Ungewohnte Umgebung und durchdachte Teller für frühe und spätere Esser: An der Schöneberger Bülowstraße siedelte sich das „Frühstück 3000" jenseits des Ausgeh- und kulinarischen Mainstreams an.
Die Bülowstraße war bislang nicht unbedingt als Ausgehmeile zum qualifizierten Essengehen bekannt – Hauptverkehrsstraße, rappelnde Hochbahn, Atmosphäre schmuddelig bis suspekt. Nicht Potsdamer-Straßen-Kiez, nicht Goltzstraßen-Kiez. Eher so gar keiner und zumindest kein attraktiver Anlaufpunkt. Das hat sich mit der Eröffnung vom „Frühstück 3000" geändert: Das große Ecklokal hielt Einzug in die lange leer stehenden Räume einer vormaligen Videothek. Es ist mit der blau-bunt gestrichenen Fassade an der Ecke nördliche Zietenstraße unübersehbar und bietet frühes und späteres Frühstück auf gehobenem und originellem Level.
Wie stark es ins Jahr 3000 weist? Um das seriös zu beurteilen, müssten wir wohl noch mindestens gute 970 Jahre warten. Die Zeit haben wir in diesem Leben nicht mehr. Also legen wir los mit einem gar nicht mal so frühen Frühstück auf der Um-die-Ecke-Terrasse, die uns sogar einen Blick auf die Zwölf-Apostel-Kirche ermöglicht. Bei schwülen 30 Grad hatte ich mein Augenmerk vorab auf die Gazpacho auf der Karte geworfen. Und erst einmal eine hausgemachte Hibiskus-Limonade für mich! Die Freundin wählt den „Firecracker", der mit Ingwer-Chili rasch für Schärfe-Explosionen am Gaumen sorgt. Wir sinken in die filigranen gelben Outdoor-Sessel und erfreuen uns des Lebens und der Erfrischungen.
Maximiliane Wetzel vom Inhaber-Trio ist an diesem Tag im Service und reicht uns Porzellanschälchen: „Ihr bekommt die Gazpacho als Aperitif. Dann könnt ihr mehr probieren." Prima Idee. Auf der opaken kalten spanischen Gemüsesuppe surft ein Röstbrotchip mit Kräuter-Crème-Fraîche-Tupfern und Dillfäden heran: „Chin chin!" Wir starten ins Frühstücksvergnügen, das mit Darreichungszeiten bis 16 Uhr für Spätaufsteherinnen wie mich geeignet ist. Um 13 Uhr bin ich unter der Woche keineswegs zur Rush Hour da: „Um 8 Uhr morgens geht’s schon richtig gut los", sagt Maximiliane Wetzel. Insbesondere Menschen mit Kindern oder Ältere kommen früh. „Alles dazwischen später."
Sogar das eine oder andere Glas Champagner werde dann bereits gern zu French Toast, „Birchermüsli 3000" oder Erbsenkrapfen genommen. Stimmt aber auch: So viele Möglichkeiten richtig früh in Berlin maßgeblich besser als mit belegter Aufbackschrippe und Imbisskaffee zu starten, gibt’s in der Stadt geschweige denn in der Gegend zwischen Nollendorfplatz und Potse nicht.
Wahrscheinlich liegt der frühe ebenso wie der späte Besuch vor allem an den überzeugenden Tellern, die Küchenchef und Mitinhaber Lukas Mann aus der Küche schickt. Sie machen in jeder Lebenslage Spaß, wie wir an unserem personalisierten Mini-Büfett am Tisch feststellen dürfen. Die Freundin und ich sind sofort hin und weg vom „Bauernfrühstück 3000": Mit Trüffelbutter wird einfach alles noch schöner! Von einem groben Eier-Kartoffelomelette sind wir meilenweit entfernt. Weide-Eier von Johannes Habel, Speck, Kartoffelscheiben und grüne Bohnen vereinen sich zu einem begeisterungswürdigen Tortilla-Gebilde, das nicht zu braun gebraten und nicht zu hell gestockt ist.
„Ich habe euch jeweils ein Viertel angerichtet", sagt Maximiliane Wetzel. Das ist genau die richtige Menge für uns und fürs Anfüttern zum Wiederkommen. „Das will ich unbedingt noch mal in Ganz essen", sage ich. Die Trüffelbutter verträgt sich hervorragend mit der diskreten Erdigkeit der festen, glatten Kartoffeln. Scheiben von süßsauer eingelegter Gurke zeigen, was ein echtes kleines Landexemplar kann: Struktur und Festigkeit ebenso wie anregenden Kontrast und Frische geben. Als wir im Anschluss an unseren Besuch beim Lieblingsvisagisten ein paar Straßen weiter vorbeischauen, sind die beiden Herren dort nicht weniger angetan vom „Frühstück 3000": „Da waren wir gerade am Sonntag. Nächstes Mal probieren wir die Cheddar-Waffel mit Crispy Chicken. Oder die Hummer-Brioche. Wir konnten uns gar nicht entscheiden."
Obwohl gerade erst seit dem 3. Juni wieder geöffnet ist, hat sich das „Frühstück 3000" als heißer Tipp herumgesprochen. Es war eines der Restaurants, die so richtig in den Herbst-Winter-Frühjahrs-Lockdown hineinrappelten. Eröffnet Mitte Oktober, musste es drei Wochen später wieder schließen. Manche Gerichte entstanden nicht nur aus Kreativität, sondern auch aus Pragmatismus. „Chicken-Waffel, French Toast, Bauernfrühstück oder Roastbeef-Sandwich mussten in eine Pappschachtel hineinpassen", sagt Lukas Mann. Seit Ostern 2021 gab’s die Frühstücke eingeboxt als Take-away. Die Gäste mochten’s. So wurden die Gerichte erst zu Lieblingen, dann zu Signature Dishes. Es gab nur einen kurzen Ausrutscher in den Hipster-Frühstücksmainstream. Der ist aber passé. „Es wird hier nie mehr Eggs Benedict und Avocado geben", betont Maximiliane Wetzel. „Wir wollen bekannte, einfache Sachen machen, die aber in richtig geil."
Ein Abendrestaurant für den Morgen
Das „Frühstück 3000" begreift sich als Restaurant „auch vom Service her", so Wetzel. 21 Personen arbeiten mit. „Die Idee war, ein Abendrestaurant in den Morgen zu verfrachten." Die drei Gründer, darunter als Inhaber Nummer drei auch Martin Pöller, kannten einander bereits lange aus der High-End-Gastronomie. Wie es zum eigenen Lokal kam? „Ich hatte keinen Bock mehr, bis tief in die Nacht zu arbeiten", sagt Lukas Mann. Fluch des Erfolgs und der Gäste-Liebe: Die ersten Anfragen, ob man nicht auch abends öffnen könne, sind bereits da. Das stehe nicht zur Diskussion, sagt Wetzel: „Wir sind acht Stunden für unsere Gäste da. Bei einem Abendrestaurant fragt doch auch niemand, warum es nicht tagsüber geöffnet ist."
Fassen wir’s als kulinarisches Kompliment auf, dass sich viele Gäste Rindertatar, Kräuterrisotto und das „Best of Wurst- und Käseteller" hervorragend als Abendessen vorstellen können. Die verbesserte Version des gemeinen deutschen Frühstücksklassikers wird mit Fleischlichkeiten und Käse vom uckermärkischen Gut Kerkow und von Käse Kober bestückt. Die kross umkrusteten frischen Weizen- und Roggenbrote kommen von der Bäckerei Albatross in Kreuzberg. Pesto und Konfitüren werden hausgemacht, Gemüse selbst gepickelt.
Wir aber probieren ein handgeschnittenes Rindertatar im Asia Style. Es wurde mit gebeiztem Eigelb, Sojasauce, Sesam und Kokosblütenzucker verfeinert. Das ist fern der klassisch französischen Linie mit Kapern, Cornichons und Sardellen. Doch die feine Umami-Salzigkeit und eine nur hintergründige Süße tun der Sache gut. Kleine Zwiebelbögen, Senftupfer, essbare Blüten und Kräuter sowie das großzügig über Tatar und Porzellan gehobelte gebeizte Ei sind auch optische Hingucker. Der Teller ist ein unaufgeregtes Gemälde aus der Pinzettenküche.
Bei den Erbsenkrapfen geht’s dagegen voll gemüsig zu. Der wildkräuterlastige Blattsalat mit Zuckererbsenschoten, Minzjoghurt und eingelegten Pfirsichen wäre sogar ohne die frittierten Bällchen ein vollgültiger Leckerschmecker. Die Pfirsiche haben was vom konservativ eingelegten Kürbis meiner Kindheit, vor allem aber haben sie ihr volles Aroma des Sommers 2020 bewahrt. Veggies werden im „Frühstück 3000" also auf ihre Kosten kommen. Veganer eher so medium. Das ist bei einer Karte mit einer eigenen Eiergerichte-Abteilung schwieriger, war aber auch nie der Anspruch.
Sehnsucht nach Schirmchen-Drink und Karibikstrand
Ebenfalls nicht unwichtig: Das „Frühstück 3000" ist eines der wenigen Frühstücksrestaurants, das Reservierungen annimmt. Wer hat schon Lust, sonntagmittags auf gut Glück durch die halbe Stadt zu gondeln und sich hungrig aufs Wiederkommen ein, zwei Stunden später vertrösten zu lassen?
Nach einer weiteren Limonaden-Pause, in der wir uns von einem „Citrus Punch" erfrischend anschwappen lassen, kommen wir nicht um einen Happen Bananabread mit Exotic-Eis herum, den Lukas Mann zum Gespräch mit an den Tisch bringt. Das fluffige Bananenbrot schafft das Kunstwerk, Süße- und Säurespitzen zu setzen und den sich sonst gern mal in die Breite ergehenden Bananen entgegenzutreten. „Die Kruste!", sagt die Freundin. Die dürfte mithilfe des karamellisierten „Milchmädchen" entstanden sein. Ich sage: „Das Vogelfutter!" Curry-Amaranth-Knubbel machen auf Hirse und sorgen für Biss zum fruchtig-süßen Sorbet aus Mango, Passionsfrucht, Ananas und Banane. Wo bleiben der Schirmchen-Drink und der Karibikstrand?
Ersteren könnten wir mit einer „Piña Clarada" sogar bekommen. Aber uns wird noch etwas Besseres und gerade in Berlin-Hipsterhausen zur Zweitkarriere Ansetzendes kredenzt: ein Eierlikörchen. Natürlich hausgemacht. Gut gekühlt löffeln wir ihn als dicken, cremigen Desserthappen aus Likörschälchen, die schon in Omas Wohnzimmerschrank hätten stehen können. Köstlich! Das „Frühstück 3000" kann sich das Spiel mit den Klassikern des Sich-Gut-Gehen-Lassens der 1960er-Jahre getrost erlauben – von vormoderner Hübschheit sind allenfalls die Gläschen. Alles andere entspricht zeitgenössischen Qualitäts- und ästhetischen Ansprüchen, ist originell durchdacht und wird präzise ausgeführt aufgetischt.