Die Wähler in Sachsen-Anhalt haben einige Fragen überraschend eindeutig entschieden. Die Konsequenzen der Parteien für die Bundestagswahl sind dagegen noch wenig klar.
In der SPD-Zentrale hat man bereits im Vorfeld von Wahlabenden ein feines Gespür dafür, ob es sich lohnt, Gäste in die Parteizentrale zu laden. Am Abend der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat man lieber gleich ganz darauf verzichtet, die krachende Niederlage war schon im Vorfeld zu spüren. Parteichefin Saskia Esken wurde bei den Fernsehstationen zugeschaltet und freute sich, dass die AfD nicht stärkste Kraft geworden ist. Beinahe klang es so, als sei dies das einzige Hauptziel der Sozialdemokraten beim Urnengang an Elbe und Saale gewesen. Dafür nimmt man nun auch mal ein einstelliges Ergebnis von 8,4 Prozent der Stimmen in Kauf. Immerhin besser als im Nachbarland Sachsen, wo die SPD vor knapp zwei Jahren gerade noch auf 7,7 Prozent der Stimmen gekommen ist. Aber nicht nur die SPD hat verloren, auch die Linke musste Federn lassen. Hier freute sich zwar die neue Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow ebenfalls über das Ergebnis der AfD, die es nicht auf Platz eins geschafft hatte, twitterte allerdings etwas unglücklich: „Die rechten Parteien haben >60 Prozent gewonnen." Diesen Prozentsatz der Rechtsparteien hatte sich die Linke-Chefin aus AfD, CDU und FDP zusammengerechnet, was dann aber Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch gleich postwendend wieder kassierte. Doch auch Bartsch musste eingestehen, dass es neben Sachsen nun auch mit Sachsen-Anhalt ein weiteres Bundesland gibt, in dem SPD und Linke zusammen nicht mal mehr auf 20 Prozent kommen, während die AfD allein in den beiden Ostländern über dieser Marke liegt, in Sachsen sogar bei 27,5 Prozent.
CDU-AfD-Duell hat andere marginalisiert
Wahlforscher verweisen auf den Umstand, dass Wahlen östlich der Elbe auf keinen Fall mit Landtagswahlen im Rest der Republik zu vergleichen sind. Doch ein Blick auf die aktuellen Umfragewerte zur Bundestagswahl aus April und Mai verstärken den Eindruck: Es gibt keine klassische linke Mehrheit mehr in Deutschland. Denn auch da kommt die politische Linke gerade noch so auf 20 Prozent, wohlgemerkt, SPD und Die Linke zusammen. Die Grünen werden schon lang nicht mehr dem linken Lager zugerechnet, auch wenn ihr bundesweites Wahlprogramm mit Ideen wie der Vermögensteuer gespickt werden soll. Sie sind eine urbane Partei, die vor allem in den Städten und Ballungszentren ihre Wähler hat, aber auch dort eben nicht mehr in den Bereichen, die als „linke Milieus" gelten. Die Wähler der Grünen haben überdurchschnittliche Einkommen und sind vorwiegend im Bildungs- und Dienstleistungsbereich beschäftigt, fasst die Bundeszentrale für Politische Bildung Analysen zusammen.
Viele von ihnen haben in jüngeren Lebensjahren eher links gewählt, mit dem beruflichen Aufstieg kam ein politisches Umdenken, das die Grünen nachvollzogen und sich zu einer bürgerlichen Partei gewandelt haben.
Den aktuellen bundesweiten Höhenflug der Grünen will SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nicht so einfach stehen lassen. „Die SPD kann auch noch Wahlen gewinnen", betont er mit dem Beispiel von Malu Dreyers Wahlsieg bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 14. März dieses Jahres. Der Erfolg war aber gleich relativiert, denn noch am gleichen Tag mussten die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg mit elf Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis zur Kenntnis nehmen. Vor allem gilt auch für den Wahlsieg Malu Dreyers: Es war eine reine Personen- und keine Themenwahl. Wirkliche Themen, vor allem klassische linke Themen, wurden gar nicht erst aufgerufen. Ganz abgesehen davon, dass in den beiden westdeutschen Ländern die Linkspartei überhaupt keine Rolle spielt. Es verfestigt sich damit der Eindruck der Identitätskrise im linken politischen Spektrum, sowohl in Ost als auch in West. Die einstige Kernklientel wendet sich ab.
Was die Funktionäre beider Parteien immer wieder aufs Neue fassungslos macht, ist, dass ehemalige Wähler tatsächlich zur AfD überlaufen. Es ist das klassische Protestproblem. Weder Die Linke und schon gar nicht die SPD stehen heute für Protest.
Umfragen ermitteln zwar immer wieder so etwas wie eine Wechselstimmung, zuletzt hat das Institut Allensbach im Mai eine „Wechselstimmung auf Rekordniveau" ausgemacht. Gleichzeitig war davon, wenn es drauf ankam, herzlich wenig zu spüren. Bei den letzten fünf Landtagswahlen wurden, auch wenn es in dem ein oder anderen Fall vorher knapp ausgesehen hatte, schlussendlich die Amtsinhaber bestätigt.
Vor der anstehenden Bundestagswahl stellt sich nun die Frage, welcher Wechsel gemeint sein könnte, wohin gewechselt werden soll. Derzeit stürzen sich alle Parteien vor allem auf das Klima-Thema, so auch die SPD und in Ansätzen die Linke. Damit kann man kaum neue Wähler für sich akquirieren.
Die CDU kann einmal tief durchatmen
Wer das will, entscheidet sich für das Original. Und nach fast anderthalb Jahren Pandemie-Maßnahmen wollen die meisten Menschen ohnehin am liebsten einfach nur noch ihr altes, gewohntes Leben zurück. Das fühlt sich nicht nach Politikwechsel an, den Umfragen zum Trotz.
Für die Wahlkämpfer wird die wohl spannendste Frage der kommenden vier Monate werden: Wie wirkt sich die Pandemie mit allem,was dazugehört auf die Wählerentscheidung aus? Denn so wie es derzeit aussieht, wird keine Partei in den kommenden Wochen einen regelrechten Wahlkampfschlager im Repertoire haben. Bei der Union, die im Übrigen immer noch kein Wahlprogramm hat, ist die Stoßrichtung klar. Im Sinne von Angela Merkel mit Armin Laschet weitermachen wie bisher. Die Grünen wollen auch ins Kanzleramt, allerdings verschweigen sie, ob sie nun mit der Union oder doch lieber mit SPD und den Liberalen regieren wollen. Genau das könnte aber der Wahlkampfrettungsanker für den ein oder anderen sein: Eine klare Koalitionsaussage. Das würde Machtoptionen deutlich machen und damit einen polarisierenden Lagerwahlkampf ermöglichen. Nicht erst seit der Wahl in Sachsen-Anhalt ist bekannt, dass Polarisierungen und zugespitze Alternativen im Wahlkampf mobilisieren. Leidtragende waren in der Vergangenheit praktisch alle Parteien, die nicht in diesem direkten Zweikampf standen. Eine Lagerwahl etwa nach dem Motto „Bürgerliche gegen Progressive" ist zudem mit den heutigen Grünen nicht zu machen. Ein klares Bekenntnis, bürgerliche Partei geworden zu sein, würde dem jahrzehntelang aufgebauten Image als progressive, linke Partei, das weiter nachhallt, schaden. Umgekehrt würde eine zu progressive Programmatik bürgerliche Wähler abschrecken.
Und auch wenn derzeit die Lage nicht danach aussieht, als könnte für irgendeine Konstellation die Frage auftauchen, müssten SPD und Linke klären, wie es auf Bundesebene zusammenpassen könnte. Dass es für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch politisch-inhaltlich funktionieren könnte, steht außer Frage, aber ob die Parteibasis da mitmacht, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Die Union darf nach schweren Wochen und Monaten tief Luft holen, dank Reiner Haseloffs Überraschungssieg. Aber schon die ersten Debattenbeiträge, nachdem sich der Jubel etwas gelegt hat, machen deutlich, wie groß der interne Klärungsbedarf auch jenseits der Frage nach dem Verhältnis zur AfD, die Haseloff eindeutig geklärt hat, nach wie vor ist.