Unter der gastroösophagealen Reflux-Krankheit (kurz „GERD") leiden etwa 20 Prozent der Bevölkerung der westlichen Industrieländer. Prof. Dr. Julia Seiderer-Nack, Fachärztin für Innere Medizin, spricht im Interview über Ursachen, Symptome, Gefahren und Hilfe bei Reflux.
Frau Prof. Dr. Seiderer-Nack, was ist der Unterschied zwischen Reflux und normalem Aufstoßen, das jeder kennt?
Dass Luft durch Aufstoßen aus unserem Magen-Darm-Trakt entweicht, ist ein völlig normaler Vorgang in unserem Körper. Dazu öffnet sich kurzzeitig der Verschluss der unteren Speiseröhre und Luft kann dabei aus dem Magen in die Speiseröhre entweichen. Bei einer solchen kurzfristigen Öffnung des Speiseröhren-Verschlusses schwappen mehrmals täglich auch immer kleine Mengen saurer Nahrungsbrei in die Speiseröhre. Dieser natürliche (physiologische) Reflux ist erstmal nichts Schlimmes, weil die Speiseröhre diese mehrmals täglich vorkommenden kleinen Säureattacken durchaus im Griff hat. Die Speiseröhre verfügt nämlich über erstaunliche Selbstreinigungs- und Abwehrkräfte. Problematisch und krankmachend wird es nun, wenn es häufiger oder über längere Zeit zum Rückfluss größerer Mengen sauren Mageninhalts in die Speiseröhre kommt. Wenn dazu noch der Speisebrei durch eine starke Säureproduktion im Magen besonders aggressiv und sauer ist, verschärft sich das ätzende Problem und die Säure-Attacke auf die empfindliche Schleimhaut der Speiseröhre beginnt. Irgendwann sind auch die Selbstreinigungskräfte der Speiseröhre am Ende ihrer Kapazitäten und es kommt zu verstärkten Schleimhautschädigungen – die sich dann relativ schnell durch SOS-Signale wie Sodbrennen, Schmerzen oder saures Aufstoßen bemerkbar machen. Diese Vielfalt der Erscheinungsformen wird in der Medizin unter dem Begriff GERD (Gastro-Esophageal Reflux Disease) – also gastroösophageale Refluxkrankheit –
zusammengefasst.
Welche Ursachen kann GERD haben?
Die Ursachen von GERD können vielfältig sein – häufig sind es Übergewicht, Rauchen und Alkohol oder eine falsche Ernährungsweise. Unser Lebensstil und unsere Essgewohnheiten sind also ganz wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung von Reflux-Beschwerden. Bei manchen Patienten findet man auch anatomische Ursachen, insbesondere einen unvollständigen Verschluss der unteren Speiseröhre durch einen Zwerchfellbruch (Hernie), der zu einer Verlagerung des Übergangs von Speiseröhre zu Magen führt.
Was sind typische Symptome?
Typische Symptome der gastroösophagealen Refluxerkrankung sind brennende Schmerzen hinter dem Brustbein (Sodbrennen) nach dem Essen, saures Aufstoßen, Druck im Oberbauch oder Beschwerden beim Schlucken. Sodbrennen ist dabei keine Krankheit, sondern ein Symptom. Es ist ein Warnsignal unseres Körpers und zeigt an, dass die Speiseröhre in Säure-Schwierigkeiten steckt – manchmal nur in einem gereizten Zustand, manchmal jedoch auch in ernsthaften Schwierigkeiten wie einer Speiseröhrenentzündung (Ösophagitis).
Hat man bei Reflux immer Sodbrennen und Magendruck?
Nein. Nicht alle Patienten zeigen diese klassischen Symptome wie Sodbrennen und Magendruck. Manche Patienten haben durch die zum Teil auch gasförmig aufsteigende Säure eher Beschwerden im Nasen-Rachen-Bereich, also zum Beispiel morgendliche Heiserkeit, häufiges Räuspern, Halsschmerzen oder auch chronische Entzündungen. Da hier die klassischen Symptome wie Sodbrennen fehlen, spricht man daher auch von „stillem Reflux".
Welche Gefahren drohen bei dauerhaftem Reflux?
Eine dauerhafte Säureattacke auf die Speiseröhre durch Reflux aus dem Magen kann zu Entzündungen (Ösophagitis) oder auch einem Umbau der empfindlichen Schleimhaut der Speiseröhre führen. Langfristig kann dies Zellveränderungen verursachen (sogenannte Barrett-Ösophagus), die das Risiko für Speiseröhrenkrebs erhöhen.
Ärzte verordnen meist Protonenpumpeninhibitoren wie Pantozol oder Omeprazol (kurz „PPI"). In welchen Fällen und für welchen Zeitraum sind diese angebracht?
PPI hemmen sehr effektiv die Produktion von Magensäure und reduzieren so die Säurebelastung für die Speiseröhre – für eine kurzzeitige Anwendung bei Refluxbeschwerden oder eine Therapie von Speiseröhrenentzündungen stellen PPI also eine sehr wirksame und hilfreiche Therapie dar. Kritischer wird jedoch die häufig langfristige und unreflektierte Einnahme dieser Medikamente bei Refluxbeschwerden gesehen, da diese Medikamente durchaus auch Nebenwirkungen haben können.
Wie kann man Reflux, Sodbrennen oder Magendruck auf natürliche Weise verhindern?
Zunächst einmal spielt die Ernährungsweise eine wichtige Rolle – die Umstellung auf mehrere kleine Mahlzeiten, der Verzicht auf große üppige Mahlzeiten insbesondere abends oder auch die Auswahl der Lebensmittel können hier wichtige erste Schritte sein. So können wir etwa Nahrungsmittel, die uns lange im Magen liegen oder viel Säure enthalten, reduzieren oder auf bewährte Hausmittel wie zum Beispiel Kartoffelsaft oder Leinsamen zurückgreifen. Aber auch Faktoren wie unsere Schlafposition oder Atemmuster, Stressbelastung oder Medikamenteneinnahme können einen Einfluss haben.
Welche natürlichen Medikamente können GERD auch positiv beeinflussen?
Viele pflanzliche Stoffe haben Einfluss auf den Magen und seine Säureregulation und Entleerung. Im Falle von Reflux können sie in Form von Tee, Aufgüssen oder Tropfen als natürliche Helfer eingesetzt werden; oftmals werden auch Mischungen aus pflanzlichen Stoffen als Tropfen oder Tee fertig gekauft. Zu den bekanntesten Pflanzenstoffen mit einer beruhigenden Wirkung auf den Magen gehören: Kamille, Fenchel, Süßholzwurzel, Eibischwurzel, Angelikawurzel, bittere Schleifenblume, Kümmel und Ingwer.
Vorsicht gilt dagegen bei der Pfefferminze: So gut ihre Wirkung bei Verdauungsproblemen allgemein erprobt ist, so wenig hilfreich ist sie bei Refluxbeschwerden. Pfefferminzöl oder Pfefferminztee können bei Patienten mit GERD hierdurch zu einer Verstärkung der Beschwerden führen und sollten daher gemieden werden. Ebenso können Hagebutten oder andere saure Fruchtsorten durch den eher hohen Säuregehalt bei GERD die Symptome verstärken.
Hilfreich sind neben den klassischen Antazida (Arzneimittel zur Neutralisierung der Magensäure, enthalten etwa Calciumcarbonat, Anm. d. Red.), die kurzfristig Linderung verschaffen können, auch Alginate, die es in verschiedenen fertigen Darreichungsformen in der Apotheke gibt. Kommen Alginate mit der Magensäure in Kontakt, quillen sie auf und bilden eine stabile Gelschicht, die wie eine Luftmatratze auf dem Mageninhalt schwimmt und so eine physikalische Schutzbarriere zwischen dem sauren Magensaft und der Speiseröhrenschleimhaut bildet.
Wie sollte man sich bei Reflux ernähren? Und muss man dauerhaft auf Fast Food oder Cola verzichten?
Empfehlenswert sind mehrere kleine Mahlzeiten statt großer Gelage und die Vermeidung von stark fettreichen Nahrungsmitteln, da diese lange im Magen liegen – der Verzicht auf Fast Food kann hier durchaus helfen. Reflux-Patienten sollten zudem allgemein darauf achten, genügend Eiweiß und Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Eiweiß in der Nahrung kann zur Ausschüttung eines wichtigen Hormons, dem Gastrin, führen. Gastrin erhöht unter anderem die Muskelspannung des unteren Ösophagus-Sphinkters und damit dessen Verschlusskraft. Leicht verdauliche Ballaststoffe in Form von Gemüse und Vollkornprodukten können zudem helfen, die Passage des Nahrungsbreis durch den Verdauungstrakt zu beschleunigen – und damit Druck aus dem Magen zu nehmen. Insbesondere Patienten, die zur Verstopfung neigen – und bei denen sich also alles im Magen-Darm-Trakt sehr langsam bewegt – sollten auf eine ausreichende Ballaststoffmenge achten, damit der Stau und Druck im Bauch nicht zu groß werden und der Darm sich regelmäßig entleert.
Auch die Getränkeauswahl spielt eine Rolle und sollte in erster Linie kohlensäurearm beziehungsweise kohlensäurefrei sein. Zuviel Blubb – zum Beispiel in Erfrischungsgetränken, Mineralwasser oder auch Bier – führt durch mehr Gas im Magen, zu mehr spontanen Ventilöffnungen der Speiseröhre und somit zu Luftaufstoßen. Vorsicht gilt vor allem bei Erfrischungsgetränken, Limonaden und Cola: Sie enthalten nicht nur Kohlensäure und eine Menge Zucker, sondern haben auch einen sehr niedrigen pH-Wert und können uns daher im wahrsten Sinne des Wortes sehr sauer aufstoßen.
Spielen Stress und Sorgen auch eine Rolle bei Reflux?
Durchaus – und der Zusammenhang zwischen Stress und der Entwicklung von Reflux-Beschwerden lässt sich nicht nur durch Hektik, schnelles und ungesundes Essen oder wenig Schlaf erklären, sondern auch durch die direkte Wirkung von Stress auf unser vegetatives Nervensystem und Hormonfreisetzung, die die Bewegungsabläufe in der Speiseröhre und den Speiseröhrenverschluss beeinflussen können. Zudem verzögern Stress und Hektik die Magenentleerung und Verdauungsabläufe, reduzieren unsere Speichelproduktion und führen zu einer stärkeren Säureproduktion im Magen – alles also Risikofaktoren für die Entwicklung von Reflux-Beschwerden.
Woher weiß man, dass man an Reflux leidet und nicht etwa an Reizmagen, der ähnliche Symptome hat?
Nicht jeder Patient mit Sodbrennen hat eine GERD und nicht jeder Patient mit GERD hat Sodbrennen. Sodbrennen kann auch bei anderen Störungen des Verdauungstrakts auftreten – als nicht-saurer Reflux, bei Speiseröhrenentzündung durch zum Beispiel infektiöse Ursachen oder bei der eosinophilen Ösophagitis, bei Magenentleerungs-Störungen, einem Magengeschwür, einer Magenschleimhautentzündung (Gastritis) oder einem Reizmagen. Um hier bei anhaltenden Beschwerden Gewissheit zu bekommen, wird eine Spiegelung (Endoskopie) der Speiseröhre und des Magens (Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, ÖGD) durchgeführt. Mittels dieser Spiegelung kann weiter unterschieden werden, ob der Betroffene bereits sichtbare Schleimhautschäden (Erosionen) an der Speiseröhre hat oder andere Ursachen vorliegen.