Eine härtere Saison haben weder Alba Berlin noch Bayern München jemals erlebt. Am Ende hatte der Hauptstadtclub etwas mehr im Tank und triumphierte über den Erzrivalen.
Niels Giffey entpuppte sich als größtes Feier-Biest. Der Kapitän, der Alba Berlin im Sommer für ein gut bezahltes Abenteuer in Litauen verlässt, genoss die Feierlichkeiten nach dem Triumph im Play-off-Finale um die deutsche Basketball-Meisterschaft gegen Bayern München wie kein Zweiter. Er animierte die mitgereisten Alba-Fans in München vor der Halle mit einem lautstarken „Uffta, uffta, uffta, tätära", im Flieger stimmte er immer wieder den Evergreen „We are the Champions" an, und den Pokal wollte er am liebsten gar nicht mehr aus den Händen geben.
Aber nicht nur Giffey, auch die anderen Meisterspieler ließen nach der brutal harten Corona-Saison einfach alles raus, was für die Party noch im Tank war. In der Schützenstraße vor dem Trainingszentrum feierten die Profis mit den Spielern – so coronakonform es eben ging – den zehnten Meistertitel der Clubgeschichte. Es wurde gesungen, Bengalos gezündet, die Nacht zum Tag gemacht. Und das dominante Gefühl nach dem Erwachen war keineswegs ein Kater. „Der Morgen danach", verriet Topscorer Simone Fontecchio, „fühlt sich noch besser an."
Alba hatte 84 Spiele in den Knochen
Dieser Triumph, der im vierten Finalspiel in der Münchener Arena durch einen 86:79-Sieg unter Dach und Fach gebracht wurde, ist etwas Besonderes. Er machte Alba zum alleinigen Zweiten der ewigen Bestenliste hinter Rekordmeister Bayer Leverkusen, der mit 14 Titeln in Sichtweite ist. Außerdem besiegelten die Berliner die Meisterschaft wie schon im letzten Jahr, als ein Finalturnier über Platz eins entscheiden musste, in München. Das ist im Prestigeduell gegen den Erzrivalen, der im Pokal-Endspiel Mitte Mai noch klar dominiert hatte, immer ein zusätzliches Schmankerl.
Der Hauptgrund aber, warum sich die Berliner wie von einer Riesenlast befreit nach dem Schlusspfiff ausgetobt hatten, war die „epische Saison", wie es Kontrahent Bayern München auf seiner Internetseite ausgedrückt hatte. Die Berliner hatten 84 Spiele in den Knochen, die Münchener durch den Viertelfinaleinzug in der Euro League sogar sechs Partien mehr. Und in den Urlaub durften manche von ihnen erst mal nicht, der Deutsche Basketball-Bund (DBB) lud zum Vierländerturnier ein. Danach stand das Testspiel gegen Senegal an und auch die Olympia-Qualifikation in Split/Kroatien (29. Juni bis 4. Juli) steht noch auf dem Programm. „Es sind zu viele Spiele, zu viele Reisen", kritisierte Albas Trainer Aíto García Reneses. Liga-Chef Stefan Holz kann solche Aussagen nachvollziehen, er mahnte aber den Blick für das große Ganze an: „Es braucht schon eine gesamteuropäische Kalenderlösung. Mit der Euro League, mit dem Weltverband und mit uns." Die Euro League zum Beispiel hat ihren aufgeblähten Terminkalender ohne Rücksicht auf die Regeneration der Spieler durchgezogen, die BBL hat für die Play-offs den Best-of-five-Modus beibehalten und für das Finale nur zwei Ruhetage angesetzt. Zum Vergleich: Die Deutsche Eishockey Liga (DEL) hatte in den Play-offs nur maximal drei Spiele vorgesehen.
Die Basketballer wollen so eine Saison, die coronabedingt verspätet gestartet war, nicht noch einmal erleben. Der Drei-Tage-Spielrhythmus und Quarantäne-Maßnahmen nach Corona-Fällen haben Raubbau am Körper und auch am Geist betrieben. „Es ist nicht normal", sagte zum Beispiel Bayern-Kapitän Nihad Djedovid, „90 Spiele zu spielen." Auch für die Trainer war die Saison eine einzige Strapaze, allen voran natürlich für Reneses. Der 74 Jahre alte Spanier dürfte viel Zeit zur Erholung brauchen, zumal ihn zwischenzeitlich eine Corona-Erkrankung außer Gefecht gesetzt hatte. Damals sprang sein Assistent Israel Gonzalez als hauptverantwortlicher Coach ein – und er erntete viel Lob dafür. Gonzales gilt als logischer Nachfolger für Reneses, sollte dieser seinen auslaufenden Vertrag nicht erneut um ein Jahr verlängern wollen. Das gilt als nicht unwahrscheinlich, weil gravierende Veränderungen im Spielplan nicht vorgesehen sind. Die Hatz geht weiter.
Alba wird seinem Meistertrainer aber bis zuletzt die Tür offenhalten. Im Vorjahr gab der Mann, der als Bessermacher gilt und ein besonderes Auge für Talente hat, erst im August sein endgültiges Okay. So lange können die Alba-Verantwortlichen bei den Spielerplanungen natürlich nicht warten, denn wie schon im Vorjahr deutet sich wieder ein kleiner Umbruch an. Inzwischen ist sicher, dass es Giffey zum litauischen Topclub Zalgiris Kaunas zieht. Medienberichten zufolge soll sich der Nationalspieler, der seit 2014 das gelb-blaue Alba-Trikot trug, mit Kaunas über einen langfristigen Vertrag bis 2024 geeinigt haben. Sein Abgang ist sportlich wie menschlich ein herber Verlust, der gebürtige Berliner galt auf dem Parkett und in der Kabine als absolute Führungsfigur. „Niels war als Kapitän ein wichtiges Bindeglied der Mannschaft und wir hätten ihn gern gehalten", sagte Sportdirektor Himar Ojeda. Auch um andere Topspieler muss Ojeda kämpfen. Der Vertrag von Spielmacher Peyton Siva, der seit fünf Jahren in der Hauptstadt spielt, läuft aus. „Ich bin nicht sicher, ob das meine letzten Spiele für Alba waren", sagte Siva nach den Play-offs. Der 30-Jährige kann dem Spiel der Berliner mit seiner Klasse und Erfahrung noch immer seinen Stempel aufdrücken, war zuletzt aber auch oft verletzt. Auch hinter der Zukunft von Nationalspieler Maodo Lô und Simone Fontecchio stand bei Redaktionsschluss ein Fragezeichen.
Das Gehaltsgefüge wird nicht gesprengt
Doch die Verantwortlichen haben in den Vorjahren schon bewiesen, dass sie prominente Abgänge Jahr für Jahr kompensieren können, ohne dass die Entwicklung des Clubs zu einem europäischen Spitzenteam ins Stocken gerät. In der Vorsaison hatten unter anderem Martin Hermannsson und Landry Nnoko den Club verlassen – die Balance im Team hat das nicht negativ beeinflusst. Alba setzt nicht nur auf ausländische Stars wie beispielweise Dauerkonkurrent Bayern München, sondern auch auf den eigenen Nachwuchs (Malte Delow, Jonas Mattisseck) und eine große Breite im Kader. Die Verantwortung wird auf mehrere Schultern verteilt. Wollen Leistungsträger woanders mehr Geld verdienen, lässt der Club sie ziehen. Das Gehaltsgefüge wird nicht gesprengt, ein zu großes Risiko nicht eingegangen.
Dass Alba mit dieser Strategie zweimal in Folge den Münchenern den Titel streitig machen konnte, ist eine große Genugtuung für die Verantwortlichen. Die Spieler hatten ein ganz anderes Gefühl, sie erlebten eine glückselige Erschöpfung. „Es war Survival of the fittest", sagte Giffey. Alba und Bayern „mussten so viel investieren, und wir sind einfach stolz, dass wir die Letzten sind, die stehen". Auch der 20-jährige Delow, der sich in den Play-offs zum wichtigen Stabilisator in der Defensive aufschwang, freute sich über den süßen Triumph eines hammerharten Finalturniers, das Bayern-Präsident Uli Hoeneß sogar als „unmenschlich" bezeichnete. „Jetzt diese Belohnung am Ende zu haben, ist unbeschreiblich", sagte Delow.