Nach sieben Monaten Stillstand dürfen Gastwirte im Saarland endlich wieder öffnen und zumindest draußen Gäste empfangen. Am Beispiel des Traditionshauses „Zahm" in Saarbrücken zeigt unser Autor, was die Wiedereröffnung für die Gastronomen bedeutet.
Vergangene Woche konnte ich vielerorts beobachten, wie die Menschen endlich wieder in die Gasthäuser strömten. Die große Durststrecke ist vorbei, die Gastronomie darf wieder aufmachen. Zwar weiterhin nach klaren Regeln und Vorgaben, aber immerhin. Viele Menschen empfinden es als ein Stück wiedergewonnene persönliche Freiheit, sich mit Freunden im Gasthaus zu treffen und gemeinsam zu speisen. Zu lange mussten wir alle darauf verzichten.
Zufällig traf ich unseren Ministerpräsidenten Tobias Hans am St. Johanner Markt auf seinem Weg Richtung Staatskanzlei. Er versprach, dass das Saarland an seinem ganz eigenen Modell festhalten werde, und die Gastronomie auch aufbleiben werde, solange die Zahlen nicht wieder exorbitant steigen.
Am 2. Juni eröffnete auch Jürgen Petry sein Gasthaus endlich wieder. Petry ist der dienstälteste Wirt in Saarbrückens guter Stube, dem St. Johanner Markt. Seit mehr als 50 Jahren betrieb und betreibt er sehr unterschiedliche Gastronomien – von der Studentenkneipe bis zur Edeldiskothek. Immer in seinem Fokus: Wirtshäuser und Bistrots, in denen es eine französisch angehauchte Küche gab. Das war zu den Zeiten, als er den „Gemmel" betrieb so, und auch als er das „Peu à Peu" im Mühlenviertel hatte. 2017 übernahm Jürgen Petry das „Gasthaus Zahm", ein großes Haus, von denen es in dieser Art heute nur noch wenige gibt – mit Theke, Gastraum und Nebenzimmer und dazu an beiden Seiten des Hauses jede Menge Sitzplätze im Freien. Am Tag der Wiedereröffnung vorige Woche waren alle Außenplätze schon vor 13 Uhr restlos belegt.
Schmackhaftes aus zwei Ländern
Das altehrwürdige „Gasthaus Zahm" wird im Oktober 110 Jahre alt. Seine Geschichte ist ein Teil der Saarbrücker Geschichte. Im 1911 eröffnete das heutige „Zahm" unter dem Namen „Zum weissen Ross" in der Saarstraße am St. Johanner Markt. Inhaber war damals Heinrich Zahm, ein Pferdezüchter und -händler aus Walsheim im Bliesgau. Er wollte sich in Saarbrücken eine Dependance schaffen und eröffnete neben dem Gasthaus auch noch ein Hotel. Ab 1949 wechselte die Verantwortung zum legendären Jupp Zahm, der zuerst das Haus unter dem Namen „Nassauer Hof" betrieb. Erst 1975 wechselte der Name zu „Gasthaus Zahm".
Als Petry das altehrwürdige Lokal 2017 übernahm, lag das „Gasthaus Zahm" am Boden. Ein Stammpublikum wie in früheren Zeiten gab es nicht mehr. Petry fing damals mit einem französischen und einem deutschen Koch an. Seine Zielsetzung ist bis heute, deutsche Küche, saarländische Küche und französische Bistroküche anzubieten. Die Speisekarte gibt es auch auf Französisch, und mindestens ein Drittel der Gäste stammen auch aus dem Nachbarland.
Doch der Anfang war wie gesagt schwer. Die legendäre Theke im Zahm wurde längst nicht mehr so angenommen wie zu früheren Zeiten mit Hackschnittchen und Frikadellen bei Bier oder Wein. Durch verschiedene Umbauten, etwa den Speiseaufzug, der später eingebaut wurde, verlor sie auch immer mehr an Attraktivität. Die Theke war zudem in die Jahre gekommen und kaputt, die Energiekosten zu hoch.
Petry hatte die Idee, eine ganz neue Thekensituation zu schaffen. Zusammen mit dem Hauseigentümer und der Bruch-Brauerei ging er den Umbau an. Die Kosten wurden geteilt, jede Partei übernahm ein Drittel. Ein lohnendes Investment, denn nach dem Umbau im September 2019 explodierten die Umsatzzahlen am Tresen regelrecht. Bis Corona kam. Als am 18. Mai vorigen Jahres wieder geöffnet werden durfte, freute sich Jürgen Petry in den Folgemonaten „über einen sensationellen Sommer", wie er sagt. „Auch dank der Erweiterung unserer Terrasse in der Evangelisch-Kirch-Straße waren die Zahlen sensationell. Doch leider nur bis Corona das zweite Mal dafür sorgte, dass alle schließen mussten."
Sieben Monate dauerte der zweite Stillstand. Da braucht man als Gastronom einen langen Atem. Immerhin, es gibt ihn noch, den „Zahm", und jetzt versuchen Petry und sein Team, ihren Weg vor Corona weiterzugehen – mit grenzüberschreitender Küche und einem sehr regionalen Touch. Die Küche des „Gasthauses Zahm" ist eine bürgerliche, traditionelle Küche. Mit all den Spezialitäten, die in beiden Ländern geliebt werden. Das wird von den Gästen gern goutiert. Hier gibt es dann auch mal den „Tête de veau", also Kalbskopf, und die Muschelkarte hier hat auch viele Freunde. Nicht nur bei den französischen, auch bei den deutschen Gästen.
Die sieben Monate Stillstand zehrten nicht nur an den Nerven
Warum es gleich mit der Wiedereröffnung wieder rundläuft im „Zahm", hängt zum einen fraglos damit zusammen, dass sich die Menschen einfach darauf freuen, endlich wieder Essen gehen zu können. „Zum anderen hat das aber auch sehr viel mit unserem Küchenchef Fritz Nicoley zu tun. Dieser war früher selber Großgastronom und bringt sehr viele Sachkenntnisse mit. Er ist zwar im rentenfähigen Alter, doch motiviert wie ein Junger." Und das schmeckt man.
Im „Zahm" beschwert sich niemand über Ausgleichszahlungen der Bundesregierung in Corona-Zeiten. Man habe damit zwar nichts verdient, habe damit aber überleben können. Die Zahlungen seien bis auf die Novemberhilfe durchweg pünktlich eingegangen, und so sei man über die Runden gekommen.
Nochmals sieben Monate Schließung wird es sicher nicht mehr geben, da sind sich alle einig. Bald sind die meisten Impfwilligen geimpft, und das Problem wird sich so wie im vergangenen Herbst nicht mehr stellen. Petry ist bis heute nicht vom Lockdown in der Gastronomie überzeugt, aus seiner Sicht sei er die falsche Entscheidung und überflüssig gewesen. Die Probleme hätten an anderen Orten gelegen, nicht in der Gastronomie. Zumal es mit den entsprechenden Konzepten andere Lösungen gegeben hätte
Doch trotz aller Aufbruchstimmung werden Konzerte wohl noch eine ganze Zeit lang im Haus nicht möglich sein. Früher spielte Jürgen Petry mit seiner Band hier gern selbst, lud aber auch immer wieder befreundete Gruppen ein. Wann dies wieder möglich sein wird, liegt trotz rasant steigendender Impfzahlen noch immer in den Sternen.
Was hat die Corona-Pandemie mit ihm selbst gemacht, will ich von ihm wissen. Was die Ungewissheit der beruflichen Zukunft? „Anfangs hat es mich nicht sonderlich belastet" sagt er. „Wir hatten auch keine riesigen finanziellen Probleme. Der Vermieter erließ uns anfangs zwei Mieten, wir hatten ein wenig angespart." Damals war er relativ entspannt. „Doch die vergangenen sieben Monate haben mich doch mehr angekratzt, als ich das anfangs wahrhaben wollte" gibt er zu und schaut ernst: „Es hat mich psychisch belastet, zunehmend mehr. Ich litt an Schlaflosigkeit. Das immer wieder Weiterhangeln zur nächsten Überbrückungshilfe hat Spuren hinterlassen. Dazu die Ungewissheit, ob du überhaupt je wieder aufmachst oder ob du bis dahin noch Personal hast? Gott sei Dank sind sie alle geblieben. Doch in meinem Alter, ich bin 73 Jahre geworden, hast Du nicht mehr so viel Zeit."
Petry hat viel investiert ins „Gasthaus Zahm". Vor fünf Jahren verkaufte er das „Café am Schloss" und den Erlös daraus steckte er in sein letztes großes Projekt – das „Gasthaus Zahm". Wenn es dann zwei Jahre nicht so richtig läuft, ist das ein Problem. Und gerade, als es endlich rundläuft, musst du zusperren. Sieben Monate lang. Das belastete ihn weit mehr als er sich lange selbst zuzugeben bereit war. Ein weiterer Lockdown wäre auch für ihn ein Grund, hinzuschmeißen. Endgültig.
Doch diesen Gedanken schiebt er beiseite, jetzt blickt er erst einmal wieder nach vorne. Ist froh, endlich wieder Gäste begrüßen zu dürfen. Das „Gasthaus Zahm" ist seit Kurzem brauereifrei. Dies bedeutet, es gibt keine Bindung mehr, und neben den Bieren vom Bierbrauer Bruch finden sich jetzt weitere Biere im Angebot. Gezapft oder auch in der Flasche. Etwa Becker Bier, König Pilsener, Bitburger, Rothaus Tannenzäpfle und Bayreuther Helles.
Während wir weiter reden, schleppen viele fleißige Hände eine Portion nach der anderen auf die Terrasse. Neben „Gefüllte nach saarländischer Art" oder „Bouchot-Muscheln" immer auch die Pasteten der beiden Schwestern Délisoeurs. Schön, dass das alles endlich wieder möglich ist.