Verheerende Waldbrände in Kalifornien, Hitzeperioden mit 50 Grad in Kanada, Wirbelstürme im ostasiatischen Raum, zerstörerische Tornados in Tschechien, Überschwemmungen wegen sintflutartiger Regenfälle in Deutschland. Wetterextreme kündigen einmal mehr den Klimawandel an.
Sehenden Auges schlittert die Menschheit nach Corona in die nächste Katastrophe mit fatalen Folgen für uns alle. Die Fragen, die sich aufdrängen: Wie viel halten wir Menschen noch aus, bis wir die Klimakrise wirksam bekämpfen? Wie muss gute Politik aussehen, um Klima und Umwelt den Stellenwert zu geben, den sie verdienen? Und kann der groß angekündigte Green Deal der EU das Klima überhaupt noch retten? Der Politologe, Produzent und Experte für europäische Beziehungen, Ingo Espenschied, hat in einer Livestream-Veranstaltung von der Asko Europa-Stiftung, Europa-Union Saar und Europe Direct Saarbrücken Antworten auf diese Fragen versucht.
Seit den 90er-Jahren gilt unter den Klimaforschern fast unisono als allgemeiner Konsens, dass die Erderwärmung menschengemacht ist. Hauptursache ist die Zunahme der klimaschädlichen CO2-Emissionen. Zwar hat es in den letzten 50 Jahren immer wieder Versuche gegeben, die Bedeutung des Klimaschutzes auf die politische Tagesagenda zu setzen – erstmalig beschäftigte sich 1972 der Club of Rome mit den Grenzen des Wachstums –, aber alle Maßnahmen, den Klimaschutz voranzubringen, basierten auf freiwilliger Basis und waren eher politisch motiviert wie bei den Ölkrisen in den 70er-Jahren. Wachstumsgetrieben und technikgläubig, allen voran bei der Kernenergie, ließ wirksamer Klimapolitik kaum Raum. Erst 1997 sollten mit dem Kyoto-Protokoll Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen für die Weltgemeinschaft verpflichtend werden.
Nun wartet die EU mit einem riesigen Maßnahmenpaket auf, um die Klimakrise zu bewältigen. Im Dezember 2019 verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den sogenannten Green Deal. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen auf 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden und bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. Der Green Deal sei eine noch größere Herausforderung als die Mondlandung 1969 und verlange nicht nur technische, sondern zusätzlich enorme wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Anstrengungen von allen EU-Mitgliedstaaten. Gleichzeitig verspricht der Green Deal aber auch viele neue Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Bereichen und eine Vielzahl nachhaltiger Investitionen.
Kein Erkenntnisproblem
Damit der Green Deal kein Lippenbekenntnis bleibt, hat die EU bis zu diesem Sommer ein konkretes Maßnahmenpaket erarbeitet, das in den kommenden Monaten in den jeweiligen Mitgliedstaaten verbindlich umgesetzt werden soll. Es geht vor allem um die Bereiche regenerative Energieversorgung mit der massiven Nutzung von Sonne, Wind und Co., um die zukünftige Mobilität mit dem Zubau von einer Millionen Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, um den Zertifikatehandel und um eine nachhaltige Landwirtschaft. Dieser Deal werde für jeden spürbare Belastungen bedeuten, zum Beispiel die Verteuerung der Spritpreise an der Tanksäule oder das Heizen mit fossilen Brennstoffen, warnt Espenschied vor einem möglichen Scheitern und verweist auf die Protestbewegung der Gelbwesten in Frankreich im Jahr 2019. Anlass war die angekündigte Preiserhöhung für Benzin, die in den sozialen Netzwerken für einen bisher noch nie gekannten Sturmlauf der Entrüstung sorgte und das Vorhaben letztlich zum Scheitern brachte. Auch die Grünen in Deutschland haben sich am Thema Benzinpreiserhöhung bereits die Finger verbrannt. Das Fazit: „Der Deal kann nur gelingen, wenn die Politik es schafft, die Menschen mitzunehmen und die Transformation sozial ausgewogen gestaltet. Mit reinen Verboten oder Verordnungen von oben herab wird es schwierig", so Espenschied. Erschwerend kommt für die EU hinzu, dass sie die unterschiedlichen Interessen der 27 Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen muss, und die Erfahrung zeigt, dass die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bei politischen Entscheidungen keinen wirklichen Fortschritt bedeutet. Das Dilemma: „Das Klima verzeiht keinen weiteren Zeitaufschub mehr."
Eine Frage der Motivation
Die Politik müsse mehr auf die Wissenschaftler hören, lautet daher die Forderung unter anderem auch von der Bewegung Fridays for Future. Aber es komme auch auf die Einstellung jedes Einzelnen von uns an, wie wir mit der Klimakrise umgehen, mahnt Espenschied. Es gibt in der Welt zu viele politische Leader, die die Klimakrise leugnen oder verharmlosen und unbeirrt an ihrer unbegrenzten Wachstumsphilosophie festhalten. Auf den ersten Blick klingt die Temperaturerhöhung von einem Grad Celsius in den letzten 100 Jahren auch wenig, aber ein Anstieg auf bis zu 3 Grad Celsius bis 2100 hätte den Anstieg des Meeresspiegels um 60 bis 100 Zentimeter zur Folge, ein weiteres Abschmelzen der Polkappen und der Gletscher sowie ein Abtauen der Permafrostböden. Ein Teufelskreis mit immer schlimmeren Folgen für das Wetter, für nicht mehr zu bändigende Migrationsströme aufgrund unbewohnbarer Regionen mit wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe aufgrund von Hitze, Überflutungen oder Stürmen.
Eines der Hauptprobleme sei es, dass die Klimakrise schleichend daherkomme und nicht unbedingt jeden von uns gleichermaßen treffe, betont Espenschied. „Wir handeln oft nach dem Motto „es wird schon nicht so schlimm werden" oder „nach mir die Sintflut". Gerade nach der Corona-Pandemie sei der Wunsch nach Normalität oder alten Zeiten extrem groß, und staatlich verordnete Einschränkungen würden von den Menschen zunehmend mehr als Einmischung und Bevormundung empfunden.
Die Klimakrise ist kein Erkenntnisproblem, sondern vielmehr ein Motivationsproblem. Wie sollte gute Politik also aussehen, damit der Green Deal der EU gelingt?
„Wir müssen schnell und vor allem effizient handeln", fordert Espenschied. Nicht im Detail verzetteln, sondern an den großen Stellschrauben drehen wie in den beiden Bereichen Transport und Mobilität sowie Energie und Gebäude, die für rund 70 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Die Politik muss globale Effekte erzeugen und es kommt darauf an, die großen CO2-Emittenten wie China mit 30 Prozent und die USA mit 15 Prozent an Bord zu holen. Die EU steht für knapp zehn Prozent der CO2-Emissionen und Deutschland für zwei Prozent im weltweiten Vergleich. Trotzdem sind die Industrieländer gefordert, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Und letztlich müssen die Menschen überzeugt werden, mitzumachen. „Eine radikale Politik wird von der Bevölkerung nicht mitgetragen." Die Politik sei keine Wissenschaft, sondern vielmehr eine Kunst, aus dieser Gemengelage etwas Positives zur Bewältigung der Klimakrise zu machen.