Der viel beschworene Neuanfang bei den Saar-Grünen ist zu einem Desaster geworden. Die Landesvorsitzenden haben aufgegeben, die Gültigkeit der Wahlliste ist noch offen. Für den 17. Juli ist der nächste Parteitag geplant.
Zwei Wochen nach dem Parteitag im Juni stehen die Grünen im Saarland endgültig vor dem, was die Landesvorsitzende Barbara Meyer-Gluche noch auf dem Parteitag selbst als „Scherbenhaufen" bezeichnet hat. Der gerade erst gewählte neue Vorstand ist von Tag zu Tag geschrumpft, bis schließlich auch die amtierende Landesvorsitzende 14 Tage nach ihrer Wahl aufgab. Ihr Co-Vorsitzender hatte diesen Schritt schon fünf Tage nach seiner Wahl vollzogen. Im Grunde haben Barbara Meyer-Gluche und Ralph Rouget konsequent gehandelt. Das Duo erklärt explizit, anzutreten, um die zerstrittene Partei wieder zusammenzuführen. Die aber wollte ganz offensichtlich nicht. Selbst das Risiko, ohne eine Landesliste in die Bundestagswahl zu gehen, hat offensichtlich nicht den nötigen Einigungsdruck aufgebaut. Keine Landesliste zu haben, würde bedeuten, dass die Grünen als Partei im Saarland nicht gewählt werden können. Co-Parteichef Robert Habeck hatte noch kurz nach der legendären Versammlung der Saar-Grünen gemeint, „innersaarländische Probleme sind erst einmal innersaarländische Probleme", und den Bundesvorstand nur in einer „beratenden Rolle" gesehen, damit eine gültige Landesliste vorgelegt werden kann. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war klarer: „Wir hätten uns das anders gewünscht". Jedenfalls war bundesweite Aufmerksamkeit sicher.
Saar-Grüne bundesweit in den Schlagzeilen
„Für eine Partei, die bald in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs eintritt, könnten die Vorgänge kaum verheerender sein." („FAZ", 27.06.21) „Die Schwierigkeiten an der Saar sind nicht nur ein weiterer Rückschlag im Wahlkampf der Grünen auf Bundesebene." („Neue Zürcher Zeitung", 27.06.21) „Die alte Fußballer-Weisheit, ‚erst hatten wir kein Glück und dann kam Pech dazu‘, trifft die Lage der Grünen bestens. ... Baerbocks Bild der „neuen Grünen" wird empfindlich gestört." („Focus", 30.06.21)„Für den politischen Gegner der Grünen sind all diese Vorgänge an der Saar ein gefundenes Fressen." („Luxemburger Tageblatt", 26.06.21)
Zu diesem Zeitpunkt ging es in erster Linie um das Frauenstatut und die Tatsache, dass die Grünen Saar entgegen der Satzung keine Frau, sondern eben Hubert Ulrich an die Spitze gewählt hatten. Dass die zu diesem Zeitpunkt Noch-Landesvorsitzende Tina Schöpfer in drei Wahlgängen chancenlos durchgefallen war, befanden nicht wenige Delegierte schlicht als „beschämend". Ob die Vorgänge gegen das Parteistatut verstoßen haben oder regelkonform waren, war bis Redaktionsschuss offen. Das Landesschiedsgericht hat das Verfahren an die Bundespartei weitergegeben.
Womit sich eigentlich ein Zeitfenster schließt. Der praktisch täglich schrumpfende Vorstand hatte noch beschlussfähig, wie Meyer-Gluche betonte, vorsorglich einen Saal für eine Wiederholung der Listenaufstellung gebucht und hätte bei verkürzter Einladungszeit eine ordnungsgemäße Versammlung organisieren können, wenn der erste Durchgang für ungültig erklärt worden wäre. Ob der Vorstand von sich aus diesen Schritt hätte gehen können, ist umstritten, spielte aber insofern auch keine Rolle mehr, weil sich die verbliebenen Vorstandsmitglieder darauf nicht verständigen konnten. Hubert Ulrich hätte sich seinerseits zurückziehen können, um den Weg freizumachen, wozu er aber keinen Anlass sah. Das einzige, was man ihm vorwerfen könne, sei, dass er kandidiert habe.
Das Thema Frauen und Parteistatut rückte aber etwas in den Hintergrund. Es gibt den – ebenfalls noch ungeklärten – Vorwurf, Nicht-Stimmberechtigte hätten sich an der Wahl beteiligt. Etliche Ortsverbände und zwei Kreisverbände haben die Listenaufstellung angefochten.
Derweil wird die Entwicklung von Kämpfen begleitet, die immer unübersichtlicher und zunehmend persönlicher ausgetragen werden. Die einfache Rechnung aus früheren Tagen, die die Saar-Grünen in „die Saarlouiser", „die Saarbrücker" und eben die anderen aufzuteilen, funktioniert nur noch bedingt bis gar nicht. „Die Saarlouiser" wurde quasi synonym für Hubert Ulrich verwendet. Und allein aufgrund der Mitgliederstärke befand selbst Meyer-Gluche, grüne Politik im Saarland könne nur mit, nicht gegen Hubert Ulrich gemacht werden.
Partei steht vor ungewisser Zukunft
Auf dem Mammutparteitag am 20. Juni offenbarte sich aber auch eine Menge merkwürdiger Einschätzungen. Dass Tina Schöpfer dann derart „beschämend" (Parteimitglieder) durchfiel, lag schon rein zahlenmäßig nicht nur an „den Saarlouisern" und spricht auch nicht dafür, dass da jemand vorher für Unterstützung geworben hätte. Dass sich in drei Wahlgängen am Ergebnis nichts änderte, lässt Fragen offen.
Wer sich nun wie und mit welchen Interessen auf den Parteitag am 17. Juli vorbereitet, ist unübersichtlich. Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jeanne Dillschneider, hat den Saarbrücker Ortsverband fluchtartig in Richtung Mettlach verlassen. Sie stammt aus Orscholz und gilt als eines der jungen politischen Talente, hatte (auf Vorschlag von Ex-Parteichef Markus Tressel) nach Schöpfers Niederlage auf Platz eins der Landesliste kandidiert und war schließlich Hubert Ulrich unterlegen.
Ein Grünes Bündnis Saar (bei Redaktionsschluss 13 Ortsverbände) hat einen Sonderparteitag beantragt, um „weiteren Schaden von der Partei" abzuwenden und eine rechtssichere Liste für die Bundestagswahl abgeben zu können.
Am vorsorglich geblockten Termin (17. Juli) steht nun auch die Parteispitze zur Neuwahl an. Auf der ursprünglich geplanten Einladung waren noch „Nachwahlen zum Vorstand" vorgesehen. Nach dem erklärten Rückzug von Meyer-Gluche und weiteren Vorstandsmitgliedern zeichnete sich bis Redaktionsschluss noch nicht ab, wer sich diese Aufgabe zutraut oder zumutet.