Die Orgel ist 2021 „Instrument des Jahres". In der Naumburger Wenzelskirche befindet sich ein ganz besonderes Exemplar – die Hildebrandt-Orgel ist die einzige weltweit, die Johann Sebastian Bach mitkonzipiert und abgenommen hat.
Wenn eine Königin ihren 275. Geburtstag feiert, dann darf man es ruhig einmal richtig krachen lassen. Die Jubilarin nimmt das alles sehr wörtlich. Denn: Die Königin ist eine Orgel. Nicht irgendeine, sondern eine der fünf weltberühmtesten Instrumente ihrer Art, wie Nicolas Berndt, der Organist der Wenzelskirche zu Naumburg, betont.
Um das zu verstehen, muss man ihre Entstehungsgeschichte kennen. Sie beginnt im Jahr 1695, als der Orgelbauer Zacharias Thayßner eine Orgel für die Naumburger Stadtkirche St. Wenzel baute. 1705 an die Stadtväter übergeben, ist sie bereits knapp 30 Jahre später so defekt, dass die Ratsherren vor der Wahl stehen, sie zu reparieren oder gleich eine neue bauen zu lassen. Sie geben bei dem besten Orgelkenner dieser Zeit, Johann Sebastian Bach, ein Gutachten in Auftrag und bitten ihn um seine Meinung und Vorschläge für einen Orgelbau in der Kirche.
Bach plädiert für eine neue Orgel und schlägt vor, den in Leipzig ansässigen Orgelbauer Zacharias Hildebrandt damit zu beauftragen. Hildebrandt hatte seit 1713 in der Werkstatt von Gottfried Silbermann in Freiberg gearbeitet, machte sich 1722 nach seinem Meisterabschluss selbstständig. Und wurde 1734 auf Bachs Empfehlung nach Naumburg gerufen, um die kaputte Orgel in der Stadtkirche St. Wenzel zu untersuchen und Vorschläge zu ihrer Instandsetzung zu machen. Dabei plädierte er für eine Hauptreparatur. Da die Kosten dafür den Ratsherren aber zu hoch waren, einigte man sich letztlich nur auf eine Reinigung und Ausbesserungsarbeiten. Schnell aber bewahrheitete sich jedoch der alte Spruch: Wer geizig ist, zahlt doppelt!
Bach empfiehlt den besten Orgelbauer seiner Zeit – Hildebrandt
So entschieden sich die Ratsherren doch für den Neubau einer Orgel, allerdings unter der Bedingung, dass das alte Gehäuse erhalten blieb. Zacharias Hildebrandt machte sich ans Werk und konnte im September 1746 den Ratsherren melden, dass die Orgel fertig und zur Abnahme bereit sei.
Natürlich mussten im Lauf der Jahrhunderte Reparaturen an der Orgel vorgenommen werden – die letzte große Restaurierung erfolgte zwischen 1993 und 2000 durch die Orgelbaufirma Hermann Eule aus Bautzen – doch sie blieb so erhalten, wie sie Zacharias Hildebrandt vor 275 Jahren erschuf. Weltweit ist sie die einzige erhaltene große Orgel, die Johann Sebastian Bach maßgeblich mitkonzipiert und abgenommen hat.
„Das macht sie so einzigartig", sagt der Organist von St. Wenzel, Nicolas Berndt. Für ihn ist diese Stelle wie ein Sechser im Lotto, denn, „es gibt auf der Welt nur ein erhaltenes Instrument, das uns heute ermöglicht, eine Zeitreise in die authentische Vorstellung Bachs von seiner Orgelmusik zu machen. Das ist etwas so Besonderes, dass man es kaum in Worte fassen kann", schwärmt der 36-Jährige.
Seit Berndt, der in Bonn aufwuchs, als Vierjähriger erstmals eine Orgel hörte, war er von dem Instrument fasziniert. Er bekam Orgelunterricht, studierte später in Leipzig und Freiburg Kirchenmusik, gewann mehrere Preise bei Wettbewerben, war Assistenzorganist an der Leipziger Thomaskirche und unterrichtet bis heute an der Musikhochschule Leipzig. „Als ich 2019 die Ausschreibung des Organisten an der Naumburger Wenzelskirche las, habe ich mich sofort beworben", erzählt er. „Selbst, wenn ich die Stelle nicht bekommen hätte, schon, dass ich auf dieser berühmten Orgel vorspielen durfte, war ein Privileg. Es war einfach erhebend. Ich war fasziniert von der Klangfülle, das Instrument strahlt eine Wärme aus, der man sich einfach nicht entziehen kann."
Im Juli und August ist internationaler Orgelsommer
Umso glücklicher war Nicolas Berndt, als er im Februar 2020 zum neuen Organisten von St. Wenzel berufen wurde. Auch wenn es hier schon seit vielen Jahren alljährlich mehrere Konzertreihen gibt, wird 2021 unter dem Motto: „275 Jahre Hildebrandt – Geburtstag einer Königin" zu einem ganz besonderen Festjahr. So werden zahlreiche namhafte Organisten aus aller Welt beim alljährlich im Juli und August stattfindenden internationalen Orgelsommer Werke spielen, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Darüber hinaus finden vom 2. bis 4. Oktober die alle zwei Jahre veranstalteten „Hildebrandt-Tage" statt, bei denen die Orgel natürlich im Mittelpunkt steht, aber auch ein großes Chor- und Orchesterkonzert in der Kirche geplant ist.
Gelegenheit, das Instrument zu hören, gibt es seit Jahren zwischen dem 1. Mai und dem 30. Oktober jede Woche mehrfach: Immer mittwochs, samstags, sonntags und feiertags, beginnen ab 12 Uhr halbstündige Mittagskonzerte. Anschließend haben die Besucher Gelegenheit, sich den originalen historischen Spieltisch anzuschauen, an dem schon Bach die Register zog.
In diesem Jahr hat sich Nicolas Berndt für die Mittagskonzerte etwas ganz Besonderes einfallen lassen und die Reihe „Junge Talente" etabliert. Das Angebot richtet sich an junge Organisten, die sich noch im Studium befinden. Sie sind eingeladen, an den Wochenenden die Orgel zu spielen und haben so die Möglichkeit, sich vor einem größeren Publikum zu präsentieren. „Ich denke, dass jeder Organist, der sich mit Bach beschäftigt, wenigstens einmal im Leben die Chance bekommen sollte, dieses einmalige Instrument zu spielen und so auf besondere Weise in Bachs Klangmodus einzutauchen", sagt Nicolas Berndt. Die überwältigende Resonanz zeigt, dass er damit ins Schwarze traf. Mit der Möglichkeit, einmal auf der Hildebrandt-Orgel spielen zu können, geht für viele angehende Organisten ein lang gehegter Traum in Erfüllung.