Um den strengen Corona-Regeln in Europa zu entfliehen, bereitete sich Boxprofi Senad Gashi in Dubai auf seinen nächsten Kampf vor. Das größte Hindernis, den menschlichen „Berg", konnte er dort überwinden. Trotz eines deftigen Rückschlags.
Senad Gashi befindet sich in Dubai, als er mitten im Telefon-Interview mit FORUM plötzlich die Sprache wechselt und in Englisch fragt: „Entschuldigen Sie, Madame, haben Sie eine Coke Zero für mich?" Die so Angesprochene verneint offensichtlich. „Nur Coke Light? Nein, die ist doch für Frauen", wiegelt Gashi leicht angewidert ab und widmet sich wieder seinem eigentlichen Gesprächspartner. Ungefragt wird diesem in Deutsch erklärt: „Deswegen haben die doch damals diese Werbung mit dem gutaussehenden Typen gemacht, der die Kisten schleppt und dann in Zeitlupe eine Coke Light trinkt. Coke Zero haben sie dann extra für die Männer erfunden." Erhellt findet sich ein Weg zurück zum Anlass des Interviews: Der in Zweibrücken und im Saarland aufgewachsene Schwergewichtler mit dem Kampfnamen „The Gachine Gun" steht am 19. Juni in Hamburg im Ring und trifft dort im Kampf um den WBC International Silver-Titel auf Hussein Muhamed aus Köln. Gashi hat bisher 21 seiner 24 Profikämpfe gewonnen – alle durch K.o.-Niederlagen kassierte der studierte Sport- und Fitnessökonom lediglich gegen Carlos Takam (K.o.), Dereck Chisora (nach Punkten) und Tom Schwarz (Disqualifikation). Muhamed hat alle seine 16 Profikämpfe gewonnen, 13 davon durch K.o. Auch Jürgen Doberstein wird in Hamburg boxen. Der Supermittelgewichtler aus Kleinblittersdorf trifft auf den Münchner Toni Kraft.
Für seine gleichermaßen selbstbewussten und selbstironischen Sprüche ist Senad Gashi bekannt. Er versteht es auch, sich über soziale Netzwerke geschickt in Szene zu setzen. „Ich arbeite aber auch richtig hart. Das vergessen viele", sagt der 31-Jährige, der nach eigenen Angaben in den vergangenen Wochen so viel trainiert hat wie noch nie. Gashi steht zwar beim Hamburger Boxstall Universum unter Vertrag, vermarktet sich aber weitestgehend selbst.
So viel trainiert wie noch nie
Die letzten zwei Wochen vor dem Kampf verbrachte er im Saarland, wo er nach der zweimonatigen Vorbereitungszeit in Dubai mit Sergej Ostrowski am Feinschliff arbeitete. Eigentlich wollte Gashi im Frühjahr 2020 um den WBF-Weltmeistertitel im Cruisergewicht boxen. Doch der dafür im mazedonischen Tetovo angesetzte Kampf fiel der Corona-Pandemie zum Opfer. Ohnehin verletzte er sich im Laufe der Vorbereitung während eines Sparring-Kampfes schwer am linken Arm: Die Bizeps-Sehne war abgerissen. Im Herbst 2020 wurde er in Deutschland operiert, erst im April feierte er mit einem Sieg über Dominic Vial sein Comeback. Standesgemäß mit einem technischen K.o. in der 3. Runde. „Die haben mir eine Bizeps-Sehne von einem Toten eingesetzt. Jetzt habe ich die Kraft von zwei Leuten", findet Gashi. Ob die neue Sehne von einem früheren Boxer stammt, weiß der überzeugte Organspender nicht: „Aber ich hoffe schon."
Dass er sich seit einiger Zeit voll auf seine Boxkarriere konzentrieren kann, hat Senad Gashi seinen Erfolgen und dem damit erkämpften neuen Sponsorenvertrag mit einem bekannten Sportartikelhersteller zu verdanken. In den kommenden zwei Jahren soll er dessen „Gesicht der Box-Linie" werden, wie er nicht ohne Stolz verrät. Aus einem gemeinsam mit einem Kumpel in der spanischen Küstenstadt Marbella betriebenen Sportstudio ist Gashi ausgestiegen. „Ich bin ganz frei, habe mehr Zeit für mich und kann mich auf mein Training konzentrieren", freut er sich. Mitte Mai dieses Jahres wurde die gute Grundstimmung für einige Zeit arg getrübt. Gashis früherer Trainer Gentjan Dodaj verstarb am 14. Mai im Alter von nur 34 Jahren an einem Herzinfarkt. „Er war ein geiler Typ, der Härteste aller Zeiten. Er hat immer gearbeitet wie ein Tier und zu viel an andere gedacht statt an sich selbst", sagt Gashi über seinen „sehr guten Freund, der mir auch außerhalb des Rings geholfen hat. Man bekommt im Leben nicht das, was man verdient und man hat oft nicht das verdient, was man bekommt."
Seit wenigen Monaten ist Ben O’Connor Gashis Trainer. Auch mit ihm stimmt die Chemie. „Unsere Stile passen gut zusammen und ich konnte einige neue Dinge lernen und adaptieren", sagt Gashi und ergänzt: „Bisher habe ich jeden Sparringpartner ausgeknockt. Es läuft also sehr gut." Nur einen brachte er nicht zu Fall: Den menschlichen Berg Hafthor Björnsson. Gute 150 Kilogramm Muskelmasse, gut definiert und verteilt auf 205 Zentimeter. Der 2018 zum stärksten Mann der Welt gekürte isländische Strongman und Schauspieler (Gregor Clegane in „Game of Thrones") versucht sich neuerdings auch im Boxsport und weilte zur gleichen Zeit in Dubai. „Ich hatte ihn angeschrieben und gefragt, ob er Lust auf ein Sparring hätte", berichtet der 22 Zentimeter kürzere und 50 Kilo leichtere Gashi. Der Berg hatte Lust. Jedenfalls zu Beginn. „Ich bin da ganz locker reingegangen, weil ich wusste, dass er mehr Angst vor mir hatte als ich vor ihm. Ich kenne das: Große Typen sind unsicher. Als er dann gesehen hatte, wie viele K.o. ich schon auf dem Konto habe, war es vorbei", sagt Gashi und verrät: „Ich hatte auch bemerkt, dass er mir während dem Warmmachen zuhörte und habe zu meinem Coach gesagt: ‚Gib mir ein paar Scheine extra und ich haue ihn um.‘ Das hatte er gehört und danach ganz komisch gekuckt." Bis dahin hatte Björnsson alle Sparringpartner K.o. geschlagen – auch Schwergewichts-Profis. Obwohl er selbst kein Boxer ist. Allerdings verfügt er über die Spannweite eines Privatjets. „In der ersten Runde wollte ich mal testen, wie seine Schlagkraft ist. Er hat mich auch einmal gut erwischt und mir sind mal kurz die Beine weggeflogen – wie in solchen Kung-Fu-Filmen", erinnert sich Gashi und stellt fest: „So etwas willst du nicht noch einmal erleben. Aber ab der zweiten Runde habe ich ihn dominiert." Größe und Muskeln allein reichen offensichtlich nicht aus. „Jeder, der schnell auf den Beinen ist und ihn liest, kann ihn schlagen", behauptet Gashi: „Er war auch schnell müde. Aber wenn dich seine Keule trifft, kann es schon gefährlich werden." Nach dem Kampf veröffentlichten die beiden ein gemeinsames Foto, das weniger die Kräfteverhältnisse im Ring als vielmehr die Unterschiede der körperlichen Dimensionen widerspiegelt. Oder wie es Senad Gashi formuliert: „Darauf sehe ich aus wie sein kleiner Sohn."
Markige Sprüche vor dem Kampf gehören dazu
Sein kommender Gegner Hussein Muhamed sehe hingegen „gar nicht aus wie ein Boxer. Er ist zwar groß und schwer, aber nicht austrainiert. Er ist ein dicker Halbschwergewichtler mit einem Pfannkuchen-Gesicht", fasst Gashi den ersten Eindruck von seinem Gegner zusammen und ergänzt nicht weniger provokant: „Er ist offenbar ein emotionaler Typ, eher noch ein Kind. Er hat einige Kämpfe sehr kontrovers gewonnen. Aber dieses Mal wird das nicht der Fall sein." Gewinnt „The Gachine Gun" den Kampf und damit den Silber-Titel der WBC, bedeute das nicht nur den Sprung in die Top Ten der inoffiziellen Weltrangliste des Online-Portals Boxrec.com. Mit einer folgenden Titelverteidigung könnte er sich für einen Weltmeisterschafts-Kampf qualifizieren. Danach gefragt, auf was er in diesem wichtigen Kampf achten muss, um sein Ziel zu erreichen, antwortet Gashi: „Ich muss nur darauf achten, dass ich ihn nicht so schnell ausknocke, damit ich die Show genießen kann."
Markige Worte von einem, der kurz darauf ohne Vorwarnung wieder ins Englische verfällt und sich voll des Lobes über gerade verspeiste „Pickles", also in Essigwasser eingelegte Gürkchen, auslässt. „Kann ich noch welche haben? Die sind sehr gut", ist am anderen Ende der Leitung zu vernehmen. Gefolgt von einem nicht zu leugnenden, kräftigen Schluck. Coke Zero? „Nein, die gab es nicht. Es ist Coke Light", gibt Gashi kleinlaut zu.