Zur Macht des Mondes über die Menschen kursieren eine Vielzahl von Mythen. Zwei aktuelle Studien liefern wissenschaftliche Belege für einen konkreten Einfluss unseres Erdtrabanten auf Schlafrhythmus und Menstruationszyklus.
Schon beruhigend, dass sich selbst große Denker mal irren konnten. Denn in seinem 1766 veröffentlichten Traktat „Träume eines Geistersehers" hatte der bedeutende deutsche Philosoph Immanuel Kant den Glauben an „Einflüsse der Mondwechsel auf Tiere und Pflanzen" und letztlich auch auf den Menschen als „widersinnig" und dem einfältigen Mythos um die Wünschelrute vergleichbar bezeichnet. Tatsächlich ranken sich seit jeher um die vermeintliche Abhängigkeit des Homo sapiens von unserem nächsten Erdtrabanten vielfältige Legenden, die größtenteils wissenschaftlicher Überprüfung nicht standgehalten hatten.
Viele Legenden hielten Überprüfung nicht stand
Um nur mal einige zu nennen: Beim etwaigen Friseurbesuch sollte beachtet werden, dass die Haare bei unterschiedlichen Mondphasen entweder ganz schnell oder nur noch langsam nachwachsen können. Manche Hebammen behaupten, dass sich bei Vollmond die Zahl der Geburten deutlich erhöhen würde. Und Operationen sollten bei dieser Mondkonstellation tunlichst vermieden werden, weil sie häufiger schief gehen könnten. Vollmond soll zudem die Wirksamkeit von Diäten beeinträchtigen, weil kleine Sünden in dieser Phase angeblich besonders schnell ansetzen. Damit nicht genug, sollen Menschen bei Vollmond generell gewalttätiger sein, wie eine polnische Studie aus dem Jahr 2007 nach Auswertung von Kriminalstatistiken belegen wollte, mehr trinken und sich auch besonders liebestoll benehmen. Bei der Pflanzenarbeit sollte bei Vollmond das Beschneiden unterlassen werden, stattdessen verstärkt gedüngt werden, weil die Nährstoffe in dieser Periode besonders gut aufgenommen werden könnten.
Aber natürlich gibt es auch längst belegte Auswirkungen des Mondes auf Erde und Mensch. Das bekannteste Beispiel sind Ebbe und Flut, die der Mond mit seiner Gezeitenkraft steuert. Ohne den Mond würde die Erdachse stärker schwanken, was erhebliche Folgen für das globale Klima haben würde. Ein weiterer wichtiger Effekt des Mondes auf die Erde ist, dass er diese durch seine Schwerkraft abbremst und dadurch einen längeren Tagesrhythmus ermöglicht. Darüber hinaus hält sich unverändert aber auch der Glaube daran, dass der Mond ganz direkten Einfluss auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und den menschlichen Körper nehmen kann. Die Mondgläubigen erhalten nun durch zwei aktuelle Studien wissenschaftliche Unterstützung, die etwa zeitgleich Anfang 2021 im Fachmagazin „Science Advances" publiziert wurden. Demnach können bestimmte Mondphasen sowohl das Schlafmuster als auch die Menstruationszyklen deutlich beeinflussen, wofür letztlich das Mondlicht und die Gravitationskräfte verantwortlich seien.
Für die erste Studie hatten US-amerikanische Forscher der „University of Washington" in Seattle rund um den Human-Biologen Leandro Casiraghi mit Unterstützung argentinischer Kollegen zwei Probandengruppen über mehrere Wochen hinweg mit am Handgelenk angebrachten Schlafsensoren ausgestattet um den genauen Schlaf-Wach-Rhythmus erfassen zu können. Und um herauszufinden, ob und inwieweit sich der Schlaf im Verlauf der Mondphasen verändert. Wobei sie auch den Aspekt der hohen nächtlichen Lichtverschmutzung in Ballungszentren durch künstliche Quellen berücksichtigt hatten. Deshalb hatten sie für ihre erste Probandengruppe 98 Freiwillige aus indigenen Einwohnern dreier argentinischer Dörfer gewählt, von denen eines gar keinen, ein zweites einen beschränkten und das dritte durchgängigen Zugang zu Elektrizität hatten. Deren Schlafdaten wurden mit denjenigen verglichen, die beim Experiment mit 464 US-Studenten aus der Großstadt Seattle ermittelt werden konnten.
Dabei gelangten die Forscher zur grundlegenden Erkenntnis, dass alle Probanden in den drei bis fünf Tagen vor Vollmond später zu Bett gegangen waren und kürzer geschlafen hatten. Allerdings war der Effekt an Orten mit regelmäßigem Elektrizitätszugang weniger stark ausgeprägt. So schliefen die Menschen ohne Strom in dunklen Nächten 25 Minuten länger als in Vollmond-Nächten. Bei Menschen mit eingeschränktem Zugang zu Licht und Strom verlängerte sich der Schlaf in dunklen Nächten um 19 Minuten, bei vollem Zugriff auf elektrisches Licht um elf Minuten. Die Wissenschaftler mutmaßten, dass das sich mit den Mondphasen veränderte Schlafverhalten ein Erbe aus vorindustrieller Zeit sein könnte: „Zu bestimmten Zeiten des Monats ist der Mond eine signifikante Lichtquelle. Und das ist unseren Vorfahren schon vor Tausenden von Jahren deutlich aufgefallen." Bestätigung für ihre These erhielten die Forscher von den indigenen Probanden, die darüber berichteten, dass in ihren Dörfern in Vollmondnächten seit jeher viele soziale Aktivitäten angesagt seien. Und dass in früheren Jahren diese Nächte mit hellem Mond besonders zum vermehrten Fischen und Jagen genutzt worden seien.
Soziale Aktivitäten indigener Völker in Vollmondnächten
„Unsere Daten scheinen zu zeigen", so die Forscher, „dass Menschen – in unterschiedlichen Umfeldern – aktiver sind und weniger schlafen, wenn Mondlicht verfügbar ist in den ersten Stunden der Nacht". Und weiter: „Wir stellen die Hypothese auf, dass die von uns beobachteten Muster eine angeborene Anpassung sind, die es unseren Vorfahren ermöglichte, diese natürliche Quelle des Abendlichts zu nutzen, die zu einer bestimmten Zeit während des Mondzyklus auftrat." Nach Meinung der Wissenschaftler spreche vieles dafür, dass der Mondzyklus auch heute noch unbewusst unser Schlafverhalten präge und zwar „unabhängig vom ethnischen oder soziokulturellen Hintergrund und vom Level der Verstädterung. Wir sehen hier einen klaren lunaren Einfluss auf den Schlaf. Dieser Effekt ist zwar in Gemeinschaften ohne Zugang zu elektrischem Strom robuster, aber auch bei den Studenten in Seattle ist dieser Zusammenhang nachweisbar".
Weil aber das Vollmondlicht im urbanen Umfeld kaum mehr als zusätzliche Helligkeitsquelle wahrgenommen werden kann, der Mondzyklus daher kaum mehr ablesbar ist, haben die Forscher die Vermutung geäußert, dass sich womöglich auch der Schwerkraft-Einfluss des Mondes auf den Schlafrhythmus auswirken könnte. Als Beleg dafür führten die Forscher bei den indigenen Probanden messbare Schlafschwankungen rund um Neumond an. „Künftige Forschungen sollten sich darauf konzentrieren, wie der Mond uns beeinflusst. Wirkt er durch unsere innere Uhr? Oder durch andere Signale, die das Timing des Schlafs beeinflussen. Es gibt noch vieles über diesen Effekt zu lernen", so die Wissenschaftler. Kausalitäten könnten aus der Studie nicht abgeleitet werden, aber es sei „schwer zu glauben, dass die Synchronisierung zwischen dem Schlaf und dem Mondzyklus, über die wir berichten, zufällig geschah". In einem Kommentar zu der von ihm gelobten Studie hat der renommierte Schlafforscher Prof. Christian Cajochen, Leiter der Abteilung Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, Folgendes angemerkt: „Wir haben nüchtern betrachtet Evidenz, dass die Sonne unsere Zirkadianrhythmik (Tagesrhythmik/innere Uhr, Anm. d. Red.) beeinflusst – warum also nicht auch der Erdtrabant? Um wirkliche Kausalitäten zu erkennen, müssten Probanden über einen längeren Zeitraum in einer abgeschlossenen Laborumgebung studiert werden."
Eher Plausibilitäten statt Kausalitäten bei den Ergebnissen
In der zweiten Studie konnten Forscher rund um die Chronobiologin Prof. Charlotte Förster von der Universität Würzburg den Nachweis erbringen, dass der weibliche Menstruationszyklus vom Mondzyklus beeinflusst werden kann. Das Team wertete dafür den Menstruationszyklus von 22 Frauen aus einem Zeitraum von 15 Jahren aus. Der Terminus „Mondzyklus" sei allerdings eine Vereinfachung. „Wissenschaftlich gesehen weist der Mond drei verschiedene Zyklen auf, die seine Leuchtkraft und die Schwerkraft, mit der er auf die Erde wirkt, periodisch verändern", sagt Prof. Charlotte Förster. Jene drei Zyklen ergäben sich aus dem Wechsel zwischen Voll- und Neumond, der Position des Mondes relativ zum Äquator bei der Umrundung der Erde und der sich verändernden Entfernung zwischen den beiden.
Diese Zyklen, so die Forscher, beeinflussten nicht nur die Intensität des Mondlichts und die Gravitationskräfte, sondern oftmals auch das Einsetzen der Menstruation bei Frauen. Für letzteren Punkt sei vor allem das nächtliche Mondlicht der stärkste Taktgeber, aber auch die Gravitationskräfte des Mondes könnten dazu beitragen.
Allerdings folgten nicht alle Frauen den Mondzyklen, und wenn doch, dann nur für bestimmte Zeiträume. Im Schnitt trat bei Frauen unter 35 Jahren die Menstruation in knapp einem Viertel der erfassten Zeit synchron mit dem Voll- oder Neumond auf. Bei Frauen über 35 Jahren nur in knapp einem Zehntel der Zeit. Die Synchronität nehme nicht nur mit zunehmendem Alter ab, so die Wissenschaftler. Sie scheine auch in dem Maße zu sinken, in dem Frauen nachts künstlichem Licht ausgesetzt seien. Auch die Beteiligten dieser Studie betonten, dass ihre Forschungsergebnisse lediglich Plausibilitäten, nicht aber Kausalitäten aufzeigen können.