„Angenehm, ich bin hier der Dorf-Nazi." Als sich Doras neuer Nachbar Gote vorstellt, glaubt sie, sie sei in einem Film und reagiert völlig sprachlos. Glatze, stiernackig, tätowiert und ein Pick-up – in der Stadt hätte sie einen Bogen gemacht und den Mann ignoriert. – Doch wir sind auf dem Land. Dora, Mitte 30, ist eine Werbetexterin. Sie ist aufs Land gezogen, weil sie die Tretmühle in der Großstadt satt hat und ihren Lebensgefährten Robert dazu. Jetzt besitzt sie in einem winzigen Ort in der Prignitz ein schwer renovierungsbedürftiges Gutshaus mit riesigem Garten. Und einen Nachbarn, der in einem Wohnwagen haust, eine kleine Tochter hat, sich regelmäßig besäuft und mit seinen Kumpels Nazi-Lieder grölt.
Das ist das Set, das Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Über Menschen" angelegt hat. Wieder ist sie wie mit „Unterleuten" auf dem Dorf. Wieder das Klischee von der hektischen, krank machenden, oberflächlichen Stadt und dem „echten" Leben auf dem Land? Juli Zeh kommt es auf etwas anderes an. Sie sagt in dem Interview, dass man den Menschen auf dem Land nicht ausweichen kann.
Man lebt zusammen, man trifft sich. Abhaken und weiter geht nicht, Einschätzungen können sich im Zusammenleben ändern, die Menschen lernen sich kennen, weil sie aufeinander angewiesen sind. So wird aus der Erzählung nicht eine tumbe Nazi-Geschichte, sondern mehr.
Das ist das Entscheidende an diesem neuen Roman: Juli Zeh blickt hinter die Fassaden. Die von Sadie, die eines Morgens vor ihrer Tür steht, dick geschminkt, platinblond, gepiercte Lippen. Sie arbeitet nachts, muss sich alleinerziehend tagsüber um zwei Kinder kümmern, ist immer knapp bei Kasse. Für Dora ist das „als blicke sie auf die geheime Unterseite der Nation. Kaum zu glauben, dass es in einem stinkreichen Land so etwas gibt…". Gote tischlert ihr Stühle, Heini rodet ihren Garten, und Tom, dem eine Gärtnerei gehört, verdankt sie ihren ersten Auftrag, nachdem ihr gekündigt wurde. Dorfleben. Spannend, weil der Roman von Menschen erzählt, nicht von konstruierten Figuren.