Autofabriken stehen still, Preise für Computerteile schießen in die Höhe. Weltweit ist der Bedarf an Halbleitern höher als das Angebot. Wie konnte es dazu kommen? Logistik-Experte Prof. Dr. Stefan Spinler hat mehrere Gründe dafür ausgemacht, die Pandemie ist nur einer davon.
Herr Prof. Spinler, wie konnte es zu einer Knappheit von Halbleitern kommen?
Der Hauptauslöser ist die Corona-Pandemie. In der ersten Phase Anfang 2020 reduzierte die Automobilbranche ihre Produktion, also auch ihren Bedarf an Halbleitern. Man ging davon aus, dass die Erholung eher langsam vonstattengehen würde. Seitens der Produktion gab es zudem Ausfälle, weil es in einem US-Werk in Austin zu Stromausfällen gekommen war und es in einem anderen Werk in Japan brannte. Ein weiterer Punkt: Die Halbleiter werden eben nicht nur im Auto, sondern auch in der Computerindustrie verwendet. Dadurch, dass viele Menschen pandemiebedingt zu Hause arbeiteten, haben sie sich mit Computerprodukten, aber auch der neuesten Unterhaltungselektronik eingedeckt. An dieser Stelle ist die Nachfrage also ebenfalls, parallel mit dem Wiederanlaufen der Autofabriken, gestiegen.
Erhalten die Autobauer keine Chips derzeit, weil diese eher in den neuen Spielkonsolen stecken?
Die Halbleiter-Hersteller entscheiden natürlich auch je nach Preismarge, wer wann etwas erhält. Die Marge in der Unterhaltungselektronik ist viel höher als in der Automobil-Zuliefererbranche. Deshalb gehen diese Bausteine eher in den Bereich der Consumer-Elektronik.
Gibt es auch Probleme aufseiten der Lieferketten zwischen Europa, Asien und den USA? Hat auch der kürzlich quer steckende Frachter im Suezkanal etwas damit zu tun?
Das halte ich weniger für ein Problem. Die Halbleiterchips werden weniger per Schiff als per Luftfracht transportiert. Container per Schiff zu befüllen und zu transportieren dauert circa drei bis vier Wochen. Der Preisverfall bei diesen Bausteinen findet allerdings sehr schnell statt, weshalb diese auch schnell transportiert werden müssen. Per Schiff wäre günstiger, aber die teureren Chips rechtfertigen einen Transport per Luftfracht. Natürlich ist während der Pandemie auch der Luftfrachtverkehr eingeschränkt gewesen, sodass dies auch einen Effekt gehabt haben könnte, aber insgesamt, so glaube ich, hatte dies weniger Einfluss auf den Preis und die Verfügbarkeit. Hinzu kommen die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China. Zwischenzeitlich haben chinesische Firmen keinen Zugriff mehr auf amerikanische Halbleiter. Das führte dazu, dass Firmen wie Huawei den Weltmarkt leer gekauft haben.
Berichte über neue Digitalwährungen und deren Kurse häufen sich in den vergangenen Monaten, führt verstärktes Bitcoin-Mining ebenfalls zu diesem Preisanstieg?
Ja, bedingt. Das Bitcoin-Mining erfordert rechenintensive Anwendungen auf spezialisierten Rechnerbauteilen, vor allem Grafikprozessoren. Digitalwährungen versprechen natürlich eine hohe Marge, weshalb auch viele Halbleiter-Bauteile für diese Technologie aufgewendet werden. Aber es ist nur ein kleiner Teil des Effektes.
Als Flaschenhals stellt sich nun die Produktionskapazität weltweit dar, den Löwenanteil produzieren die Unternehmen TSMC in Taiwan und Samsung in Südkorea. Wie steht es um neue Produktionsstätten?
Es gibt tatsächlich nur diese beiden mit großen Produktionskapazitäten. Mittlerweile haben TSMC, aber auch Intel angekündigt, ihre Kapazitäten auszuweiten. Aber das dauert. TSMC hatte beispielsweise Pläne, in Arizona zu investieren. Werden dort die Produktionskapazitäten erhöht, dauert dies bis zu zwei Jahren. Kurzfristig anpassbar sind diese also nicht. Kleinere Akteure können natürlich nur bedingt in die Bresche springen. Dort müsste aber sichergestellt sein, dass sie überhaupt die entsprechenden Anlagen besitzen, um die erforderlichen Chips herzustellen. Diese Hightech-Produkte sind in ihren Produktionsprozessen schwierig. Es dauert drei bis fünf Monate je nach technologischer Komplexität, bis ein solcher Chip das Werk verlässt. Diese langen Produktionszeiten merken wir nun deutlich.
Glauben Sie, dass die Politik daran eine Mitschuld trägt, dass die Automobilhersteller bei ihren Chipbestellungen heute hinterherhinken?
Ich denke schon. Planungssicherheit war da nicht gegeben, dies war sicherlich ein Teilproblem. Die Vorausplanung wurde erschwert, weil die Politik eher ad hoc reagierte und keinen längerfristigen transparenten Plan vorlegte. Ein weiterer Punkt ist aber auch, dass die Automobilindustrie nicht auf Lagerbestände zurückgreifen konnte. Schlanke Produktion ist das Stichwort, und schlank bedeutet eben auch, kaum Lagerbestände aufzuweisen und nur so viel zu bestellen wie auch direkt verbaut werden kann.
Sehen Sie Tendenzen weg von der Lean Production wieder hin zur Lagerhaltung?
Ja, es gibt Stimmen aus der Industrie, die fordern, dass man sich angesichts dieser Produktionsausfälle grundsätzlich überlegen muss, welche Komponenten und Bauteile in einem Pufferlager vorgehalten werden sollten. Grundsätzlich ist diese Halbleiterknappheit ein Weckruf, weil sie in immer mehr Produkten enthalten sind. Auch geopolitisch ergeben sich ja möglicherweise Zwänge, weil die Beziehungen zwischen Taiwan und China derzeit stark angespannt sind. Deshalb wird auch die Branche der Unterhaltungselektronik darüber nachdenken, ihre Verträge mit den Chiplieferanten anzupassen und vielleicht garantierte Liefermengen zu vereinbaren. Die Halbleiterindustrie wird ihre Marktmacht dazu einsetzen, auf Lagerhaltung zu pochen, um eine solche Situation nicht mehr entstehen zu lassen.
Die deutschen Autobauer kämpfen derzeit an vielen Fronten, viele Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Verbraucher dagegen werden mit Mondpreisen zum Beispiel bei Grafikkarten konfrontiert. Wann, glauben Sie, ist die Durststrecke vorüber?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Es gibt Stimmen, die 2022 ins Spiel gebracht haben. Meine Erwartung ist, dass die Lieferungen mindestens bis ins dritte Quartal knapp bleiben. Speziell bei den Automobilherstellern müsste man schauen, ob man die Produktion und die Bauteile verändert, um ungehindert weiter produzieren zu können.