Neben Cut-outs haben Designer für diesen Sommer auch den eleganteren Klassiker entblößter Frauenhaut wiederentdeckt: rückenfreie Kleider. Ein heißer Trend, der bei Glamour-Auftritten begeistert und auch im Alltag alle Blicke auf sich zieht.
In der zweiten Jahreshälfte 2019 hatte eine kunstvolle Retrospektive im Pariser Musée Bourdelle für Aufsehen in der Modewelt gesorgt. Wurden in der Ausstellung mit dem Titel „Back Side – Dos à la mode" doch die schönsten Kreationen rückenfreier Traumkleider gewürdigt. Und zugleich auf den fraglos interessanten psychologischen Aspekt hingewiesen, dass Frauen, die solche Kleider tragen, ausgerechnet den Teil ihres Körpers enthüllen, über den sie zwar selbst keine Blickkontrolle mehr haben, von dem sie allerdings gewiss sein können, dass er auf etwaige Betrachter seine erotisch-verführerische Wirkung nicht verfehlen kann. Vermutlich werden einige Designer die Exposition besucht haben, denn schon wenig später tauchten in den Sommerkollektionen 2020 bei Labels wie Bottega Veneta, Jacquemus, Isabel Marant, Cecilie Bahnsen oder Nanuska Backless Dresses erstmals wieder auf und beendeten damit eine langjährige Rückenfrei-Abstinenz auf den internationalen Laufstegen. Top-Influencerinnen wie Pernille Teisbaek, Camille Charrière, Erika Boldrin oder Donna Wallace zeigten sich bei den Fashion Weeks in den luftigen Teilen und sorgten über ihre Instagram-Seiten für eine rasant wachsende Begeisterung ihrer Follower-Community für die „Open Backs", wie sie im Englischen alternativ zu Backless Dresses auch genannt werden. Nicht weiter überraschend daher, dass im Sommer 2021 noch viel mehr Labels rückenfreie Kleider in ihr Sortiment aufgenommen und damit einen Trendzug angeschoben haben. Was in deutschsprachigen Fashion-Medien, die fast unisono nur die unübersehbare Cut-Out-Mania gefeiert haben, allerdings kaum zur Kenntnis genommen wurde.
Vorne Business, hinten Party
Durch das Hineinschlüpfen in luftig rückenfreie Kleider, die freizügig Dekolliertem aktuell deutlich den Rang ablaufen, könnte ein hoffnungsvoll-symbolischer Schlussstrich unter die Corona-Beschränkungen gezogen und endlich die im Homeoffice so beliebten Tracksuits wieder beiseitegelegt werden. Der zum Trend aufgestiegene Klassiker dürfte vor allem jenen Ladys gefallen, die ansonsten Probleme damit haben, allzu offenherzig bloße Haut um Beine, Taille oder Büste zu zeigen. Schließlich gilt für die rückenfreien Kleider immer noch das Motto: „Business in the front – party in the back". Woraus sich schon ein Hinweis darauf ableiten lässt, dass die Designer bei ihren neuen Kreationen nicht mehr nur Roben entworfen haben, die allenfalls auf dem roten Teppich, bei Glamour-Events wie Hochzeiten oder beim Opern-Besuch getragen werden können. Stattdessen gibt es viele alltagstaugliche Open Backs, bei denen das Risiko eines gefühlten Overdressings ausgeschlossen sein dürfte. Mit einem darüber getragenen dünnen Blazer oder Trenchcoat können die Kleider auch tagsüber im Büro oder auf der Straße ganz easy präsentiert werden.
Als Paradebeispiel für eine alltagstaugliche Backless-Kreation kann das breitstreifige, langärmelige Strickkleid von Christopher John Rogers ins Feld geführt werden, dessen fast bis zum Po reichender Ausschnitt von einem Halterneck und einem schmalen, im Englischen als Thong bezeichneten Stoffriemen zusammengehalten wird. Das Kleid ähnelt mit seinem Ausschnitt rückenfreien Pullis. Von Simon Miller gibt es ebenfalls eine Strick-Variante, die allerdings wegen Beinschlitz und lediglich durch einen asymmetrischen Halterneck leicht kaschierter kompletter Rückenfreiheit eher etwas für einen Party-Besuch sein dürfte. Während Balenciaga auf figurbetonte Jersey-Open-Backs setzt, kann man sich bei Victoria Beckham für A-Linien-Dresses entscheiden, die im unteren Bereich weit ausgestellt sind. Auch Givenchy setzt auf das Material Jersey, wobei die Kleider neben dem Rückenausschnitt zusätzlich auch noch Cut-Outs rund um die Ellbogen aufweisen. Bei einigen Modellen ist der Ausschnitt ganz schlicht gehalten, bei anderen mit funkelnden Kristallen gerahmt.
Zusätzlich gibt es noch eine Variante, bei der ein an einen String-Tanga erinnerndes Thong-Riemchen ins Spiel kommt, ein pfiffiges Detail, das den Anschein erweckt, als sei das Kleid leicht nach unten verrutscht und dadurch die Unterwäsche freigelegt worden. Diese Fake-G-Strings tauchen auch bei anderen Labels als neue Cut-Out-Idee auf, allerdings nicht in Verbindung mit Kleidern, sondern mit Röcken bei Versace, Sandy Liang oder LaQuan Smith sowie mit Hosen wie bei Dion Lee. Weitere alltagstaugliche Kleider mit Rückenausschnitt haben Bottega Veneta, Nanushka, Miu Miu oder Dsquared2 in ihrem Programm. Während Labels wie Ashish oder abermals Bottega Veneta auf den glitzernd-funkelnden Glamour-Look setzen. Von Maxi-Robe über Midi-Dresses, beispielsweise bei Jacquemus, bis hin zu Slip-Kleidern ist bei dem Trend alles vertreten. Rückenfreie Kleider mit Puffärmeln, beispielsweise von Cecilie Bahnsen, finden sich in den Kollektionen neben Open Backs mit Blütenschmuck, beispielsweise von No.21 oder Tove Studios, oder auch mit Polka Dots. Eine etwas knifflige Aufgabe mussten die Designer jeweils bei weiten Ausschnitten lösen. Denn die Optik des Thongs sollte natürlich den Gesamteindruck des freien Rückens möglichst wenig stören. Ein einfacher Riemen genügte allerdings vielen Designern nicht, weshalb sich manche für verspielte Schnürungen entschieden haben.
Viele Alternativen zum klassischen BH
Natürlich gibt es diesen Sommer nicht nur rückenfreie Kleider zuhauf, sondern auch entsprechende Tops, beispielsweise von Nina Ricci oder Proenza Schouler, sowie backless Bodysuits, beispielsweise von Hermès, Jackets und Jumpsuits. Nur am Rande sei angemerkt, dass Alexander McQueen sogar für Herren rückenfreie Anzüge in seinem aktuellen Sortiment offeriert. Bei Open Backs stellt sich für viele Frauen die Frage nach dem Darunter. Sprich nach Alternativen zum BH, dessen Halter ja den Blick auf den freien Rücken erheblich beeinträchtigen kann. Ganz ohne Büstenhalter fühlen sich dabei manche Ladys ziemlich unwohl, aber es gibt ja inzwischen viele Möglichkeiten, von selbstklebend bis Neckholder. Mutige Damen können zudem Spitze zeigen, sprich ein möglichst hochwertiges Oberteil ganz bewusst als Statement auf blanker Haut einsetzen.
Rückenfreie Kleider waren erstmals in den 1920er-Jahren aufgetaucht. Schon Ende 1920 war auf dem Cover der „Vogue" eine Lady mit Open Back zu bestaunen. Damals wurden vor allem die Entwürfe von Madeleine Vionnet weltweit bewundert. Doch populär wurden Backless Dresses erst in der folgenden Dekade, als gebräunte Haut plötzlich zum neuen Schönheitsideal aufgestiegen war. So posierte beispielsweise ein frühes Starlet der Tonfilmzeit namens Constance Bennett in einem weit ausgeschnittenen weißen Kleid Anfang 1933 in der „Vogue". Vier Jahre später sorgte die irische Schauspielerin Micheline Patton in einer frühen BBC-TV-Produktion für Furore, als sie in der Mode-Dokumentation „Clothes-Line" in einem rückenfreien Kleid aufgetreten war, was angesichts der für viele Betrachter an Nacktheit grenzende Freizügigkeit zu heftigen Zuschauerprotesten geführt hatte. In den 1950er-Jahren gelangte auch das schauspielende Model Vicki Dougan dank seiner hinten weit ausgeschnittenen Kleider zu großer Berühmtheit, selbst im „Playboy" durfte sie 1957 ihren wohlgeformten Rücken vorzeigen, dem sie auch ihren Spitznamen „The Back" verdankte.
Kein Kleidungsstück ohne Cut-Outs
Gerüchteweise wurde die spätere Trickfilmfigur Jessica Rabbit nach dem Look des frühen It-Girls Vicki Dougan gestaltet. Sie sollte in der französischen Schauspielerin Mireille Darc eine würdige Nachfolgerin finden, die in dem Kultklamauk „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh" im Jahr 1972 in einem inzwischen legendären schwarzen, langärmeligen und bis zur Po-Ritze weit ausgeschnittenen Turtleneck-Dress von Guy Laroche für Schlagzeilen sorgte. Das Kleid wurde sogar in den Louvre-Bestand aufgenommen. Später in den 1990er-Jahren war es besonders Tom Ford in seiner Gucci-Ära vorbehalten, den Open Backs den weiteren Vormarsch in der Fashion-Welt zu ebnen. Bei den Tik-Tok-Berühmtheiten sind Backless Dresses kaum angesagt. Die neuen Teenageridole stehen mehr auf raffinierte Cut-Outs, um auf subtile Weise nackte Haut zu zeigen. Damit sind sie nicht alleine. Diesen Sommer sind die Kollektionen der meisten Designer von einer veritablen Cut-Out-Manie als wichtiger Bestandteil des Body-Positivity-Trends durchzogen. Dessen Protagonistinnen sind der Jenner-Kardashian-Clan sowie Promi-Ladys wie Bella Hadid oder Dua Lipa. Meist wird dabei ein Teil der Hüften bloßgelegt, etwa bei Kleidern von Gabriela Hearst, Y/Project oder Boss, auch die Zone rund ums Dekolleté – Self Portrait, Sandra Mansour, Alexander McQueen, Chloé, Kenzo oder Victoria Beckham – oder oberhalb des Bauchnabels – Mugler oder Brandon Maxwell –
ist zum Stoffweglassen bestens geeignet. Bei LaQuan Smith gibt es praktisch kein Kleidungsstück ohne Cut-Outs, bei einem knallengen Dress sind sieben verschiedene Varianten zu bestaunen. Sandy Liang beschränkt sich hingegen auf einen Stoffverzicht in der Taille und zusätzlich einen runden Ausschnitt unterhalb des Busens. Bei Prada wurde ein Pullover allover mit runden Cut-Outs gestaltet, was perfekt mit der darunter getragenern Polka-Dot-Bluse harmonierte. Eine der gelungensten Umsetzungen des Trends Richtung Eleganz ist fraglos Fendi durch eine sommerlich-helle Kombination eines hautengen, midilangen Rocks mit rund um die Taille seitlich ausgeschnittener Bluse gelungen.