Ein Sprint über 100 Kilometer entscheidet am Samstag in Silverstone/England erstmals über die Startaufstellung des Formel-1-Rennens am Sonntag (18. Juli). Die Top 3 im Sprint erhalten WM-Punkte nach dem Schema 3-2-1 für Fahrer- und Markenwertung. Im WM-Kampf hat „Bullen"-Pilot Max Verstappen Mercedes-Star Lewis Hamilton abgehängt und ist auf Titel-Kurs.
Da sag noch einer, die Formel 1 „trotte" in ihrem 72. Jahr alten Gewohnheiten hinterher. Von wegen! Ausgerechnet „in der Wiege des Motorsports", im englischen Silverstone, erlebt die Formel 1 eine kleine Revolution. Die alte „Grand-Prix-Dame" unterzieht sich einer „Verjüngungskur". Sie wird „geliftet". Mit ihren Reizen soll sie nicht geizen. Attraktiver, interessanter und spektakulärer will sie sich ihren Verehrern an der Rennstrecke präsentieren. Ein neues Format soll bei den Zuschauern für ein neues Spannungselement sorgen. Und bei den TV-Anstalten für höhere Einschaltquoten. Zumindest an drei Wochenenden in dieser Saison.
Eine große Veränderung
Den Auftakt mit ihrem neuen Rennprogramm macht die Formel 1 beim Großen Preis von Großbritannien an diesem Wochenende an ihrer Geburtsstätte (13. Mai 1950) auf dem ehemaligen Militärflughafen in Silverstone. Erstmals wird das aktuelle und traditionelle Format eines Grand Prix dann verändert. Am Freitag (15.30 Uhr) wird es nur ein Freies Training über 60 Minuten geben. Anstelle der zweiten Freien Trainings-Sitzung wird das traditionelle Qualifying (19 Uhr) mit den bekannten drei Segmenten Q1, Q2 und Q3 abgehalten. Das Ergebnis dieser Zeitenjagd bestimmt die Startaufstellung für den Sprint am Samstag. Am Samstag (13 Uhr) folgt wie üblich ein 60-minütiges Training. Am späten Nachmittag (17.30 Uhr) treten dann die 20 Fahrer in einem Sprint über 100 Kilometer gegeneinander an. Das Ergebnis dieser „Sprint-Qualifikation" entscheidet dann über die Startaufstellung für den Grand Prix, das Hauptrennen am Sonntag (16 Uhr) über die volle Distanz. Diese beträgt auf dem Silverstone GP Circuit bei 52 Runden mit je 5,891 Kilometer 306,198 Kilometer. „Eine derart große Veränderung im Zeitplan hat es bei der Formel 1 noch nie gegeben", so der Managing Director des GP in Silverstone, Stuart Pringle, in einem Statement der FIA (Automobil-Weltverband, Anm. d. Red). Er sei „unglaublich aufgeregt, den Machern der Formel 1 und der FIA für ihre Anstrengungen, für mehr Unterhaltung zu sorgen, zu danken". Außerdem erhalten die drei Erstplatzierten des Sprints (wobei das neue Format nicht Rennen genannt werden darf, sondern nur „Sprint") Punkte – drei Zähler für Platz eins, zwei Punkte für den zweiten und einen Punkt für Rang drei. „Zu sehen, wie sich die Fahrer über drei Tage hinweg bekämpfen, wird ein unglaubliches Erlebnis sein, und ich bin sicher, dass die Fahrer den Kampf genießen werden", so F1-Präsident Stefano Domenicali. FIA-Chef Jean Todt ergänzt: „Ich freue mich, dass die Formel 1 mit dem Konzept des Sprint-Qualifyings neue Wege sucht, um mit ihren Fans in Kontakt zu treten und das Spektakel eines Rennwochenendes zu vergrößern."
Doch nicht alle Protagonisten der Formel 1 sind so euphorisch wie der Italiener Domenicali und der Franzose Todt. Die angekündigten Sprints sorgen für ein geteiltes Echo. „Wir müssen es so nehmen, wie es ist", sagt Sebastian Vettel. Der Aston-Martin-Pilot ist nicht besonders begeistert von dieser Entscheidung und bezeichnet sie als „seltsam". Seiner Meinung nach sollte immer die schnellste Runde über die Startaufstellung entscheiden. Weder dafür noch gegen diesen „Unterhaltungs-Kunstkniff" ist der aktuelle WM-Führende Max Verstappen. „Wirklich brauchen wir das neue Startformat nicht", so der „Bullen"-Chefpilot. „Aber wir müssen einfach abwarten und schauen, ob es ein Erfolg wird", meint der Niederländer. Alfa-Romeo-Altstar Kimi Räikkönen, gewohnt locker und unbekümmert: „Mir ist es egal, ich hab keine Meinung, habe aber schon immer gesagt, dass wir bei bestimmten Rennen ein anderes Format haben sollten." Insgesamt sind bis Saisonende drei dieser Testläufe vorgesehen, wobei Monza (11. September) festgezurrt ist. Der dritte Austragungsort ist noch offen. Nach der Europa-Saison will die Formel 1 die Entwicklung der Corona-Pandemie noch abwarten.
„Müssen schauen, ob es ein Erfolg wird"
Von der Covid-Situation war zuletzt in Österreich beim F1-Rennen in Spielberg kaum die Rede. Seit 1. Juli sind in der Alpenrepublik die Corona-Beschränkungen deutlich gelockert. Die Maskenpflicht für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete ist aufgehoben. 62.000 Zuschauer am Rennsonntag, unter ihnen Zehntausende aus den Niederlanden, sorgten beim Österreich-GP für volle in Orange getränkte Tribünen. Hollands junger Nationalheld Max Verstappen war erneut der Sieger im Red-Bull-Ring. Erneut zeigte der Überflieger in seinem „Bullen" eine Machtdemonstration und gewann souverän seinen fünften Saison-Grand-Prix, den dritten in Folge. Und das innerhalb von 15 Tagen, was noch keiner vor ihm geschafft hat. Wie das? Acht Tage vor dem Österreich-GP fand an gleicher Stätte der Steiermark-GP statt. Und wiederum eine Woche vor diesem Spielberg-Doppelpack wurde der GP Frankreich in Le Castellet ausgefahren. Diese drei Rennen sind ein sogenannter Triple-Header, ein Dreierpack mit drei F1-Rennen an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Und immer hieß der Sieger Max Verstappen. Der Österreich-GP zuletzt war für den 23-Jährigen das perfekte Wochenende: Erstmals fuhr Verstappen den sogenannten Grand Slam nach Hause. Heißt: Pole Position, im Rennen jede Runde angeführt, schnellste Rennrunde mit Zusatzpunkt in den Asphalt gebrannt und Sieg herausgefahren. Insgesamt war es der 15. Triumph im 128. Rennen seiner F1-Karriere. Anschließend stand er zum 50. Mal auf dem Podest – was vor ihm mit 23 Jahren noch keiner geschafft hat. „Das Auto ist heute wie auf Schienen gefahren. Ich habe mich sehr gut im Auto gefühlt, egal auf welchem Reifensatz. An diesen zwei Spielberg-Wochenenden war unser Paket unglaublich. Sowohl das Auto als auch der Motor." Ganz im Gegensatz zu Mercedes. Erstmals seit 70 Rennen stand für den Österreich-Grand-Prix kein Silberpfeil in den Top Drei der Startaufstellung. Im Rennen blieb dem Dauersieger nur Schadensbegrenzung. Valtteri Bottas belegte Rang zwei, Lewis Hamilton mit seinem beschädigten schwarzen „Silberpfeil" Platz vier. Sein Landsmann Lando Norris komplettierte als Dritter das Podium. Sebastian Vettel blieb erneut ohne Punkte. Der Aston-Martin-Pilot kollidierte in der letzten Runde mit Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) und fiel von Platz 13 auf Rang 17 zurück. Mick Schumacher sah im unterlegenen Haas-Boliden als 18. die Zielflagge.
Fette Beute machte der „stramme Max" zuvor schon beim GP der Steiermark. Beim Heimspiel seines Red-Bull-Teams hat Verstappen Rivale Hamilton mit einem überlegenen Start-Ziel-Sieg seine Grenzen aufgezeigt. Mit 35 Sekunden Vorsprung auf den amtierenden Champion „flog" der „fliegende Holländer" über die Ziellinie. Hamilton wurde Zweiter, fuhr zum 43. Mal in seiner F1-Karriere auf den Platz hinter einem Sieger und stellte damit den Rekord von Michael Schumacher für die meisten zweiten Ränge in der F1-Geschichte ein. Vettel wurde nach drei WM-Läufen in den Punkten Zwölfter und auf den Boden der Tatsachen geholt. Schumacher wurde als 16. gewertet.
Der Frankreich-GP war ein nervenaufreibendes Rennen. Verstappen lieferte einmal mehr eine Gala-Vorstellung ab. Hamilton blieb „nur" Platz zwei, Teamkollege Bottas Rang vier. Das Podium komplettierte Perez im Red Bull. Vettel ergatterte mit zwei WM-Punkten Rang neun. Schumacher wurde 19. vor Teamkollege Nikita Masepin.
Hamilton im Hintertreffen
Fazit nach dem Dreierpack mit dem Doppel-GP in der Alpenrepublik: Hamilton, der vor dem Österreich-GP seinen Vertrag mit Mercedes geräuschlos um zwei Jahre bis Ende 2023 verlängert hat, gerät vor dem England-GP nach fünf Rennen ohne Sieg immer mehr ins Hintertreffen. Verstappen surft nach den Festspielwochen mit Red Bull auf einer Erfolgswelle. Mit 32 Punkten Vorsprung auf Hamilton (182:150) ist dem Herausforderer ein weiterer Schritt in Richtung WM-Titel gelungen. Heißt: Verstappen ist auf WM-Kurs. In der Markenwertung führt sein „Bullen"-Stall (286 Punkte) mit 44 Zählern Vorsprung vor Mercedes (242). „Diese WM ist ein Schwergewichtskampf über 23 Runden, und wir haben erst Runde zehn vor uns. Die Meisterschaft ist noch lange nicht verloren, noch ist alles drin. Es wird noch gute Rennen und Strecken für uns geben", gibt sich Mercedes-Häuptling Toto Wolff optimistisch und kampfbetont. Silverstone ist eine Strecke, die Mercedes in der Vergangenheit entgegengekommen ist. In den letzten acht Jahren gewannen die Stern-Autos sieben Mal.
Nur Vettel hat 2018 im Ferrari die Mercedes-Dominanz unterbrochen. In diesem Jahr hat Mercedes die Entwicklung des aktuellen Autos fast eingestellt und arbeitet mit Hochdruck am Auto für 2022, die „Bullen" entwickeln ihren aktuellen Boliden aber noch weiter. Diese Arbeitsweise könnte den Unterschied zu den Punktekonten machen. Und der Sieger könnte wie zuletzt 2012 Red Bull (Sieger Mark Webber) und Max Verstappen heißen.