Sie ist überschaubar, die Zahl der deutschen Astronauten. Matthias Maurer wird der Zwölfte sein, wenn er – wie geplant – Ende Oktober zur ISS aufbricht. Er ist der erste Saarländer, der seinen Arbeitsplatz für einige Monate in die Schwerelosigkeit verlegt.
Die Mission von Matthias Maurer ist in einer Zeit geplant, die für die bemannte Raumfahrt und die Eroberung des Weltraums eine neue und spannende Phase eröffnet. Das Jahr 2021 ist in vielfältiger Hinsicht ein besonderes Jahr in der Raumfahrt. Technologisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich, aber auch mit Blick auf neue Player und neue Ziele.
Maurer selbst wird mit dem privaten Unternehmen SpaceX in einer Crew-Dragon-Raumkapsel unterwegs zur ISS sein. Sein französischer Esa-Kollege Thomas Pesquet ist damit schon im April vorgeflogen. Das Unternehmen von Elon Musk hat die Weltraumfahrt verändert, und das nicht nur, weil erstmals wiederverwendbare Raketen entwickelt wurden. Vor einigen Jahren hat SpaceX das einstige europäische Vorzeigeprojekt mit der „Ariane"-Trägerrakete als Marktführer für Transporte ins All (Satelliten) abgelöst. Maurer sieht als Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur seinen Start auch als einen „Weckruf" an die Europäer. Wettbewerb belebt das Geschäft, die wiederverwendbare Falcon 9 von SpaceX ist um ein Vielfaches günstiger, die Ariane Group arbeitet mit Hochdruck an einer neuen Ariane 6.
Viel Betrieb im Weltraum
Mit SpaceX ist die bemannte Raumfahrt nach Jahren wieder auf amerikanischen Boden zurückgekehrt. Zwischenzeitlich waren Nasa und Esa für bemannte Flüge auf die Russen angewiesen. Maurer hat für beide Systeme eine Lizenz. In seiner langen Vorbereitungszeit hat er auch Russisch und Chinesisch gelernt. China hat sich mit einer konsequent verfolgten Strategie seinen Platz im Weltraum inzwischen erobert und drängt weiter mit Macht voran. Nächstes Jahr soll der chinesische Außenposten im All bezugsfertig sein. Schon mit der Namensgebung ihrer Raumstation haben die Chinesen signalisiert, dass ihre Ambitionen alles andere als bescheiden sind. „Tiangong" wird gemeinhin mit „Himmelspalast" übersetzt. Derzeit sind drei Taikonauten (chinesische Astronauten) mit Auf- und Ausbau im All beschäftigt.
Tiangong könnte in ein paar Jahren der einzige ständig besetzte Außenposten im All sein. Die russische „Mir" war nach 15 Jahren Dienst 2001 aufgegeben worden, die ISS sollte nach bisherigen Plänen bis 2024 in Betrieb sein, derzeit wird aber eine Verlängerung bis 2028 erwogen.
Die Projekte, an denen derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird, richten sich längst auf die nächsten Ziele. Der Mond ist wieder im Visier, und diesmal nicht nur für kurzzeitige Besuche. China hat seine technologischen Kompetenzen mit der höchst anspruchsvollen Landung auf der dunklen Seite des Mondes unterstrichen und als dritte Nation überhaupt Gesteinsbrocken vom Trabanten zur Erde gebracht. Aus chinesischer Sicht wichtiger, jedenfalls symbolträchtiger: Bei der bisher letzten Mission ist gleich auch mal eine chinesische Flagge auf dem Mond gehisst worden.
Längst gibt es weitreichendere Visionen, schildert auch Maurer im FORUM-Gespräch: Der Mond als Zwischen- und Versorgungsstation, womöglich Lande- und Startplatz und Tankstelle auf dem Weg zum Mars. Und der Wettlauf zum Mars ist längst in vollem Gang.
Gut ein halbes Jahrhundert, nachdem der letzte Amerikaner einen Fuß auf den Mond gesetzt, liefern sich nicht mehr zwei Staaten (USA und Russland, damals Sowjetunion), sondern zwei amerikanische Milliardäre ein Duell ums All. Dabei ist der Mond für Jeff Bezos (Blue Origin) und Elon Musk (SpaceX) zwar ein Muss, aber eigentlich doch ein viel zu bescheidenes Ziel. Der Mars sollte es mindestens und auf jeden Fall sein, und dabei wollen sie – mit unterschiedlichen Visionen – die bedrohte Welt retten.
Derweil hat die Nasa mit dem Rover „Perseverance" für ganz neue, erstmals auch akustische Eindrücke vom Mars gesorgt. Faszinierend, aber als Ort zum Leben nicht so recht vorstellbar. Aber das war bei den großen Entdeckungsreisen um den Erdball vermutlich vielfach auf den ersten Blick nicht anders.
Bevor es so weit ist, dürfte wohl der Weltraumtourismus im Nahbereich boomen. Noch sind die Tickets äußerst rar und alles andere als preiswert, aber sie sind schon im Verkauf oder werden versteigert. Astronaut Matthias Maurer weiß jetzt schon um den Betrieb der nächsten Monate und in der Zeit seines ISS-Aufenthaltes (siehe Interview). Dass Rundflüge im All mit vielleicht 100 Menschen an Bord angeboten werden, ist keine Vision einer fernen Zukunft mehr.
Neben den Schlagzeilen um die beiden Milliardärsunternehmen kommen gleichzeitig auch zunehmend öfter Nachrichten von neuen aufstrebenden Playern. Japan ist schon länger im Geschäft. Gemeinsam mit den USA ist das Projekt einer Mondstation in Planung, auch mit der Idee, auf dem Mond eine Treibstofffabrik aufzubauen. Indien arbeitet weiter an einer bislang nur unbemannten Mondmission, die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine Sonde auf dem Weg zum Mars.
Die Europäer sind nach wie vor stark in wissenschaftlichen Bereichen, führend beispielsweise in der Klima- und Erdüberwachung. Es gibt Projekte zur Asteroiden-Abwehr und zur Überwachung des Weltraumschrotts, eine Mission zu dessen Beseitigung („ClearSpace 1") ist in Arbeit, und mit „Galileo" gibt es ein Satellitennavigationssystem, das alle bisherigen wie beispielsweise GPS um ein Vielfaches an Genauigkeit übertrifft.
Das kleine Luxemburg hat vor gut fünf Jahren ein Projekt gestartet, das zunächst vielfach belächelt wurde, inzwischen aber weltweite Beachtung findet: Space Mining, also die Nutzung von Rohstoffen im All. An einer internationalen Konferenz, der „Space-Ressources-Week", nahmen kürzlich Berichten zufolge rund 1.300 Experten aus aller Welt teil.
Faszination der unendlichen Weiten
Bei seiner Mission ist Matthias Maurer unter anderem auch selbst Forschungsgegenstand. Dass der Mensch im All leben und arbeiten kann, ist inzwischen klar, betont er selbst, aber für weitergehende Missionen und deutlich längere Aufenthalte gibt es noch einigen Forschungsbedarf.
In seiner Heimat begleiten nicht nur viele intensiv die Mission, sondern haben sich in unterschiedlicher Art eingebracht und beteiligt. Kein Wunder. Matthias Maurer gehört zum offiziellen Kreis der Saarland-Botschafter. Das sind Saarländer, die außerhalb des Landes in ihren jeweiligen (beruflichen) Umfeld rund um den Globus Werbung für das Land machen, frei nah dem selbst gewählten Slogan: „Großes entsteht immer im Kleinen". Als dieser Kreis ins Leben gerufen wurde, hat wohl niemand ernstlich erwartet, dass die Botschaft einmal im Weltall ankommen könnte. Matthias Maurer wird sie auf der ISS in vielfältiger Art dabeihaben, als Botschaft saarländischer Vereine (das Land hat die größte Vereinsdichte aller Bundesländer), in verzehrbarer Form (Land mit der höchste Dichte an Sterneköchen) und sichtbar als exklusive Shirts der saarländischen Designerin Laura Theiss.
Es ist üblich, dass Esa-Astronauten ihre Mission unter ein individuelles Motto stellen. Für Matthias Maurer ist es „Cosmic Kiss", und im Gespräch wird unverkennbar, dass es für ihn nicht nur der Name der Mission, sondern ein großes inhaltliches und persönliches Anliegen ist.
Bei allen Erkenntnisfortschritten und immer weiteren neuen Schritten in die unendlichen Weiten des Weltraums bleibt die Faszination ungebrochen, bleiben beim Blick in den Sternenhimmel Erstaunen und die uralten Fragen nach dem Woher und Wohin, die mit jeder neuen Erkenntnis, mit den erstaunlichen Bildern vom Hubble-Teleskop oder den Aufnahmen von „Perseverance" eher noch intensiver werden. Und dazu gehört auch die Botschaft, die bislang noch jeder Astronaut mit zurückgebracht hat: Dieser blaue Planet ist mit seiner dünnen Schutzhülle höchst zerbrechlich, aber auch außerordentlich faszinierend. Und die Besiedleung den unwirtlichen Planeten Mars eigentlich keine Option.