Namibias Wüstenlandschaft hat sich überraschend verwandelt: Nach Jahren der Dürre gab es endlich wieder Regen. Zwischen den Dünen der Namib und den Schluchten der Naukluftberge sprießt frisches Gras. Lilienfelder zieren einst karge Lehmpfannen, das staubtrockene Sossusvlei hat sich in einen See verwandelt – ein einzigartiges Naturschauspiel.
Raus aus dem Bett, rein in die Windjacke, raus ins Freie! Mit Schlaf in den Augen steigt man, gefühlt noch mitten in der Nacht, in den offenen Geländewagen. Über holprige Pisten geht es auf einen Hügel, in Erwartung des Feuerballs, der das im Dämmerlicht noch monochrome Land in eine der Farben verwandeln wird. Als die Sonne die Gipfel der Berge im Osten erklommen hat, leuchten sie purpurrot: Dünen, mal sternförmig mit kantigen Spitzen, mal nebeneinander geschichtet wie Daunenkissen. Sandwelle folgt auf Sandwelle folgt auf Sandwelle – eine wogende Landschaft so weit das Auge reicht, scheinbar unendlich wie ein Ozean.
Seit Millionen von Jahren erglüht die älteste Wüste der Welt jeden Morgen aufs Neue. Die Namib ist lebensfeindlich in ihrer extremen Trockenheit: Hier existiert nur, wer sich anpasst – wie jene bellenden Geckos, die sich auf den Dünen so aufstellen, dass die Wassertropfen aus dem Nebel auf ihren Augen kondensieren. Doch nun setzt die Natur ein Ausrufezeichen, verwandelt alles und ergänzt die Palette aus Ockertönen um die Schattierungen saftigen Lebens. Meterhoch steht jetzt Gras in den Tälern. Wiesen breiten sich aus, wo sonst nur toter Stein zu leben scheint. Selbst die Dünen legen grünes Make-up auf. Die Wüste blüht.
Was braucht es, damit das Wunder geschieht? „Na, so etwa 35 Millimeter Regen", sagt Oliver Morgan, ein Mann mit derart festem Händedruck, dass er einem fast die Knochen knackt. Morgan ist einer jener geradlinigen Farmer, von denen es in Namibia viele gibt. Übertriebene Sentimentalität ist ihm fremd. Dann aber denkt er nach, lächelt. „Einen Funken Magie braucht es auch. Sonst wird das nix."
„So schön wie lange nicht mehr"
Die Niederschläge dürfen nicht zu früh in der Regensaison kommen und nicht zu spät, müssen an den richtigen Stellen und auf einen Schlag niedergehen. Wenn wirklich alles passt, verwandelt sich die sonst kahle, staubtrockene Lehmpfanne vor dem Farmhaus, in dem Oliver Morgan mit seiner Familie lebt. Tage später breitet sich ein Meer aus Blüten aus: Millionen von Lilien öffnen ihre Kelche.
„Auch uns hat die Dürre der letzten Jahre leider voll erwischt", erzählt Farmer Oliver Morgan. Alle Schafe und viele Rinder musste er deswegen verkaufen und hält sich nun mit der Zucht von Burenziegen über Wasser. Doch das ist nun vergessen, denn endlich blühen die Lilien wieder in all ihrer Pracht: „2021 ist es so schön wie lange nicht mehr." 770 Hektar misst die Lehmpfanne, das entspricht der Fläche von mehr als tausend Fußballfeldern. Bis zum Horizont schaukeln dort weiße, rosafarbene und zart violett leuchtende Blüten im Wind.
Damit das kein Privatvergnügen bleibt, öffnet Oliver Morgan für ein paar Tage die Tore seiner Farm „Sandhof". Die liegt nördlich des Dorfes Maltahöhe, ein paar Kilometer abseits der Strecke zwischen Namibias Hauptstadt Windhuk und der Namibwüste. Tausende Besucher genießen dann den Anblick der vergänglichen Pracht. Die spektakuläre Orgie von Mutter Natur ist nämlich nach kurzer Zeit schon wieder vorbei. Die zarten Blüten von Crinum paludosum, einer Hakenlilie aus der Familie der Amaryllisgewächse, verwelken schnell unter der sengenden Sonne. Doch anderswo im Land bleibt die Landschaft viel länger verzaubert.
Nach einer jahrelangen Trockenperiode hat es im Südwesten Namibias endlich wieder ausgiebig geregnet. Erst Mitte des Jahres werden die Meteorologen alle Daten beisammen haben. Doch schon jetzt steht fest: Einzelne Wetterstationen melden Werte, die sogar die Niederschläge von 2011 übertreffen – damals sprach man von einem Jahrhundertregen. Zwischen den roten Dünen der Namib, in der weiter östlich gelegenen Savanne, in den Bergen des Hinterlands: Überall sprießt frisches Grün. Längst versiegte Quellen beginnen wieder zu sprudeln. Und mitten im Sandmeer der Wüste spiegeln keine Fata Morganas glitzerndes Wasser vor: Die Lehmpfannen haben sich tatsächlich in Seen verwandelt.
„Oft regnet es in der Region spät, manchmal sogar erst Ende April", erklärt Manie Le Roux, Chefaufseher im 50.000 Quadratkilometer großen Namib-Naukluft Nationalpark. „2021 gab es aber vor allem in den Bergen im Osten schon im Januar ungewöhnlich reichlich Niederschlag." In den letzten Jahren fanden die Hartmann-Bergzebras dort wegen der Dürre kaum noch etwas zu fressen und wanderten in großen Herden hinunter in die Ebenen. Nun sind sie zurück in ihrem angestammten Territorium auf dem Plateau der Naukluft und dürften sich dort fühlen wie im Schlaraffenland. Denn die Berge sind so grün, wie sie selbst Namibia-Kenner lange nicht gesehen haben. Nach der Corona-Zwangspause im vergangenen Jahr kommen nun die Reisenden zurück. Von allen Ländern der Welt ist nur die Mongolei dünner besiedelt als Namibia. Das freut nicht nur alle Fans einsamer Landschaften, sondern ist in Zeiten einer Pandemie ein Bonus.
Auf dem Weg zur Teufelsschlucht
„Nou kloof" heißt auf Afrikaans enge Schlucht, und der Name ist Programm. Um das auf mehr als 1.900 Höhenmeter aufragende Gebirge zu erkunden, kann man im Nationalpark acht Tage auf dem strapaziösen Naukluft-Trail wandern, muss aber Ausrüstung und Proviant die Schluchten hoch- und runterschleppen. Entspannter geht es beim Nachbarn Büllsport zu. Auf der 10.000 Hektar großen Gästefarm mit dem ungewöhnlichen Namen (wer etwas Fantasie hat, erkennt im Hausberg eine Steinformation, die aussieht wie ein Bullenmaul) gibt es 14 ausgeschilderte Wanderwege. Die schönste Tour führt vorbei an Felsen aus Dolomitgestein und Schiefer durch eine Schlucht voller riesiger Köcherbäume. Dort hat sich dieses Jahr in den Gumpen so viel Wasser angesammelt, dass man zur Abkühlung darin schwimmen kann. Am Abend serviert Köchin Paulina dann rosa gebratene Oryxfilets aus der Farmküche.
Am nächsten Morgen begleitet einen Inhaber Ernst Sauber auf dem Trail zum Bogenfels. Der liegt so abgeschieden, dass der Landcruiser erst ziemlich rackern muss, bis man die Wanderstiefel schnüren kann. Wie dieses Wunder der Natur von den deutschen Geologen Henno Martin und Hermann Korn vor dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurde (die beiden wurden bekannt als Protagonisten des Buches „Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste"), wie der Bogenfels später in Vergessenheit geraten und schließlich per Zufall wieder entdeckt worden ist, lässt man sich am besten vor Ort erzählen – es ist eine gute Entschuldigung, um auf dem Weg in die Teufelsschlucht eine Pause einlegen zu können.
Ernst Sauber zeigt aber auch den Wunderbusch, der wie ein Reisigbesen in der Landschaft steht, nach dem Regen aber innerhalb weniger Stunden grüne Blätter bekommt – eine Verwandlung vom Aschenputtel zur Prinzessin. Die Farmer kennen hier übrigens so viele verschiedene Begriffe für Regen wie die Inuit in der Arktis für Schnee – „staubnass" beispielsweise für ein paar vereinzelte Tröpfchen oder „spurtod", wenn im Veld die ersten Tierfährten verschwinden.
Auch die weite Ebene zwischen den Bergen im Osten und der Namib im Westen hat sich durch den Regen verwandelt. Guide Anselm, den sie hier alle unter dem Spitznamen TK kennen, arbeitet für die „Desert Homestead Lodge". „Im Dezember habe ich den Gästen noch viel aus der Erdgeschichte erzählt – es gab ja nach all den Dürrejahren kaum noch etwas anderes zu sehen als Steine, Steine, Steine", erzählt er bei einer Wanderung durch kniehohes Gras. Er erklärt Pioniere, die innerhalb einer Woche neue Samen produzieren. Aber auch Marathonpflanzen, die zum Wachsen viel länger brauchen, dafür aber mehrjährig sind. Abend für Abend wogen hier die Halme, als seien es die Wellen eines endlosen Ozeans – und die silbern schimmernden Spitzen des Buschmanngrases die weiße Gischt.
Mehr Freiraum für das Wild
Mit über 200.000 Hektar Fläche ist das Namib Rand Nature Reserve mehr als doppelt so groß wie Berlin und nahezu so groß wie das Saarland. Seit über 25 Jahren setzt man hier in den Camps von Wolwedans auf sanften Tourismus. Doch selbst erfahrene Guides wie Mario Irion müssen nun in Botanik-Handbüchern nachschlagen, wenn sie zwischen den Dünen auf Scenic Drives gehen. „Die Blumen, die Insekten: Ich dachte, ich würde mich auskennen. Doch jetzt ist alles neu für mich – und es geht wieder mit dem Lernen los", meint der sympathische junge Mann. Astern und Butterblumen, Nesterkraut und Morgenstern, Damaraland-Erbsen und Kap-Sesam sind gerade allgegenwärtig. Doch wer weiß schon, welche Arten anschließend übernehmen?
Nach acht Jahren Trockenheit mit zum Teil nur 20 Millimetern Niederschlag pro Regensaison ist die Dürre in Namibias Südwesten nun hoffentlich vorbei. „Bis sich alles erholt, braucht es jetzt viele gute Jahre", meint Lee Tindall. Als Forschungsbeauftragte koordiniert sie die Arbeit von Wissenschaftlern, die im Namib Rand Nature Reserve arbeiten. Anfang Januar konnte sie einen Wasserfall hinter ihrem Haus filmen, so heftig waren die Schauer. „Gut so: Länger hätten viele Pflanzen und Tiere wohl nicht durchgehalten." Das Konzept des Naturschutzgebiets, dem Wild Freiraum zu geben, statt das Land immer weiter durch Zäune zu parzellieren, hat sich in den schwierigen Jahren als Segen erwiesen. Auf der Suche nach Futter und Wasser können Oryxantilopen und Springböcke heute wieder wandern wie früher. Untersuchungen zeigen, dass sie dabei Hunderte Kilometer zurücklegen.
Auch das sich in den eigentlich trockenen Rivieren sammelnde Wasser nimmt eine weite Reise, bis die Fluten am Ende von den Dünen der Namib gestoppt werden. Nach dem starken Regen in der Naukluft sind mit dem Tsondab und dem Tsauchab Anfang des Jahres gleich beide große Trockenflüsse in ihrer kompletten Breite abgegangen. Um das zu erkennen, geht es in die Luft, für einen Rundflug im Kleinflugzeug und eine morgendliche Fahrt im Heißluftballon. Denn seit sich die Landschaft verwandelt hat, ist der Blick aus der Luft ein neuer.
Der Tsauchab hat den Sesriem Canyon geflutet – das Wasser steht hier Monate später immer noch. Etwas weiter sieht man rote Dünen, bläulich schimmernde Marmorberge und die grünen Galeriewälder der Trockenflüsse, gesäumt von knorrigen Kameldornbäumen. Im Osten, wo die Savanne beginnt, perforieren runde Stellen das sich langsam gelb und braun verfärbende Gras. Die Landschaft wirkt hier durchlöchert wie ein Emmentaler. Doch wer knabbert dort?
Feenkreise nennt man das Phänomen, weil es Geschichten von Frauen in langen Gewändern gibt, die hier des Nachts angeblich tanzen. Wer diese Erklärung für esoterischen Hokuspokus hält, hat selbstverständlich Recht. Dabei ist die Idee mit den Feen gar nicht die irrste Hypothese, die schon ins Spiel gebracht wurde. Kosmische Strahlen, Meteoriteneinschläge oder die Außerirdischen kommen als Ursache für die Entstehung der Kahlstellen wohl ebenso wenig infrage. Die vegetationslosen Formationen, an deren Rändern das Gras erstaunlicherweise umso kräftiger wächst, haben meist einen Durchmesser von zwei bis fünf Metern, manchmal aber auch einen von über zehn oder 20.
Wüstenmelonen wachsen, Libellen summen
Oryxantilopen und Zebras nutzen sie gern für ihre Staubbäder, scheiden aber als Urheber aus. Durch Satellitenbilder ist belegt, dass die Flecken plötzlich entstehen und nach einigen Jahren wieder verschwinden. Möglicherweise sind es Termiten, die im Untergrund jede Wurzel abnagen und so die unbewachsenen Kreise schaffen. Es könnte indes auch sein, dass die Gräser die Flecken entstehen lassen – in einem selbst organisierten Prozess der Pflanzen in ihrem Wettstreit um die karge Ressource Wasser. Es scheint als schütze die Namibwüste ihre Geheimnisse: Trotz vieler Jahre der Forschung hat keiner der Wissenschaftler alle Argumente der Gegenseite widerlegen und das Rätsel lösen können.
Zurück auf den Boden der Tatsachen: Um das ganze Ausmaß des Regens zu erfassen, geht es mit dem Auto die 60 Kilometer vom Parkeingang des Namib-Naukluft Nationalparks in Sesriem ans Ende des Tals. Dort haben sich die Dünen entschieden, nicht mehr weiter zu wandern, und versperren so dem Tsauchab den Weg zur Küste. Erstmals seit 2011 ist die Lehmpfanne Sossusvlei nun wieder mit Wasser gefüllt. Wer dort auf die Düne Big Mama klettert, sieht auch Wasser im Naravlei, wo viele der stacheligen Wüstenmelonen wachsen. Sogar die große, neben dem Dead Vlei liegende Cessna Pan hat sich in einen See verwandelt. Dort spiegeln sich uralte Bäume im Wasser, Libellen summen, Frösche quaken.
„Überall ist Wasser – so viel, wie ich es in meinen 18 Jahren im Park noch nie gesehen habe", meint Manie Le Roux, der Chief Warden des Namib-Naukluft Parks. Seine Prognose: Bis in den Juli hinein, vielleicht sogar den August, wird man das Wunder der Natur noch erleben können. „Oder noch länger – wenn es jetzt noch einmal stark regnet und sich die Wüste aufs Neue verwandelt."