Unter dem Motto: „Moin Ladies" holt Turnierdirektorin Sandra Reichel nach fast 20 Jahren Top-Spielerinnen und Nachwuchs ins frisch renovierte Stadion am Rothenbaum zurück. Bevor die Männer vom 12. bis 18. Juli an der Alster Tennis um den EM-Titel spielen, starten die Frauen dort bereits am 5. Juli.
Europameisterschaft der feinen Tennis-Art, das klassifiziert die „Hamburg European Open" seit 2019 in der Hansestadt. Zehn Millionen Euro kostete die Modernisierung des Traditionsstadions in Hamburg, zu der ein Unternehmer mit seiner Sportstiftung ordentlich beitrug, dessen Familie früher die Augen vieler Frauen und Männer auf die Seiten ihrer Versandhauskataloge zog. „Sand oder nicht Sand, wie soll es im Tenniszirkus weitergehen?", waren Fragen, die das Prestige-Event in der Hansestadt vor dem zweijährigen Umbau, vor der Aufwertung zur Europameisterschaft sowie vor dem Wechsel der Ausrichter und Turnierdirektion zu Tochter und Vater Reichel umflirrten. Bevor eine WTA-Lizenz doppelte Freude an die Alster zurückbrachte. Dorthin, wo die Plätze bei der Renovierung um etwa 3.000 auf 10.000 reduziert sowie über ein Farbschema besser auffindbar und teils barrierefrei wurden.
Viele fühlten sich seit 1892 im Club an der Alster wohl: Große Oper erlebten 2004 knapp 9.500 Zuhörer, als Luciano Pavarotti dort sang, wo 2002 Roger Federer seinen ersten Masters-Titel erspielte. Im selben Jahr gab es am Rothenbaum mit Kim Clijsters aus Belgien das zunächst letzte Mal eine weibliche Siegerin. Inzwischen wurden nicht nur alle Dachkonstruktionen runderneuert, sondern sogar der „Walk of Champions" unter der Südtribüne zeitgemäß verjüngt: Aus der „Ahnengalerie" wurde mit QR-Codes, die auf Schautafeln angebracht sind, ein interaktives Tennismuseum. Ob der Franzose Yannick Noah oder der Australier Rod Laver: Die Crème de la Crème ließ sich über die Jahrzehnte in Hamburg sehen. Alexander Zverev, aktuell Nummer sechs der Welt und geboren in Hamburg, bekam als 16-Jähriger von Michael Stich eine Wildcard für das Hauptfeld. In späteren Jahren hatte „Sascha" wie andere Spitzenspieler Probleme damit, dass das Traditionsturnier in den Start der Hartplatz-Saison fiel.
Letzte Siegerin war Kim Clijsters im Jahr 2002
Nicht nur die Verlegung vom Mai in den Juli, sondern auch die Herabstufung vom „Masters" zu einem 500er-Turnier brachte die „Hamburg Open" in Schwierigkeiten. Statt klein beizugeben verdoppelte sich das Event mit dem Zurückholen der Damen als jüngstem Coup. Der Deutsche Tennisbund beteiligte sich mit einer Million Euro an der Sanierung, zumal der Verband selbst in der Clubanlage an der Alster residiert. „Nach Stuttgart, Bad Homburg, Berlin, Köln und Karlsruhe ist ein weiteres WTA-Turnier ein starkes Signal für unsere Turnierlandschaft und den Tennisstandort Deutschland", sagte Dietloff von Arnim, der noch neue Präsident beim Deutschen Tennis Bund (DTB). „Wir freuen uns, dass Sandra und Peter-Michael Reichel den Mut beweisen, in diesen schwierigen Zeiten ein neues Turnier ins Leben zu rufen."
So kehren die Damen in den Club an der Alster zurück, da Turnierdirektorin Reichel eine Lizenz für ein 250er-Turnier mit 28 Hauptfeld-Spielerinnen, 16 Qualifikantinnen und 16 Paarungen im Doppel einkaufte. „Ein miteinander verbundenes Damen- und Herren-Turnier ist für mich das beste Produkt. Damit hat Hamburg jetzt wieder ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Tennislandschaft", sagte die engagierte Veranstalterin, bekannt auch vom Turnier in Linz, zum neuen Kombi-Event, mit dem gemeinsamen Familiennamen: „Hamburg European Open". Kurz vor der Jahrtausendwende fanden zuletzt ein WTA- und ein ATP-Event direkt nacheinander am Rothenbaum statt.
Die neue Ära beginnt mit Hindernissen: Das Rasenturnier in Wimbledon erschwerte die Planung für die Topspielerinnen. Denn das Hamburger WTA-Turnier wird in der zweiten Woche des Rasen-Grand-Slams ausgetragen werden. Der Wechsel von grünem Untergrund auf rote Asche soll – zumindest aus Sicht der Wimbledon-Offiziellen – kein Problem sein. „Wir haben von allen Seiten grünes Licht bekommen. Die Tenniswelt freut sich, dass der Traditionsstandort Hamburg zurück auf der Damentennis-Landkarte ist", sagte Hamburg-European-Open-Veranstalter Peter-Michael Reichel. Steve Simon, Geschäftsführer der Damenprofitennis-Organisation WTA, teilte mit: „Mit seiner langen Tennishistorie und seinem modernisierten Rothenbaum-Stadion wird Hamburg eine der Elite-Destinationen werden, um die WTA-Athletinnen und ihr großartiges Talent zu präsentieren. Wir freuen uns auf das Turnier in diesem Jahr und die Fortsetzung der Tradition des Damenprofitennis in Hamburg."
„Wir wollen viele deutsche Spielerinnen"
„Wir wollen möglichst viele deutsche Spielerinnen präsentieren", betonte Sandra Reichel. „Das Ziel ist natürlich, dass wir möglichst vielen Nachwuchstalenten eine Bühne bereiten." Der Club an der Alster habe gerade drei Spielerinnen in seinen Reihen, die zu den Porsche-Nachwuchsteams des DTB gehören (Meldeschluss für das WTA-250er-Event war am 1. Juli, die Liste der Spielerinnen lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor). Die Spots richten sich nicht nur in Hamburg auf deutsche Spielerinnen, wenn in diesem Jahr wieder mehr Turniere der WTA-Tour in der Heimat von Steffi Graf, Angelique Kerber, Julia Görges und anderen großen Spielerinnen der Offenen Ära Halt machen. Höchste Zeit, denn ihre potenziellen Nachfolgerinnen brauchen Matcherfahrung, die sie am ehesten über Wildcards bei großen Turnieren in Deutschland sammeln.
In Berlin gewann die russische Qualifikantin Ludmilla Samsonowa das Finale gegen Belinda Bencic aus der Schweiz. Freuen kann sich auch die Dortmunderin Jule Niemeier: Die 21-jährige Qualifikantin hatte beim wiederbelebten WTA-Turnier im Grunewald der Weltranglisten-Zwölften Bencic das Siegen schwer gemacht. Wenig überraschend: Denn die deutsche Nachwuchshoffnung Niemeier hatte es im Mai in Straßburg auf Sand bis ins Halbfinale geschafft, wo sie keiner Geringeren als der späteren French-Open-Siegerin Barbora Krejcikova unterlag.
Sabine Lisicki, Wimbledon-Finalistin von 2013, war glücklich, während ihrer Reha-Zeit nach einem Kreuzbandriss als Moderatorin für Servus TV und Tennis Channel in Berlin am Rande dabei zu sein, und, via Twitter, am Finaltag über ihr grünes Outfit – passend zum Rasen (der Fernsehsender und der Streaming Kanal übertragen auch Teile der „Hamburg European Open").
Nur Wildcard-Starterin Andrea Petkovic hatte mit der ehemaligen Nummer eins der Welt, Victoria Azarenka, als Gegnerin in der Hauptstadt gleich zum Start Pech. Ihr Trost, im Juli ist die ehemalige Top-Ten-Spielerin Turnierbotschafterin, wenn es heißt: „Moin Ladies". Petkovic, die in Hamburg selbst spielen wird, kommentierte das Teilnehmerfeld der Herren: „Trotz komplizierender Umstände mit dem Termin zwischen Wimbledon und Olympia haben wir auch dieses Jahr viele Topspieler rund um den jungen, charismatischen Kanadier Felix Auger-Aliassime, die für Weltklasse-Tennis sorgen werden. Ich persönlich freue mich besonders auf ‚Struffi‘, der in diesem Jahr mit Siegen über Andrey Rublev und Daniil Medvedev für Furore sorgt, sowie auf Aslan Karatsev, dessen aggressives Spiel mich sehr beeindruckt."
„Es freut mich für die deutschen Tennisfans"
Jan-Lennard Struff, der in Halle den Weltranglistenzweiten Medvedev aus dem Turnier warf, lobt die „Moin Ladies" an der Alster: „Ich persönlich finde es super, dass die WTA-Tour nach Hamburg zurückkehrt. Es freut mich für die deutschen Tennisfans". Auf kampflustige Matches dürfen sich die Zuschauer auch beim zweiten Deutschen, Dominik Koepfer, einstellen, der beinahe Roger Federer bei den French Open besiegte. Dem Schweizer setzte seine Niederlage gegen Auger-Aliassime in Halle schwer zu. Im dritten Satz war der knapp 40-Jährige ungewohnt passiv. „So etwas wie hier wird nicht wieder passieren", sagte er Stunden später in der Pressekonferenz. Philipp Kohlschreiber, mit bisher 16 Auftritten der Rekordteilnehmer der Rothenbaum-Turniergeschichte, kam in Halle eine Runde weiter als Federer und könnte in Hamburg noch nachrücken.
„Wir arbeiten daran, dass der eine oder andere Topspieler, der in Wimbledon nicht ganz bis zum Ende dabei ist, noch zu uns nach Hamburg kommt", sagte Reichel. Die vier Topgesetzten sollen jeweils ein Freilos erhalten und somit nach Wimbledon genügend Zeit zur Regeneration haben. Das wird nötig sein für die Umstellung auf den Traditionsbelag am Rothenbaum. Für das gefühlvolle Rutschen zum Ball, für die Herausforderung, dass Asche nicht gleich Asche ist, für eine kreative Match-Taktik, steht nun einmal Sand. Sandplatztennis ist der dreckige, geliebte Counterpart zu berechenbaren Hartplatz-Auftritten im modernen Tour-Tennis. Kein Wunder, dass Hamburg an der Tradition seiner berühmten Sandplatzturniere festhält und jetzt die Damen auf die Asche am Rothenbaum zu einem Event in neuen Kleidern zurückholt.