Der Hildener Unternehmer Roland Schüren ist Bäcker von Beruf. Ganz nebenbei baut er Europas größten Ladepark für Elektroautos. Zu Besuch bei einem Mann, der von seiner Mission getrieben ist – und noch lange nicht aufhört.
Man hat die Bäckerei noch nicht ganz betreten, schon grüßt Elon Musk. Der Tesla-Chef steht als Pappfigur im Verkaufsraum, direkt neben dem „Bio-Westfalenbrot" und dem „Bio-Roggenbäck". Der Mann, dem die Bäckerei gehört, lächelt verlegen. „Fanboy-Gehabe", sagt er und winkt ab. Dass im Treppenhaus ein weiteres riesiges Musk-Bild hängt? Für den „Fanboy" ganz normal.
Der Mann, der den Tesla-Chef derart vergöttert, heißt Roland Schüren. Auch er ist Unternehmer, wenn auch im kleineren Maßstab: Schüren betreibt eine Bio-Bäckerei-Kette mit 19 Filialen und 250 Beschäftigten im Rheinland – kein Vergleich zu Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, der mit dem Verkauf von Elektroautos einen Weltkonzern schuf. Trotzdem sieht der Hildener Bäckermeister eine Parallele: „Er führt seinen Riesenladen wie ein deutscher Mittelständler. Direkt, innovativ, immer mit klaren Ansagen."
Schon 2013 schrieb Schüren seinem großen Vorbild deshalb einen Brief, Betreff: „Supercharger at Autobahn-Junction A3/A46 in cooperation with my sustainable bakery". Die Idee: eine Tesla-Schnellladestation am Kreuz Hilden, versorgt mit Bio-Backwaren aus dem eigenen Betrieb.
Einen Brief direkt an Elon Musk
Wenn Schüren heute daran zurückdenkt, muss er schmunzeln. Zum einen, weil in dem dreiseitigen Brief ziemlich viele Gedanken durcheinandergingen. Zum anderen, weil er mit Ausnahme des ersten Absatzes komplett auf Deutsch verfasst wurde. „Ich war ganz schön naiv", sagt Schüren, und tatsächlich hat Musk bis heute nie geantwortet. Trotzdem ist die Anekdote wichtig, um Schürens aktuelle Projekte zu verstehen. Und seinen Willen niemals aufzugeben.
Der 52-Jährige ist überzeugt davon, dass Nachhaltigkeit nicht nur für den Klimaschutz wichtig ist, sondern sich für Unternehmen auch wirtschaftlich auszahlt.
Seine Lieferfahrzeuge fahren deshalb inzwischen fast alle elektrisch. Der Strom stammt zum größten Teil von Solarmodulen auf dem Dach der Backstube. Was dann an Energie noch übrig bleibt, verkauft Schüren an seine Kunden, die ihre E-Autos direkt vor dem Hildener Firmensitz aufladen können. „Das ist für uns viel wirtschaftlicher als den Strom ins Netz einzuspeisen", sagt Schüren. Damit lasse sich schließlich kaum Geld verdienen.
Auch die Backstube hat er auf ökologisch getrimmt. Seit zwei groß angelegten Umbauten in den Jahren 2010 und 2013 kommen Holzpellets und Biomasse zum Einsatz, um die Öfen zu beheizen. Die Lagerräume werden durch Wasser gekühlt, das aus kälteren Erdschichten stammt. Das Ergebnis: Das Gebäude produziert mehr Energie, als es verbraucht.
Doch dieses Energiekonzept war für ihn nur ein Vorgeplänkel, ein Aufwärmen für das, was gerade am Autobahnkreuz Hilden entsteht. Dort baut Schüren Europas größten Ladepark für Elektroautos: 116 Ladepunkte nebst Imbiss und Bürogebäude, inklusive Photovoltaik-Anlagen. Das Großprojekt, das der Bäckermeister vor acht Jahren in seinem Brief an Elon Musk skizzierte, ist am Ende doch noch wahr geworden – wenn auch im weit größeren Maßstab. Neben Tesla sind Dutzende weitere Firmen im Boot, Investitionsvolumen: 18 bis 19 Millionen Euro.
Dass einem Mittelständler aus Hilden ein solches Projekt nicht zu groß erscheint, liegt an seiner Persönlichkeit. In Schüren rattert es unabhängig. Als er 1991 nach einer Bäckerlehre und einem BWL-Studium in der Bäckerei seiner Eltern anfing, musste als Erstes die Schreibmaschine dran glauben. „Ich habe einen Computer gekauft und eine spezielle Warenwirtschaft programmiert", erinnert sich Schüren. Die Verkäuferinnen sollten mit dem neuen Tool einfacher planen können, welche Waren sie für den nächsten Tag bestellen mussten. Auch sonst blieb wenig beim Alten: „Ich habe Rezepte umgestellt, Fertigmischungen weggelassen, Neues ausprobiert", sagt Schüren. Und ergänzt: „Ich hatte ja Zeit."
Nachdem er Anfang der 2000er-Jahre den Betrieb von seinen Eltern übernommen hatte, stellte er schrittweise auf ein Bio-Sortiment um – aus Überzeugung, aber auch aus wirtschaftlichen Erwägungen.
Es folgten die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, die elektrischen Lieferfahrzeuge, die Ladestationen – und schließlich die Rastanlage am Autobahnkreuz Hilden. Sein innerer Antrieb? Der sei nun mal da.
Vor der Bäckerei hängt Schürens Renault Zoe an der Ladesäule – ein kleines Elektroauto, das der Unternehmer im Alltag nutzt. Die neueste Tesla-Limousine steht noch nicht auf dem Hof, ist aber schon bestellt. Um sein Geschäftsmodell besser erklären zu können, steuert Schüren den nahe gelegenen Ladepark an. Dort angekommen, fällt zuerst die Leere auf: Außer drei Teslas ist das 12.300 Quadratmeter große Areal nahezu verlassen. „Corona", sagt Schüren entschuldigend. Die Leute seien zurzeit einfach weniger unterwegs. „Ohne die Pandemie würden wir doppelt so viel Umsatz machen", ist er überzeugt.
Das Grundstück hat Schüren der Stadt abgekauft; Geld verdient er dadurch, dass er es an Tesla und den niederländischen Ladenetzbetreiber Fastned verpachtet. Beide Unternehmen kaufen ihren Strom bei Schüren, den er mittels Solaranlagen und einer – noch zu bauenden – Windkraftanlage vor Ort selbst produziert. Darüber hinaus betreibt er 54 eigene Ladepunkte. „Die sind deutlich langsamer als die Supercharger von Tesla", räumt Schüren ein, was aber nicht weiter schlimm sei. „Für Spaziergänger oder Büroangestellte ist das kein Problem."
Was zu seinem zweiten Standbein führt: Auf dem Gelände des Ladeparks entsteht ein fünfstöckiges Bürogebäude, das Schüren vermietet. Noch ist nur Matsch zu sehen; bis spätestens 2023 aber soll hier gearbeitet werden. Fertig ist hingegen schon der Imbiss-Shop. Die dort angebotenen Bio-Brötchen werden mit Salat belegt, der in einer Zuchtstation direkt vor Ort wächst. Ansonsten: Bio-Kaffee, Fair-Trade-Tee und Pizza. In einem Regal stehen Staubsauger und Luftdruck-Geräte für geparkte Autos bereit – wie in einer Raststätte, nur dass Schüren seinen Ladepark so nicht nennen darf. „Darauf hat Tank&Rast das Monopol", klagt der Bäcker, weshalb entlang der Autobahn auch keinerlei Hinweisschilder auf seine Stromtankstelle stehen.
Strom-Tankstelle als Treffpunkt
Schlaflose Nächte bereitet ihm dieses Problem offenbar nicht. „Die Navis und Apps finden meine Ladestationen auch so." Überhaupt kämen E-Mobilisten nicht nur zum Auftanken ihrer Gefährte in den Ladepark. „Das ist eine ganz besondere Zielgruppe, eine richtige Community", schwärmt der Unternehmer. Schon heute träfen sich am Wochenende ganze Gruppen von E-Mobilisten, um an der Strom-Tankstelle über ihre Fahrzeuge zu philosophieren, manchmal mit der ganzen Familie. Man mag das so sehen oder auch nicht, aber eines muss man Roland Schüren lassen: Für einen Ort, an dem man Strom zapfen und eine schnelle Mahlzeit einnehmen kann, bewirbt er den Ladepark wie ein Marketing-Profi. Sogar einen eigenen Begriff hat er sich für den Imbiss ausgedacht: „Seed & Greet".
Bevor Schüren sein Projekt umsetzen konnte, musste er zahlungskräftige Partner finden. Seine Hausbank und die auf Nachhaltigkeit spezialisierte GLS Bank stemmen gut die Hälfte des 18-Millionen-Projekts; die andere Hälfte haben Schüren und zwei befreundete Tesla-Fahrer als Eigenkapital eingebracht. Sein Pitch bei den Banken? „Das Projekt selbst", sagt Schüren und lacht. „Mit dem Geld tun wir was Gutes für den Klimaschutz. Wir koppeln Mobilität, Energieerzeugung und Lebensmittelherstellung – und genau so habe ich das auch gesagt." Hinzu kam Schürens felsenfeste Überzeugung, dass der Verbrennungsmotor bald ausgedient hat. „Was wir machen, ist die Zukunft", sagt er voller Inbrunst – ein Esprit, der offenbar auch bei den Geldgebern gut ankam.
Fragt man Schüren nach der bisherigen Bilanz des Ladeparks, gibt er sich selbstbewusst. „Ich weiß seit der Eröffnung, dass es klappt! Die E-Mobilität nimmt zu – und damit auch die Auslastung von Ladestationen." Als Beleg führt er die Tatsache an, dass Global Player wie Tesla bei seinem Projekt mitmachen.
Schüren ist überzeugt, dass er mit seiner auf Nachhaltigkeit getrimmten Bäckerei kein Einzelfall bleiben muss. Selbst erzeugter Strom, Energie-Rückgewinnung, Bio-Produkte: All das sei nicht nur gut fürs Gewissen, sondern bringe eine Firma auch langfristig voran. Wer die Wahl habe zwischen einer Firma, der Klimaschutz egal ist, und einem Öko-Betrieb, stimme letztlich mit den Füßen ab. Allein darauf zu hoffen, dass sich die guten Taten herumsprechen, reiche aber nicht. „Man muss an seinem Image arbeiten und es kommunizieren", rät Schüren. Steve Przybilla