Erst getrüffelt und gehackt, dann gestrichen und gerollt: In der Kreuzberger „Sawade"-Filiale verwandeln sich handgemachte Trüffel auf der Gefrierplatte in drei Minuten in Praliné-Eisrosen.
Tacktacktack. Spachtel sausen im Stakkato auf die Gefrierplatte herunter. Zerkleinern Trüffel in atemberaubendem Tempo. Tacktacktack. Die Armen! In Stücke gehackt machen sich die beiden Bourbon-Vanille-Kugeln erst breit und verschwinden anschließend zusammen mit gefriergetrockneten Himbeeren und Mandeln eiskalt im Sahne-Milch-Gemisch. So geht das in mehreren Touren: Verkäuferin Marie Schubert hackt, streicht, schabt zusammen und fängt wieder von vorn an. Es hat was von einem Splatter-Movie in Rosa, wenn ein „Curly Görli"-Eis auf der Teppanyaki-Platte entsteht. Zum Schluss wird’s versöhnlicher. Wenn die Pralinen ihre Metamorphose erfolgreich überstanden haben, werden sie mit Himbeerpüree-Schleifen bemalt, gefünftelt, aufgerollt, in Becher gesteckt und mit roten Schokoperlen und weißen Schokospänen überstreut. Et voilà: Eine Pralineneis-Rose in Vanille-Himbeer von „Sawade" in Kreuzberg. Bereit zum Löffeln und Genießen.
Das Eis-Spektakel mit den minus 25 Grad kalten Platten ist nur in der Filiale in der Bergmannstraße zu bestaunen und zu bestellen. Mit sechs Sorten vom showtauglichen Eis locken die Verkäuferinnen im Sommer die Kunden hinter die kühlungsbedingt geschlossenen Glastüren. Das in Thailand erfundene Rolleis entsteht in dem Moment, in dem die Zutaten aufs Metall kommen und schockgefrieren. Das ist hygienisch und stellt sicher, dass nichts lange lagert.
Augenfutter in der Auslage
Das Erlernen der Zubereitungstechnik ist deutlich aufwendiger als einfach Kugeln zu portionieren: „Zwei Tage habe ich schon gebraucht, um das so hinzubekommen", verrät Marie Schubert. Der ästhetische Vorteil der frisch gedrechselten Rose kann nur beim Schlangestehen von Nachteil sein: Drei Minuten braucht es vom Trüffel über die Eiswerdung bis zum Anrichten der Rollen, vielleicht eine weitere um die 5,90 Euro für den Becher zu zahlen. Doch wer durch die Bergmannstraße schlendert, hat ohnehin häufig ein kulinarisches Erlebnis im Sinn und Zeit zum Verweilen eingeplant.
Chocolatier Ladislaus Maximilianus Ziemkiewicz gründete 1880 die Manufaktur „Sawade" für Pralinen, Konfekt und Bonbons am Boulevard Unter den Linden. Der Name „Sawade" soll an Ziemkiewicz‘ Nachbarin Marie de Savadé erinnern, mit der er ein galantes Verhältnis pflegte, wie die Legende besagt. Die Pralinen fanden rasch Anklang, nicht zuletzt bei Hofe.
Nach Berg- und Talfahrten in der Nachkriegszeit und in jüngerer Vergangenheit kauften Melanie und Benno Hübel 2013 das in Insolvenz gegangene Unternehmen und führten es zu neuen Erfolgen. An der Herstellungsweise und Qualität der Trüffel und Pralinen herumzuschrauben stand bei der Sanierung des Unternehmens nie zur Diskussion. Nach wie vor wird in Manufaktur-Manier produziert. Doch das angestaubte Verpackungsdesign durfte sich ändern, Marketing und Vertrieb wurden modernisiert. Das Image als „Schon mal gehört. Ist das nicht was für Wilmersdorfer Witwen?"-Marke verschwand.
Und so stehen wir 2021 in der Bergmannstraße in einem klar strukturierten Pralinenladen mit grauen, schwarzen und goldenen Akzenten. In ihm kommen die mit schwarz-weißen Mäandern bedruckten und kräftig pastellfarben gedeckelten Schachteln mit Berlin-Motiven der Künstlerin Kat Menschik oder mit Namenszug hervorragend zur Geltung. Die Pralinenreihen in der Auslage sind Augenfutter für Fans serieller Motive und animieren zum Naschen. Schon wegen der Gestaltung möchte ich so eine halb-nostalgische Pralinenschachtel kaufen! Oder mindestens mit süßer Beute und Luxusgefühl in pinkfarben zur Tür herausschweben.
Mit meiner Schachtelliebe liege ich voll im Trend, wie Alexander Rabine, Vertriebsleiter von „Sawade" und Miterfinder der Praliné-Eisröllchen, verrät: „Sie sind als Souvenirs sehr beliebt." Fernsehturm, Brandenburger Tor und Berliner Bär sind die Stars auf dem Deckel. Es taucht gesprächsweise „die große rote Samtschachtel" auf, die der Schwiegervater der begleitenden Freundin seiner Frau immer zu besonderen Anlässen schenkte. Die steht bis heute im Regal: 77 alkoholfreie Pralinen aus sieben Sorten werden als formatfüllendes „Best of Trüffel und Praline" hineingelegt.
Bezahlbare Schokosünden
Die weißen Bourbon-Vanilletrüffel, die wir ins Eis geschmolzen und gefroren bekommen, dürften schon lange ein Klassiker unter den 100 „Sawade"-Pralinen sein. 60 Pralinen bilden das Stammsortiment, weitere zehn bis 20 kommen je nach Saison hinzu. Ich muss gelegentlich vor meiner Haustür nachschauen, ob im „Görli", dem ein „curly" gelocktes und gerolltes Eiserlebnis gewidmet wurde, womöglich sogar Himbeeren wachsen. In jedem Fall sind sie geschmacksbestimmend, ebenso wie das Rhabarberpüree im „Laber Rhabarber" im zweiten Tasting-Becher. Frucht und frisch geschabtes Eis vertragen sich sehr gut: Im „Peach Perfect" mischen pürierte weiße Pfirsiche zum gleichsortigen Obst mit; der „Cherry Lover" liebt insbesondere den Joghurt in den zerkleinerten Joghurt-Kirsch-Trüffeln. Fruchtsäure und die kompakte Cremigkeit, die nicht durch Lufteinschlag sondern durch die Trüffel und den Sahne-Milch-Mix auf der Platte entsteht, vertragen sich gut. Schade, dass ich mit dem „Curly Görli" den Eisliebling der vergangenen Saison immer noch, aber das grasgrüne Eis mit Waldmeister-Brausetrüffel gerade nicht mehr probieren kann. Das wäre genau mein Ding gewesen, getreu meiner Devise: Klingt fancy? Probiere ich aus!
Die Brause-Trüffel sind ein frühlings- und frühsommerhaftes Segment, das nach Ostern die Auslagen in den fünf Berliner Shops bezieht. Sehr feines Geprickel umhüllt Rhabarber-, Himbeer-, Waldmeister-, Cola- und Zitronentrüffel. Erinnerungen an Tütenbrause werden wach? Nicht täuschen lassen – die ist dagegen im Vergleich geradezu grob in Körnung und Ausdruck. Die Trüffelbrause klopft zart an. Bei Rhabarber oder Waldmeister akupunktiert sie die Zunge mit kleinen Säurenadeln. Beim Himbeer- und Zitronentrüffel verstärkt sie so die Zitrusnoten.
Keine Sorge, klassischer orientierte Naturen kommen mit Nougat-, Marzipan- und Krokant-Trüffeln ebenfalls auf ihre Kosten. Royalisten können sich mit dem Biss in eine fünffach geschichtete pralinisierte Königin Luise oder in einen „Zarenhappen" mit Sultaninen in Jamaica-Rum und Zartbitterschokolade beglücken. Der „Seefahrer-Trüffel" wiederum ist ein rustikaler Geselle, der sich an Rum und Mokkalikör gütlich tun und in Vollmilchschokolade wälzen durfte, ohne aber durch zu sprittige Noten zu Boden zu gehen. Versteht sich, dass es oft nicht nur eine Version mit, sondern auch Pendants ohne Alkohol gibt. Für 7,40 Euro je 100 Gramm sind die Trüffel in Kreuzberg eine bezahlbare Schokosünde, sei es zum Verschenken oder zur persönlichen Gönnung.
Textur erinnert an ein Sorbet
Mehr als eine Saison erlebte das Praliné-Eis, das einzig in Kreuzberg von Mai bis September verkauft wird, noch nicht. Am 5. März 2020 eröffnete die Bergmannstraße, am 12. März kam der erste Lockdown. „Wir durften als Lebensmitteleinzelhandel zwar öffnen, aber es war kaum noch jemand unterwegs", sagt Alexander Rabine. Die Krise brachte „Sawade" erneut ins Trudeln und in die Insolvenz, die aber in Eigenregie durchgestanden wurde. In den fünf eigenen Läden und bei 30 ausgewählten Fachhändlern in Berlin, aber auch im Onlineshop sind „Sawade"-Pralinen erhältlich. Die Zeiten stehen auf Exklusivität in bester Gesellschaft: Gemeinsam mit der KPM Königliche Porzellan-Manufaktur GmbH und dem Café Einstein plant „Sawade" in den ehemaligen Räumen von Udo Walz die Eröffnung eines Flagship-Stores am Ku’damm im Spätsommer. Während wir davon erfahren, hacken, schaben und rollen Marie Schubert und Tara Bacia im Laden weiter und reichen uns „Hello Hazel" und „On the dark Side of Chocolate" an. Die hellere Haselnuss aus derselben Nougatpraline rollt sich mit Nusscreme und Haselnusssauce zusammen und wird von karamellisierten Nüssen getoppt. Ein dunkler Buttertrüffel, Schokosauce, dunkle Schokolade und Crisps komplettieren das vollschokoladige Erlebnis, das in seiner Textur an ein Sorbet erinnert. „Es war gar nicht so einfach, eine nicht zu süße dunkle Schokosauce zu finden", erzählt Alexander Rabine, der gemeinsam mit dem ausgebildeten Koch und Produktmanager Andreas Israelewski die Eiskreationen in der Zentrale in der Reinickendorfer Wittestraße ausheckte und durchtüftelte. Dort werden sämtliche Trüffel gefertigt. Ein Ausflug ins nördliche Berlin lohnt sich außerdem für preisbewusste Süßschnäbel – in der Wittestraße ist auch der Werksverkauf beheimatet, in dem Praline, Trüffel und Co. mit ordentlich Rabatt erhältlich sind.