Unverpackt-Läden bieten Waren für den täglichen Bedarf, weshalb sie in der Pandemiezeit öffnen durften. Was für Menschen kaufen dort ein? Und setzen sie auch sonst in ihrem Alltag den Gedanken der Minimierung des Müllaufkommens um? Zu Besuch in zwei Unverpackt-Läden – in Saarbrücken und Saarlouis.
Gerade als Anja Wahrheit mit EC-Karte ihren Einkauf bezahlen will, tritt ein technisches Problem mit dem Kartenlesegerät auf. Weil sie nicht genug Bargeld dabeihat, muss sie zum Geldautomaten gehen. Ihre Einkaufstaschen kann sie dafür an einem verregneten Maitag im Unverpackt-Laden Saarlouis stehen lassen. Die 37-Jährige lebt seit fast sieben Jahren in Berlin, arbeitet als freiberufliche Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Am Anfang war es für sie schon ein kleines Problem, sich vor jedem Einkauf zu fragen: Was will ich kaufen? Welche Gefäße, welche Stoffbeutel brauche ich? Doch das hat sich inzwischen eingespielt: Für manche Sachen nimmt sie Einmachgläser, für das Abfüllen von Gewürzen eignen sich kleinere wiederverwertete Gläser, trockene Ware wie Nudeln, Reis und Hirse füllt sie erst in Stoffbeutel und zu Hause in Einmachgläser um. Nicht nur wenn sie im Saarland ihre Eltern besucht, kauft sie unverpackt ein. In Berlin läuft sie nur zehn Minuten zu Fuß von ihrer Wohnung bis zu ihrem Unverpackt-Stammladen. „Als ich nach Kreuzberg gezogen bin, dachte ich, wenn ich da schon wohne, kann ich auf jeden Fall gut unverpackt einkaufen", erzählt die gebürtige Saarlouiserin. Der Saarlouiser Laden, den sie irgendwann auf Instagram entdeckte, habe sein Sortiment stetig erweitert. „Richtig gut sortiert" sei er mittlerweile, meint sie. Anders als im Unverpackt-Laden in Berlin-Kreuzberg, könne sie in Saarlouis beispielsweise Obst, Gemüse und Käse kaufen.
Vor knapp einem Jahr öffnete der Laden in der Nähe des Großen Marktes, mitten in Saarlouis’ Shoppingmeile, seine Pforten – doch an Laufkundschaft und entsprechender Frequenz fehlt es bislang noch. „Wir möchten, dass unverpacktes Einkaufen gesellschaftsfähig wird. Unverpackt einkaufen ist super einfach und kann jeder", sagt der Geschäftsführer von Unverpackt Saar, Nicki Herl, der ein Team mit vier Angestellten beschäftigt. Gleichzeitig stellt er klar, dass ihn kein Missionierungsgedanke antreibt, vielmehr wolle er einen „Weg aufzeigen, den man gehen kann, aber nicht muss". Wichtiger als der Umsatz ist Nicki Herl die Nähe zu den Kunden, dass man sich Zeit für ein kurzes Gespräch nimmt und dabei Rezepte oder Do-it-yourself-Anleitungen austauscht.
Der 26-Jährige erzählt, wie sein Großvater ihn im Kindesalter für Mülltrennung, Lebensmittelwertschätzung und Naturverbundenheit sensibilisierte. Derart geprägt durch seinen Großvater, entschied er sich später bewusst dafür, Müll im Alltag zu reduzieren. Irgendwann interessierten sich Nicki Herl und seine frühere Partnerin dafür, wo sie in der umliegenden Region unverpackt einkaufen können, Trier und Saarbrücken kamen für sie infrage. „Wir sind nach Trier gefahren, haben dort eingekauft und fanden das supertoll", sagt der ausgebildete Altenpfleger, der als zweites Standbein in der privaten Intensivpflege tätig ist.
Für eine bewusste Ernährung
Danach nahm seine Freundin Lena Reichert Kontakt zu dem Inhaber des Trierer Unverpackt-Ladens auf, zumal sie in einer Nachhaltigkeitsinitiative aktiv war und ihn wegen einer Präsentation anfragen wollte. Der Unverpackt-Akteur aus Trier wiederum signalisierte dem Paar seine volle Unterstützung, wenn sie in Saarlouis einen eigenen Laden eröffnen würden. „Ich war Feuer und Flamme, habe aber gesagt: Lass uns noch mal eine Nacht drüber schlafen", sagt Nicki Herl, der sich selbstständig machen und seine eigenen Werte leben wollte. Tags darauf war der Entschluss gefasst, und die beiden fuhren nach Trier, um alles Nähere zu besprechen. Das Projekt nahm nach und nach konkretere Formen an, die Initiatoren starteten eine Crowdfunding-Aktion und kauften nahezu das komplette Einrichtungsinventar eines aufgelösten Düsseldorfer Unverpackt-Ladens auf. 454 Unterstützer spendeten letztlich rund 27.000 Euro.
Zwischendurch kauft Claudia Freichel aus Schmelz ein paar Sachen im Unverpackt-Laden. Eigentlich hat sie ein Zahnarztbesuch in die heimliche Hauptstadt des Saarlandes geführt, aber nach dem Termin ist sie spontan beim Laden vorbeigegangen. Nicki Herl flachst kurz mit der Kundin. „Toben sie sich ruhig aus", ruft er ihr zu. Darauf kontert sie: „Das wollen sie nicht erleben." Das wiederum löst heiteres Gelächter aus. Die 51-Jährige sagt, sie lege Wert auf einen gesunden Lebensstil, eine bewusste Ernährung. „Ich achte darauf, was ich kaufe und gebe liebe etwas mehr dafür aus", sagt Freichel. Da sie Probleme mit der Verdauung habe, nicht mehr alles essen könne, gehe es ihr gut dabei, wenn sie hochwertige Nahrungsmittel esse. An dem Unverpackt-Saar-Laden schätze sie die überschaubare Größe und das Sortiment. „Ich bin einfach nicht gern mit vielen Menschen in einem großen Geschäft. Das macht mir keinen Spaß", sagt Claudia Freichel. Verpackungsmüll zu vermeiden fällt ihr allerdings schwer. „Ich kaufe nur mit Mehrwegtaschen ein und nutze sie, bis sie kaputt gehen", sagt sie.
Immer noch fallen eine Menge Pappkartons an, wenn die Ware im Saarlouiser Unverpackt-Laden angeliefert und ausgepackt werden muss. Das Problem ist bekannt, man arbeitet daran. „Wir haben uns dafür entschieden, vor allem flüssige Ware wie Tomatensoße, Brotaufstriche und Schokocreme in Einweggläsern anzubieten", sagt der junge Start-up-Gründer. Immerhin ist der Unverpackt-Verband schon mal vorgeprescht und hat eine eigene Nuss-Nougat-Creme im Pfandglas auf den Markt gebracht. Die Nachfrage nach dem süßen Aufstrich sei so stark, dass lange nicht alle Läden damit beliefert werden können. „Wir sagen immer: Alle trockenen Lebensmittel sind optimal dafür geeignet, ohne Umverpackung abgegeben zu werden." Wo immer es möglich ist, setzt Nicki Herl auf Mehrweggebinde. Zum Beispiel bei einem Seifenpulver, das in einem Behältnis aus erdölbasiertem Plastik im Laden ankommt. Ist die kleine Plastiktonne leer, wird sie an den Lieferanten zurückgeschickt und wiederbefüllt. Und in Nicki Herls Geschäft stehen keine Spender aus Glas, sondern aus Tritan. „Tritan lässt sich zu einem hohen Anteil in den Wertstoffkreislauf zurückführen", erklärt er.
Während in Saarlouis das verpackungsfreie Einkaufen noch eine Zeit braucht, bis es bekannter geworden ist, dürften schon viele den Unverpackt-Laden im Saarbrücker Nauwieser Viertel kennen. An einem sonnigen Tag Anfang Juni steht Inhaberin Birgit Klöber mit Mundschutz hinter der kleinen Ladentheke. Gerade erzählt sie einer Kundin, dass man das vierjährige Bestehen gern entsprechend gefeiert hätte, doch das Datum falle auf einen Feiertag. Überhaupt ist das Alter der Kundschaft verschieden: An diesem Vormittag sieht man ebenso einen älteren Herrn wie auch Männer im mittleren Alter sowie ältere und jüngere Frauen. Ruth Spitzhorn, die eben kurz hintereinander zweimal ins Geschäft gegangen ist, weil sie etwas vergessen hatte, erzählt, dass sie unverpackt einkaufe, um Ressourcen zu schonen und um Verpackungsmüll zu vermeiden. Außerdem lebt die Mutter eines 22-jährigen Sohnes alleine, was aus ihrer Sicht für Unverpackt spricht. „Kleine Mengen zu kaufen war vorher sehr schwierig", sagt sie im Gespräch.
„80 Prozent Unverpackt"
Das Angebot an regionalem Obst und Gemüse habe sie ebenfalls überzeugt, dort ihre Einkäufe zu erledigen. Nicht nur für den täglichen Bedarf kauft sie ein, auch Drogerieartikel und Putzmittel zählen dazu. Für die Haarpflege benutzt sie eine Haarseife, die sie in einem Seifensäckchen aufbewahrt. Die Körperlotion aus dem Unverpackt-Laden füllt sie in einer ausgedienten Dose ab. Samstags geht sie regelmäßig mit ihrem Ziehwägelchen zum St. Johanner Markt und zum Bauernmarkt. „Das Wägelchen wird bis oben hin gefüllt. Für die meisten Lebensmittel braucht man ja keine Verpackung", sagt Spitzhorn, die im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig ist.
Zum Kreis der Stammkunden im Saarbrücker Laden gehört längst Pascal Weil aus Saarbrücken. Der 36-jährige Lehrer beschreibt sich selbst als einen an ökologischen Themen interessierten Menschen, der gern in der Natur und draußen unterwegs ist. Von Anfang an hat er das Projekt unterstützt, beteiligte sich am Crowdfunding und erhielt dafür Gutscheine für den Laden. „Ich muss ganz ehrlich sagen, es war eher ein Prozess. Es war nicht so, dass wir gesagt haben: Wir gehen nur noch hier einkaufen." Erst kauften er und seine Frau beispielsweise nur das Gemüse unverpackt ein – alles andere weiter im Supermarkt. „Über die Jahre hat sich das so entwickelt, dass wir mindestens 80 Prozent unverpackt einkaufen", sagt der Vater eines Säuglings. Einige seiner Kollegen bitten ihn darum, leere Spüliflaschen mitzunehmen und beim nächsten Einkauf in Saarbrücken aufzufüllen. Denn dort, wo sie wohnen, gebe es noch keinen Unverpackt-Laden. Nur wegen einer Spüliflasche nach Saarbrücken zu fahren, würde dem Gedanken zuwiderlaufen. Auch sonst versucht Pascal Weil, Verpackungen einzusparen – so kaufen er und seine Frau keine Wegwerfwindeln, sondern verwenden Stoffwindeln, transportieren Lebensmittel in Jutebeuteln und kaufen Mehrweg- statt Einwegflaschen.