Niels Giffey und Alba Berlin – das war jahrelang eine unzertrennliche Verbindung. Jetzt verlässt der Basketballer den Club für ein Abenteuer in Litauen. Er wird Alba als Sportler und Mensch fehlen.
Der Abschied steht fest, aber er scheint nicht für immer zu sein. „Bis bald, Niels!" – mit diesen Worten endet die Mitteilung des deutschen Basketball-Meisters Alba Berlin zum nicht mehr überraschenden Abgang seines Kapitäns Niels Giffey. Der gebürtige Berliner sucht in Litauen beim Topclub Zalgiris Kaunas ein neues Abenteuer. Aber Alba, Berlin und all die Menschen, die ihn seit vielen Jahren hier begleitet haben, wird er für immer im Herzen behalten. „Wer mich kennt weiß, wie wichtig mir diese Stadt, der Club, die Fans und besonders mein Team sind und wie tief ich hier in meinem Kiez verankert bin", sagte Giffey.
Bevor er als damals 16-Jähriger zu Alba gekommen war, hatte er nicht wirklich an eine Karriere als Profi geglaubt. Basketball war sein Hobby – mehr nicht. Erst bei Alba habe er gelernt, „daran zu glauben, dass Basketball mein Leben sein kann, ich habe Mentoren gefunden, die mir ihre Werte und ihren Basketballstil mit auf den Weg gegeben haben", erzählte Giffey. Hier sei er über die Jahre „vom BBL-Rookie zum Kapitän gereift" und habe immer mehr Vertrauen geschenkt bekommen. Unglaubliche Dankbarkeit spricht aus diesen Worten.
„Vom BBL-Rookie zum Kapitän gereift"
Doch nicht nur Giffey muss dem Club dankbar sein, sondern auch umgekehrt. Der Small Forward führte seinen Herzensclub in seinen sieben Profijahren zu zwei Meistertiteln, zwei Pokalsiegen und ins EuroCup-Finale. In seinen 398 Pflichtspielen für Alba waren auch einige schmerzhafte Niederlagen dabei, aber nach den meisten davon verließ Giffey das Parkett mit einem Lächeln. Genau wie nach dem traumhaften Sieg 2014 im Duell gegen die NBA-Stars der San Antonio Spurs. Giffey hat den Aufstieg der Berliner zu einem EuroLeague-Stammgast hautnah miterlebt und maßgeblich geprägt. Er verkörperte als einstiger Alba-Nachwuchsathlet die Philosophie des Clubs, eigene Spieler möglichst aus der Region auszubilden und zu fördern. „Er steht wie kein Zweiter für unser Nachwuchsprogramm und die Integration von vor allem Berliner Talenten", sagte Sportdirektor Himar Ojeda. Auch Giffey selbst ist „wirklich stolz, Teil des ganzen Prozesses" gewesen zu sein. Doch das ist jetzt Vergangenheit. „Ich kann für mich selbst sagen: ‚The job is done.‘" Die Arbeit ist erledigt. Und nun sei er „bereit für eine neue Herausforderung und ein neues Kapitel."
Und dieses Kapitel schlägt Giffey 750 Kilometer nordöstlich von Berlin auf. Weil sein Vertrag in Berlin in diesem Sommer auslief und Giffey sich zu einem internationalen Topspieler entwickelt hat, flatterten frühzeitig Angebote ins Haus. Das von Zalgiris Kaunas war besonders reizvoll – finanziell wie sportlich. „Wir hätten ihn gern gehalten", sagte Ojeda über Giffey, doch das Bemühen um eine erneute Vertragsverlängerung war am Ende umsonst. „Wir wünschen ihm natürlich nur das Beste für sein neues Abenteuer", sagte Ojeda. Giffey zog die Option Kaunas vor, hier unterschrieb er einen Einjahresvertrag inklusive Option auf eine weitere Saison und soll Teil eines größeren Umbruchs sein. Er trifft dabei auch auf einen alten Bekannten: Tyler Cavanaugh, mit dem er in der Saison 2019/20 zusammen bei Alba auf Korb-jagd gegangen war, stößt ebenfalls neu zum Team dazu. In Marius Grigonis und Thomas Walkup verlassen jedoch mindestens zwei wichtige Leistungsträger die Mannschaft. Dass Giffey diese Lücke schließen kann, hofft vor allem Trainer Martin Schiller – und auch den kennt der deutsche Nationalspieler bestens. Der Österreicher Schiller war von 2015 bis 2019 Co-Trainer in der Nationalmannschaft, jetzt ist er Giffeys Cheftrainer im Club. Die Erwartungen sind hoch, das Double aus dem Vorjahr mit Meistertitel und Pokalsieg soll auch nächstes Jahr wieder her. Außerdem wollen die Clubbosse eine positive EuroLeague-Bilanz sehen.
Dass Giffey in seiner Karriere keine Abenteuer scheut, hat er schon bewiesen. Nach seiner Ausbildung bei Alba zog es ihn nach Amerika, beim College-Basketball holte er sich den nächsten Schliff. Mit den UConn Huskies wurde er zweimal NCAA-Champion – und irgendwie auch zum Mann. Es sei „die beste Entscheidung meines Lebens" gewesen, erzählte Giffey einmal, „hierherzukommen und nicht direkt Profi zu werden". An Angeboten hatte es 2010 nicht gemangelt, aber der damals 19-Jährige fühlte sich noch nicht bereit fürs Profi-Basketball. In den USA konnte er noch ein Studium absolvieren und die Welt von einer anderen Seite kennenlernen. „Ich hatte nie wirklich die Chance, aus Berlin rauszukommen und mal irgendwo anders zu wohnen, in einem anderen Land zu leben", sagte er rückblickend. Die Zeit in Amerika hat ihn deshalb selbstbewusster gemacht, sportlich weitergebracht und vor allem seinen Ehrgeiz geweckt. Er selbst spricht von einem „Aha-Erlebnis": „Ich habe gemerkt, ich brauche noch mehr im Leben als nur Basketball."
„Ich brauche mehr im Leben als Basketball"
Wie für jeden anderen Basketballer auch war die NBA natürlich ein Ziel von Giffey, aber verzweifelt ist er diesem nie hinterhergejagt. Als er als College-Senior automatisch für den NBA-Draft 2014 angemeldet, aber nicht ausgewählt wurde, war das kein Beinbruch für ihn. Genauso wenig wie das „Nein" der NBA-Clubs Utah Jazz und Memphis Grizzlies in der NBA Summer League, in der sich hoffnungsvolle Talente empfehlen können. Und so zog es Giffey im Juli 2014 zurück in seine Heimatstadt Berlin, wo die beste Zeit seiner Karriere auf ihn wartete. Der Spieler entwickelte sich zu einem variablen Forward. Egal ob passen, werfen, verteidigen, blocken – Giffey kann es. Er ist auch stark mit dem Rücken zum Korb und kann körperlich mithalten. Diese Qualitäten zeigt er auch in der Nationalmannschaft, in der er seit Jahren gesetzt ist und bei der Olympia-Qualifikation in Kroatien um ein Olympia-Ticket kämpfte.
Doch im Leben von Niels Giffey dreht sich längst nicht mehr alles nur um Basketball. „Ich gucke mittlerweile vermehrt nach links und rechts", sagte er. Im Verein hat er allen möglichen Leuten über die Schulter geschaut und Fragen gestellt, unter anderem Sportdirektor Ojeda und Angestellten aus der Marketing- und Kommunikationsabteilung. „Das finde ich sehr spannend", sagte er. „Es geht nicht nur um uns, sondern auch um den ganzen Unterbau, der einen extrem sozialen Aspekt hat."
Er wolle zudem demnächst ein paar Dinge angehen, die er schon viel zu lange vor sich hergeschoben habe, „Sachen, die ich mir über die Jahre vorgestellt habe, wie Investments und andere kleine Businessthemen". Vor allem an Beteiligungen an Start-Ups ist er interessiert, dafür hat er sich in Berlin ein kleines Netzwerk aufgebaut. Schon allein deswegen wird seine Verbindung in die Heimatstadt auf jeden Fall bestehen bleiben. Und nach ein oder zwei Jahren könnte sich ja auch schon die Frage nach einer Rückkehr bei Alba stellen. In welcher Funktion auch immer. „Bis bald, Niels!" ist beileibe kein Abschiedsgruß für immer.