Selbstkontrolle negativer Emotionen ist ein wichtiger Schlüssel
In Zeiten, in denen sich der Alltag drastisch auf unbestimmte Dauer verändert – zum Beispiel bei Krieg oder Epidemien – treibt den Menschen verstärkt die eine, uralte Frage um: Was ist Glück? Wie kann ich hingelangen und es behalten? Gibt es ein Glücksrezept oder Glücksgeheimnis? Denn das ewige Streben nach Glück ist immer auf etwas Neues, auf die Zukunft projiziert. Die kategorische Feststellung des Seelenforschers Sigmund Freud gilt nicht: „Glück ist im Schöpfungsplan nicht vorgesehen!"
Seit der Antike grübeln und philosophieren Dichter und Denker darüber, wie Glück entsteht und ob es erlernbar ist. Von Hiob, dem Lebenskünstler Epikur und Sophokles über Schopenhauer und Ludwig Marcuse bis Aldous Huxley, Hermann Hesse, Albert Camus oder dem Dalai Lama haben sie sich auf die Suche nach der Glücksformel begeben.
Vom Baby bis in Todesnähe streben die Menschen nach Glück. Bei Kindern scheinen die Glücksträume noch leicht erfüllbar. Nur die Corona-Zeit hat aktuell den einen oder anderen Riegel vorgeschoben. Ansonsten gilt das alte Lied der Mimi Thoma „Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen". Neben dem Austausch und dem Spiel mit Gleichaltrigen gehört ein Hund, ein Hamster, ein Hase oder eben auch ein stattliches Pferd bei Kindern in die Rezeptur des Glücks.
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten verheißt sogar allen Bürgern einen Anspruch auf Glück. In alten (grünen) Parteibüchern der SPD findet sich der Satz des französischen Sozialisten Léon Blum: „Unser wahres Ziel ist, die Menschen in der künftigen Gesellschaft nicht nur wertvoller, sondern auch glücklicher zu machen." Und seit 2008 hat der Himalaya-Staat Bhutan das „Bruttonationalglück" in seiner Verfassung festgeschrieben.
Damit sind allerdings die Fragen nach dem persönlichen Glück, nach „Hans im Glück" und all seinen Spielarten keineswegs beantwortet. Findige Köpfe machen sich diese Menschheitssehnsucht zunutze und überschwemmen die Büchermärkte mit Ratgebern und fragwürdigen Glücksformeln. Wissenschaftler in aller Welt werden nicht müde darauf hinzuweisen, dass wir heutzutage insgesamt besser, gesünder und länger leben als in früheren Jahrhunderten – dennoch nehme die Jagd nach dem Glück kein Ende, die Menschen seien nicht glücklicher als früher. Eher im Gegenteil.
Dafür wird sogleich eine wissenschaftliche Erklärung mitgeliefert: Die menschliche Evolution der vergangenen Jahrtausende habe alles auf den Kopf gestellt, mit immer größer werdenden Städten und Wohnsiedlungen, mit Massenmedien und allumfassenden Organisationen. Wir seien von der Steinzeit, aus dem Idyll der Familien und Kleingruppen, in eine schöne neue Welt katapultiert worden, heißt es. Noch heute würden wir zum Beispiel steinzeitgemäß „auf Vorrat essen" – was in einer Spaß-, Freizeit- und Fitnessgesellschaft von Übel ist.
Bei allen Forschungen und Beobachtungen scheint sich immer das simple alte Sprichwort zu bestätigen „Jeder ist seines Glückes Schmied". Wichtig bei der Suche nach dem Glück ist – in der Psychologie eine Binsenweisheit – der Vergleich. Und zwar vor allem der „Abwärtsvergleich" – das heißt profan: Mit den Ansprüchen und Glückszielen nicht immer nur „nach oben" schielen, zu denen, die scheinbar glücklicher sind.
Die Glücksforscher sagen: Negative Gedankenschleifen beseitigen die Probleme nicht, sie verstärken sie vielmehr. Ärger und Zorn verbauen die Möglichkeiten zum Glück. Sie machen blind für das Glück, das ja zumeist am Wegesrand liegt. Die Selbstkontrolle der negativen Emotionen ist somit ein wichtiger Schlüssel auf dem ach so verschlossenen Weg zum Glück. Nicht wer konsumiert, wird glücklich – aber wer die Schattierungen des Lebens kennt und akzeptiert und sich bewusst ist, dass Glück ohne Unglück nicht möglich ist, dass Freundschaft, Liebe, Zuwendung, Anerkennung, Respekt stets auf Gegenseitigkeit beruhen, dass Glück nicht erzwungen, sondern erarbeitet wird.
Auch hier gilt letztlich das Wort von Albert Camus: „Es ist ein Missgeschick, nicht geliebt zu werden. Aber ein Unglück, nicht lieben zu können."