In der „Gemüseackerdemie" lernen Kinder, wie Nahrungsmittel hergestellt werden und wie viel Mühe es macht, sie zu produzieren. Das Projekt kommt bei den Kleinen super an. FORUM-Autor Sebastian Zenner hat sich das in der Grundschule in Schiffweiler angeschaut.
Eine milde Frühlingsbrise verteilt den Duft trockener Erde und die Stimmen der Kinder, die aufgeregt umherwuseln. Die rege Betriebsamkeit auf dem kleinen Gemüseacker der Walter-Bernstein-Grundschule in Schiffweiler wirkt auf den ersten Blick unkoordiniert. Bei genauerer Betrachtung der Szenerie wird aber schnell klar: Jedes Kind hat eine Aufgabe, ein Ziel vor Augen: Unkraut jäten, Setzlinge einpflanzen, gießen und was sonst noch zur Pflege eines Ackers gehört. Ein regelrechtes Kleinod für die Schülerinnen und Schüler, die fernab von theoretischem Schulstoff mit den Händen arbeiten und sich sogar dreckig machen dürfen. Ein paar Meter weiter behält Kristina Baus den Überblick. Die 33-jährige Lehrerin greift nur ab und zu ein, gibt Tipps oder erklärt etwas. Frau Baus hatte vor einigen Jahren die Initiative ergriffen und sich für einen Schulgarten als Erweiterung des pädagogischen Angebots der Schule eingesetzt. Bei Schulleiter Björn Denne stieß sie auf offene Ohren, und vor gut zwei Jahren entstand eine Kooperation mit der „Gemüseackerdemie", einem Bildungsprogramm des Vereins Ackerdemia. „Dieses Projekt bietet verschiedenen Kindern eine gute Chance, sich in anderen Räumen erleben zu können. Das ist zu Hause nicht immer möglich", erklärt Baus und betont: „Hier muss man nicht besonders gut schreiben oder rechnen können, sondern es sind ganz andere Qualitäten gefragt." Abgesehen davon hält sie es auch für wichtig, dass die Kinder lernen, wie Nahrungsmittel hergestellt werden „und wieviel Mühe es macht, sie zu produzieren. Man sieht das Jahr über die Veränderungen, alles wächst und gedeiht. Mit dieser Erfahrung fällt es schon schwerer, Nahrungsmittel einfach wegzuwerfen", findet Baus. Auch Schulleiter Denne ist von dem Ansatz überzeugt. „Man merkt deutlich, dass gerade diejenigen, die beim Lernen im konventionellen Unterricht vielleicht ein paar Probleme haben, im Acker richtig auftauen", berichtet er mit strahlendem Gesicht und ergänzt: „Natürlich gibt es immer Einzelne, die mal keine Lust haben, aber die allermeisten sind richtig motiviert – selbst bei schlechtem Wetter."
„Zu Hause ist das nicht immer möglich"
Philipp Jochum strahlt angesichts dieser überaus positiven Resonanz gleich mit. Der Regionalkoordinator der „Gemüseackerdemie" für Rheinland-Pfalz und das Saarland betreut derzeit insgesamt 18 Schulen und Kitas und deren „ackerdemische" Projekte. „Immer weniger Kinder und auch Jugendliche wissen, wo unsere Lebensmittel herkommen. Die meisten haben auch noch nie selbst Gemüse angebaut", weiß Jochum. In einer Zeit, in der weltweit etwa ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen wird und statistisch gesehen jedes fünfte Kind in Deutschland übergewichtig oder sogar adipös ist, müsse man geradezu „aktiv werden, um jungen Menschen bestimmtes Wissen und auch gewisse Fähigkeiten wieder näherzubringen." Im Saarland versucht der Verein Ackerdemia dies in Kooperation mit einem weiteren Verein, nämlich dem „Verein zur Pflege von Erde und Mensch Karcherhof und Thalmühle" in Saarbrücken, der sich in den Bereichen der Landwirtschaft, Heilpädagogik und Sozialtherapie engagiert. Hier werden erkrankte und behinderte Menschen betreut und in verschiedene Arbeiten integriert. Vom Karcherhof beziehen die Ackerdemiker die Setzlinge für die betreuten Äcker.
Die Grundschule in Schiffweiler wurde von Ina Klaumann, der Umweltbeauftragten der Gemeinde, auf die „Gemüseackerdemie" aufmerksam gemacht. In der Folge wurde Kontakt zum Verein aufgenommen, die Finanzierung geklärt und in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde, insbesondere des Bauhofs, eine Fläche hergerichtet, eingefasst und eingezäunt. Inklusive buntem Bauwagen als Stauraum für die Arbeitsutensilien. Der Acker wird von den Schulkindern mit verschiedenen Gemüsen bepflanzt und gepflegt. Die dabei entstehenden Erzeugnisse wie unterschiedliche Salate, Kohlrabi, Frühlingszwiebeln, Radieschen, Fenchel, Rote Bete, Mangold, Rucola, Kresse und sogar Kartoffeln dürfen von den Kindern mit nach Hause genommen werden. „Es ist wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer aktiv mitmachen, weil so ein Projekt schon viel Zeit für Planung, Organisation und Betreuung in Anspruch nimmt", weiß Philipp Jochum, der bisher nur gute Erfahrungen gemacht hat: „Wenn die Schulen auf uns zukommen, dann weiß ich schon, dass es engagierte und motivierte Lehrkräfte gibt, die das Projekt auch über einen längeren Zeitraum hinweg durchziehen." Hat sich eine Schule mit dem Verein in Verbindung gesetzt und im weiteren Verlauf die Planung und Finanzierung geklärt, wird eine geeignete Fläche auf dem Schulgelände ausfindig gemacht. „Wenn dann der Zuschlag kommt, wird der Acker zum nächstmöglichen Zeitpunkt angelegt, und dann kann es schon losgehen", erklärt Jochum, der zum Einstieg mit Starterpaketen mit Bildungsunterlagen und zum Pflanztermin mit einem unterstützenden „Acker-Coach" anrückt. So geschehen auch in Schiffweiler.
Erzeugnisse dürfen mit nach Hause
„Ursprünglich hatten wir das Projekt als AG, also Arbeitsgemeinschaft, organisiert. Aber das Interesse der Kinder war so groß, dass wir die AG zum laufenden Schuljahr aufgelöst haben und die Ackerpflege in den Morgenunterricht integriert haben", berichtet Schulleiter Björn Denne und stellt klar: „Die eine Stunde Sachunterricht, die wir dafür nehmen mussten, ist es uns absolut wert. Das war definitiv die richtige Entscheidung." Seit Sommer 2020 kommen nämlich alle Kinder der dritten Jahrgangsstufe ganzjährig in den Genuss des praktischen Ackerschule-Unterrichts, in dem man sich auch mal die Finger schmutzig machen darf – wenn nicht sogar muss. „Es ist einfach toll, dass jedes unserer Schulkinder nach der Grundschulzeit sagen kann, dass es ein Jahr lang am Acker mitgearbeitet hat", findet Denne. Lehrerin Kristina Baus hat derweil schon wieder neue Pläne im Sinn: So ist das Anlegen eines weiteren Beetes geplant. „Ich würde auch gern noch ein Konzept finden, wie wir das Gemüse vor Ort zubereiten und gemeinsam essen oder eben verkaufen könnten", sagt sie.
Nicht nur die Kinder sammeln Erfahrungen und Wissen über den Gemüseanbau. Auch das Kollegium und einige Eltern packen als „Acker-Buddies" mit an. „Gerade beim Umgraben im Frühjahr, das die Kinder alleine nicht schaffen würden", berichtet Kristina Baus. „Das ist super, und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung." Während der Pandemie galten auch hier Beschränkungen und Restriktionen, aber dennoch ist es gemeinsam gelungen, den Acker buchstäblich am Leben zu halten. Dabei waren und sind es vor allem die kleinen, vermeintlich unscheinbaren Momente, die sich in das Gedächtnis einbrennen – gerade bei weitreichenden Kontaktbeschränkungen: „Einmal hatten wir während der Pandemie die Möglichkeit, Kresse zu ernten. Die Kinder durften sie direkt auf dem Acker auf frischem Brot essen", erinnert sich Baus mit großer Freude und ergänzt: „Das war ein ganz besonderes Erlebnis. Die Kinder fanden es richtig toll und motivierend, etwas, das sie selbst gepflanzt und gepflegt haben, an Ort und Stelle zu verspeisen. Und dann schmeckte es auch noch so gut."
Frische Kresse vom Acker direkt vor Ort aufs Brot
Drittklässlerin Malou kann das bestätigen: „Es ist was ganz Spezielles, wenn man weiß, wo das Essen herkommt", sagt sie und schwärmt insbesondere von einem selbst geernteten Schulacker-Salat, den sie zu Hause mit ihrer Familie gegessen hat: „Der war sooo lecker." Außerdem mag sie den selbst angebauten Fenchel ganz besonders. „Mir macht die Arbeit auf dem Acker vor allem in der Pflanzzeit großen Spaß", betont Malou, die das in der Schule erworbene Wissen auch an den Hochbeeten zu Hause anwendet, wo vor allem Früchte wie Stachelbeeren und Johannisbeeren wachsen. Erdbeeren hingegen sind Nicos Topfavorit. Auch er hilft zu Hause bei der Gartenarbeit mit und schmiedet schon eigene Pläne: „Auf dem Schulacker lernt man was und sammelt Erfahrung. So kann man sich irgendwann auch einmal selbst ein eigenes Beet anlegen." Dann sicher mit Erdbeeren. Dimi ist eher der Salat-Typ: „Der Unterricht auf dem Acker ist echt toll. Man kann ganz viel alleine arbeiten und später dann das fertige Gemüse aus der Erde ziehen. So was hat mir schon immer Spaß gemacht", verrät er noch schnell, bevor er sich wieder seinen Setzlingen widmet.