Der Aiways U5 ist eines der ersten elektrischen SUV aus China auf dem deutschen Markt – der Hersteller erhebt „Premiumanspruch". Berechtigterweise? Wir sind es gefahren.
Kein Knopf, kein Taster – mit einem Druck auf das Bremspedal werden die Systeme zum Leben erweckt. Die Cockpit-Displays starten mit einem Animationsfeuerwerk. Das Herstellerlogo weicht Digitaltacho und virtuellen Tasten. Jetzt noch die Parkbremse lösen, und der U5 kann losgleiten. So unkonventionell der Motorstart auch ist, Hersteller Aiways verspricht volle Alltagstauglichkeit und eine Reichweite von „400+".
Der Aiways U5 ist eines der ersten E-SUV aus China, das den deutschen Markt erreicht hat. Seit Sommer 2020 kann es bestellt werden, mittlerweile ist chinesische Konkurrenz von Herstellern wie Jac oder MG nachgerückt. Nio, das ebenfalls mit einem E-SUV nach Deutschland kommt, liefert sein Modell ab September aus. Vor allem Nio werden schon jetzt von Autoexperten wie Ferdinand Dudenhöffer hohe Qualitätsstandards nachgesagt. Auch Aiways, ein 2017 gegründetes Start-up, tritt selbstbewusst auf. Ziel sei, „die Elektromobilität im Premiumsegment neu zu definieren".
Nähert man sich mit dem Funkschlüssel, stellen sich die im Blech integrierten Türgriffe surrend nach außen. Der dank großem Glasschiebedach lichtdurchflutete Innenraum empfängt mit freundlichem Ambiente – was auch der hellen Einrichtung zuzuschreiben ist. Vorn wie hinten nimmt man auf altweißen Ledersitzen Platz, das Armaturenbrett ist mit geraden Linien klar und wenig verspielt gestaltet. Wenn es dunkel ist, glimmt Ambiente-Beleuchtung auf, die teils jedoch für Reflexionen in den Seitenscheiben sorgt, und passende Handys können induktiv geladen werden. Wer schon einmal in einem Tesla unterwegs war, wird sich an dessen kühlen Wohlfühlfaktor erinnert fühlen.
Nur die Verarbeitungsqualität wirkt auf den ersten Blick solider als in frühen Stromern des kalifornischen E-Auto-Pioniers, und die Displays fallen kleiner aus. Riesig dagegen ist das Platzangebot für die Insassen. Der Fußraum ist vorn wie hinten gigantisch. Vor allem im Fond wirkt das schon fast wohnlich. Das Raumkonzept macht auch viel Zuladung möglich. Sind die Sitze nach vorne geklappt, fasst das Ladevolumen allein bis zur Fensterkante 1.555 Liter, bleiben die Sitze aufrecht, passen dahinter immerhin noch 432 Liter. Praktisch ist der doppelte Boden mit Fächern, um kleinere Dinge rutschfest zu verstauen. Die mitgelieferten Ladekabel, darunter für die heimische Steckdose und eines nach Typ-2-Standard für dreiphasiges Laden, finden in einem Aufbewahrungsfach unter der Fronthaube Platz.
Solide Straßenlage, aber kein Kurvenräuber
Als wir losfahren, werden 374 Kilometer und 94 Prozent Ladung angezeigt. Die Beschleunigung ist elektrisch-spritzig, doch bringt der Antrieb seine Kraft mitunter nicht gänzlich auf den Asphalt. Wer mit nur leicht eingeschlagenem Lenkrad oder bei feuchter Fahrbahn das Fahrpedal aus dem Stand durchdrückt, kann den frontgetriebenen 1,7-Tonnen-Stromer schlupfen lassen. Die ansatzweise durchdrehenden Räder werden von den Regelungssystemen schnell wieder zu voller Bodenhaftung verpflichtet. Elektrische Allradler aber bringen ihre Adhoc-Power besser auf die Straße – doch ein über alle Viere angetriebener U5 ist laut Auskunft des Herstellers nicht geplant.
Der Federungskomfort geht in Ordnung. Weil die Batterien im Sandwichboden untergebracht sind, liegt das SUV satt auf der Straße, was auch dem Kurvenverhalten zugutekommt.
Ein Kurvenräuber ist das hohe SUV dennoch nicht, die Lenkung ist dazu zu leichtgängig und vermittelt kaum Gefühl für die Straße. Dafür rangiert es sich im U5 gut und ohne viel Kraftaufwand; warum sich die Vorderräder für einen besseren Wendekreis aber nicht weiter einschlagen lassen, bleibt unklar. Der Raum am Vorderwagen ist bei E-Autos, die keinen platzraubenden Verbrennungsmotor mehr besitzen, grundsätzlich für solche Verfeinerungen besser nutzbar.
Wir fahren an einer Ladesäule vor, an der zwei vom Hersteller mitgegebene Ladekarten nicht funktionieren. Ein Anruf bei den zuständigen Stadtwerken: Der fachlich versierte Mitarbeiter sei schon im Feierabend, man selbst habe keine Ahnung. Eine Einzelerfahrung ist das, aber sie steht stellvertretend dafür, dass das dürftige öffentliche Ladenetz für E-Autos noch ein Nadelöhr bei deren weiterer Verbreitung darstellt – allen ausgezahlten Umweltprämien zum Trotz, die den Absatz von Stromern in den vergangenen Monaten deutlich erhöht haben. Ändern soll daran ein jüngst vom Bundestag beschlossenes Gesetz zum Aufbau eines Netzes von Schnellladesäulen, das bis 2023 mit staatlicher Förderung 1.000 neue Standorte mit je mehreren Ladesäulen vorsieht.
Position des Ladeanschlusses etwas ungünstig
Bevor ab einem Ladezustand von 20 Prozent, der noch rund 50 bis 60 Kilometer bietet, Reichweitenangst in uns hochkriecht, ist schließlich doch noch eine passende Ladesäule gefunden. Die fahrzeugseitigen Buchsen sind unter dem linken Frontscheinwerfer hinter einer arretierbaren Abdeckung aus Hartplastik untergebracht. Ist es draußen schon dämmrig, und die automatische Fahrzeugbeleuchtung hat sich angeschaltet, muss man sich tief bücken, um beim Einstöpseln des Ladekabels nicht geblendet zu werden.
Während des Ladevorgangs geizt der U5 dazu mit Informationen: Lediglich, dass geladen wird, nicht aber die Ladeleistung oder die griffige Angabe „Kilometer pro Minute" gibt er preis. So müsste man anhand der Ladeleistung, die das Ladesäulendisplay angibt, nachrechnen. Wir haben auf unserer Fahrt Zeit und nutzen den Stopp für eine Pause. Laut Aiways dauert die CCS-Schnellladung von 20 auf 80 Prozent 35 Minuten. In der Hälfte der Zeit schaffen wir immerhin knapp 15 kWh. Der WLTP-genormte Verbrauch liegt bei nur 17,0 kWh, angezeigt bekommen wir nach 200 Kilometern moderater Fahrt auf Autobahn und Bundesstraße aber 24 kWh.
Die Batterie fasst 63 Kilowattstunden, das ist eine konkurrenzfähige Kapazität. Im Winter beheizt wird die Antriebsbatterie allerdings nicht. Andere Hersteller machen das, um den Wirkungsgrad des Energiespeichers aufrecht zu halten. Auch auf eine Wärmepumpe verzichtet Aiways, die in anderen Stromern dafür sorgt, dass Abwärme für die Beheizung des Innenraums genutzt wird – ein Energiespartrick, der die winterliche Reichweite erhöhen kann, dem sich der U5 aber nicht bedient. Dafür ist die Serienausstattung mit adaptivem Tempomaten, Müdigkeitserkennung und weiteren Assistenten umfangreich.
Zweites Modell U6 wird über Euronics vertrieben
Dass das China-SUV im Detail nicht ganz ausgereift ist, zeigen der unverhofft auf Englisch kommunizierende und ruppig anfahrende Einparkassistent, der mit fortwährendem Zucken störend nachkorrigierende Spurhalteassistent oder das „intelligente Fernlicht", das zu oft auf- und abblendet. Im Euro-NCAP-Crashtest schnitt der U5 2019 mit drei von fünf Sternen mittelmäßig ab, daraufhin hat Aiways den Zeitpunkt der Airbag-Auslösung geändert und nach eigenen Angaben so viel nachgearbeitet, dass der U5 jetzt besser abschneiden würde.
Das zentrale 12,3-Zoll-Touchdisplay nimmt Befehle zudem nicht ganz verzögerungsfrei entgegen – das birgt Ablenkungspotenzial. Auch fehlt ein Navi, der U5 hat Software, Karten, Technik und Kosten aufs Smartphone outgesourct. Premium geht anders, aber dafür unterbietet der U5 beim Preis viele im Format vergleichbare Stromer am Markt. Ein heckgetriebener Ford Mustang Mach-e kostet 46.900 Euro, hat aber eine größere Antriebsbatterie (75,7 kWh), ein Audi e-tron 69.100 Euro (71 kWh). In ähnlichen Gefilden fährt der VW ID.4 mit Heckantrieb (mindestens 38.450 Euro), der aber eine kleinere Batterie bietet (52 kWh). Wer über ein E-SUV im Coupé-Stil nachdenkt, kann wahlweise bis zum Jahresende warten, für das Aiways sein zweites Modell, den U6, angekündigt hat. Das Fahrzeug baut wie der U5 auf der eigens entwickelten MAS-Plattform (More Adaptable Structure) auf.
Beim Vertriebsmodell kooperiert das Start-up mit Euronics. Erstmals wird ein E-Auto in Deutschland über einen Elektrogeräte-Händler verkauft. Für Service, Reparaturen und Updates sorgt die Werkstattkette ATU. Und für die ersten drei Jahre ab Kauf gibt’s ein Versprechen: eine kostenlose Pannenhilfe durch den ADAC, selbst wenn man selbst verschuldet mit vollständig entladener Batterie nicht weiterkomme, heißt es. Das hört sich schon eher nach Premium an – muss sich als neues Vertriebs- und Servicemodell aber erst noch bewähren.