Mit ihrem Konzept, elegante Garderobe für den täglichen Gebrauch aus hochwertigen Materialien und einem cleanen Schnitt zu entwerfen, hat Catherine Holstein mit ihrem Label Khaite die Marktlücke gefüllt, die Phoebe Philo nach ihrem Abschied bei Céline hinterlassen hatte.
Als neues Paradebeispiel dafür, wie die sozialen Medien inzwischen die klassische Modevermittlung in den Hintergrund gedrängt haben, kann der durch einen einzigen viralen Schub ausgelöste Aufstieg des New Yorker Labels Khaite ins Feld geführt werden. Rein zufällig hatte ein auf der Fährte von Katie Holmes im Big Apple im Jahr 2019 wandelnder Paparazzo genau in dem Augenblick auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt, als die Schauspielerin mit erhobenem Arm ein Taxi herangewunken hatte. Dabei konnte der Pressefotograf einen Blick auf ihren Kaschmir-BH einfangen, weil der darüber getragene Cardigan aus dem gleichen Material nur mit einem Knopf verschlossen und daher von der Schulter leicht abgeglitten war. Sobald das Bild im Netz zu sehen war, wurde ein regelrechter Hype um den BH ausgelöst, obwohl dieser mit einem Preis von umgerechnet rund 500 Euro alles andere als ein Schnäppchen war. Natürlich sollte am besten auch gleich der passende Cardigan für schlappe rund 1.400 Euro mitbestellt werden. Der britische „Telegraph" war von dieser Kombi so begeistert, dass er sie der Wortneuschöpfung „Bradigan" für würdig hielt.
Beide Stücke waren in Windeseile ausverkauft – und die junge Hersteller-Brand Khaite war plötzlich in aller Munde. Der Aufstieg von Khaite, deren Namen aus dem Altgriechischen stammt und sich als „langes, wehendes Haar" übersetzen lässt, verlief in den folgenden zwei Jahren rasant. So sehr sogar, dass spätestens bei der Vorstellung der Sommerkollektionen 2021 rund um die digitale New Yorker Fashion Week niemand mehr an dem Label und dessen kreativer Inhaberin Catherine Holstein vorbeikam. Die hat offenbar den Nerv einer betuchten Klientel getroffen mit ihrem Konzept einer eleganten, cleanen, alltagstauglichen, vornehmlich auf neuinterpretierten zeitlosen Basics beruhenden Linie. Diese hatte sich früher zur treuen Kundschaft von Phoebe Philo bei Céline gezählt oder sich klamottenmäßig alternativ bei den Olsen-Sisters von The Row bedient. Mit ausgeflippten, schnelllebigen Trends, die auf ein junges Publikum abzielen, hat Holstein nichts am Hut. Sie macht eher Mode für die erwachsene, kultivierte Lady. Wenig überraschend daher, dass sie Chansonsängerin Françoise Hardy und die Feministin Gloria Steinem zu ihren ganz persönlichen Stilikonen deklariert hat.
Wobei sie sich bei der von einem finanzkräftigen Investor unterstützten Gründung des Labels im Jahr 2016 von eigenen Überlegungen zur inhaltlichen Nutzung ihres persönlichen Kleiderschranks leiten ließ. Ihr war aufgefallen, dass sie teure Designerstücke nur allzu selten herausgenommen hatte. Dafür aber ständig einen liebgewonnenen Kaschmir-Pullover, eine gut sitzende Vintage-Jeans, einen zeitlosen schwarzen Mantel oder eine schicke Lederjacke für den ganz normalen Alltag präferiert hatte. Damit konnte sie auf die Schnelle ein unkompliziertes, aber dennoch modisches Outfit zusammenstellen. „Ich wollte dieses Label gar nicht gründen", so Catherine Holstein in einem Interview mit der „Zeit". „Aber ich habe mich immer beklagt, dass es nirgends zu kaufen gab, was ich suchte. Ich kaufte, was Phoebe Philo für Céline entwarf, ich liebte Dior. Aber oft musste ich feststellen, dass diese Stücke letztlich in meinem Schrank hängen blieben, weil sie mir zu kostbar vorkamen, um darin tatsächlich vor die Tür zu gehen."
Flatternde Tüllkleider und minimalistische Slip Dresses
Deshalb machte sie sich zum Start ihres Labels daran, zeitlose Basics und cleane Looks mit einem gewissen modisch-eleganten Twist zu entwerfen, bei dem sich feminine und maskuline Einflüsse die perfekte Waage gehalten hatten. Wobei sie in Sachen Materialwahl keine Kompromisse machen will, weil für Holstein das Beste gerade gut genug ist. Von Anfang an zählten Jeans, schwarze Bodysuits, Oversized-Kaschmir-Pullover, Blusen mit Ballonärmeln, fließende Culottes, Bandeau-Kleider in A-Linie, flatternde Tüllkleider oder minimalistische Slipdresses zu ihren Markenzeichen. Accessoires wie Schuhe oder Handtaschen kamen erst später hinzu, wobei besonders ihre Wildleder-Boots mit braunem Zebramuster zu einem Must-have werden sollten. „Harper’s Bazaar" sprach im Jahr 2016 von einem Chic à la Carolyn Bessette-Kennedy, jener New Yorker Modeikone, deren Kleidung „keine laute Effekthascherei nötig hat. Weil man ihre zeitlose Eleganz gleich erkennt". Das wissen inzwischen auch Promi-Damen wie Kaia Gerber oder Rihanna sowie Streetstyle-Größen wie Pernille Teisbaek oder Leonie Hanne zu schätzen. Die Normalfrau kann Khaite-Klamotten inzwischen bei allen Luxus-Online-Stores von Net-a-Porter bis Mytheresa ordern.
In der Winterkollektion 2020/2021 war erstmals ein deutlich sinnlicherer Aspekt aufgetaucht. Der hatte sich in langen Ledermänteln, kurzen Röcken mit Leo-Print, langen Dresses mit Tiger-Muster, Babydoll-Kleidern, knapp auf Figur geschnittenen Jacken und kniehohen Westernstiefeln offenbart. Im Sommer 2021 wurde dann wieder mehr die bequem-komfortable Richtung eingeschlagen mit genoppten Kaschmir-Sweatern, Polka-Dot-Kleidern, sandfarbenen Reifrock-Dresses oder ockerfarbenen Wildlederjacken. Und bei Taschen und Schuhen geht Khaite diesen Sommer in die Vollen, beispielsweise mit XXL-Bags, spitz zulaufenden Slingbacks, viereckigen Sandalen, Chelsea-Boots oder Overknee-Stiefeln. Die Seiden-Heels in Magenta-Ton nicht zu vergessen.
Vor Khaite hatte die in New York geborene und in Südkalifornien und London aufgewachsene Catherine Holstein, inzwischen Mittdreißigerin, schon zwischen 2005 und 2009 ein Label unter ihrem eigenen Namen gegründet. Dafür hatte ihr ihre Mutter, die vormals bei Cartier tätig gewesen war, das nötige Kleingeld zur Verfügung gestellt. Kein Problem bei einer vermögenden Familie, schließlich war der Vater früher im Finanzwesen tätig. Die Ausbildung zur Mode-Designerin war Catherine Holstein zwischen 2002 und 2006 an der New Yorker Parsons School of Design angegangen, ohne jedoch wegen der vorzeitigen Etablierung ihrer Brand im jugendlichen Alter von 21 Jahren einen Abschluss zu absolvieren. Nach eigenem Bekunden fehlte ihr bei ihrer ersten Designer-Selbstständigkeit das nötige unternehmerische Wissen. Dieses hatte sie sich dann aber zwischen 2009 und 2015 durch die Tätigkeit bei verschiedenen Fashion-Firmen wie Gap, Vera Wang oder J. Crew erworben.