusätzlichen Einnahmen und damit verbundenen Nachteilen (weniger Nährstoffe auf dem Acker). Grundsätzlich stehe der Bauernverband dem Baustoff aber durchaus positiv gegenüber.
Eva Stützel hat die Theorie schon lange hinter sich gelassen. Die 56-Jährige wohnt seit 1997 im Ökodorf Sieben Linden, seit 2008 in der „Windrose", einem Strohballenhaus mit vier Wohneinheiten. Von außen sieht man dem Objekt sein Geheimnis nicht an: rote Dachziegeln, Holzveranda, große Fenster. „Die Dämmung ist wahnsinnig gut", sagt Stützel. „Selbst im Winter müssen wir nur alle zwei Tage heizen." Zudem wirke sich der Lehm positiv auf das Raumklima aus – „sehr angenehm, nicht so feucht", meint die Bewohnerin.
Hat das Leben im Stroh auch Nachteile? Eva Stützel überlegt. „Man muss aufpassen, was man in die Wände macht", sagt sie. Bohrer und Nägel könnten die Luftdichtigkeit zerstören, wodurch die Ballen anfällig für Schimmel würden. Wirklich einschränken müsse sie sich dadurch aber nicht. „Die Küchenschränke haben wir an Holzbalken befestigt, also alles kein Problem." Auch Bettina Keller, die Strohbau-Expertin aus Sieben Linden, ist überzeugt, dass die Bautechnik ihre Kinderkrankheiten überwunden hat. „Am Anfang haben wir viel rumprobiert", sagt Keller. „Da habe ich manche Wände dreimal gebaut." Doch diese Zeiten seien vorbei – den vielen Experimenten sei Dank.