Hollywoodstar Rachel Weisz über die Frauenpower bei den Dreharbeiten zu ihrem neuen Film „Black Widow", wie sie ihre Wunschfamilie auswählt, über Bodenständigkeit und Flausen im Kopf – und ob sie exzentrisch ist oder nicht.
Mrs. Weisz, war Ihr Eintritt ins Marvel-Comic-Universum ein Sprung ins kalte Wasser?
Ganz im Gegenteil! Man hat es mir wirklich sehr leicht gemacht. Diese ganze Story hat mich sofort gepackt. Vor allem war ich total begeistert davon, wie überaus sensibel die Vorgeschichte von Black Widow erzählt wird – in der Zeit, als sie noch Natasha Romanoff war. Und endlich kommt hier auch ihre dunkle Seite zur Geltung. Der Film verleiht den Hauptfiguren einen emotionalen Tiefgang, den man bei solchen Blockbuster-Movies eher selten findet. Vor allem die Frauenfiguren werden diesmal völlig anders in Szene gesetzt. Sie sind weniger sexuell ausgestellt als früher und zeigen sogar eine gehörige Portion Selbstironie. Außerdem hat dieser Film die spektakulärsten Action-Sequenzen, die ich je im Kino gesehen habe. Das alles so gekonnt und absolut nahtlos zusammenzufügen ist das Verdienst unserer Regisseurin Cate Shortland.
Die Regisseurin Cate Shortland war also der eigentliche Grund für Ihre Mitwirkung in „Black Widow", oder?
Auch, aber nicht nur. Sie war zweifellos sehr wichtig für mich. Ich bin ein großer Fan ihrer Filme „Lore" und „Berlin Syndrome", sie ist wirklich eine fantastische Regisseurin. Natürlich war ich auch von der Zusammenarbeit mit so wunderbaren Kolleginnen wie der großartigen Scarlett Johansson und Florence Pugh begeistert. Da war jede Menge Frauen-Power am Set! Und für mich als Frau war es schon etwas ganz Besonderes, in diesem Film eine Mutter zu spielen, die eine ganz spezielle, sehr komplizierte Beziehung zu ihren beiden Töchtern hat. In dieser Konstellation waren wir durch den Zusammenhalt in unserer „Schwesternschaft" besonders eng miteinander verbunden.
Verändert sich Ihre Wahrnehmung als Schauspielerin, wenn Sie mit Frauen vor der Kamera agieren?
Ja, schon. Da gibt es so ein unsichtbares Band. Aber das ist schwer zu beschreiben. Allerdings macht es durchaus einen großen Unterschied, ob man eine Sex-Szene mit einem Mann oder mit einer Frau spielt. Bei einer Liebesgeschichte mit einer Frau lege ich immer mein ganzes Herz hinein. Denn da habe ich nie das Gefühl, dass man mich besitzen will … (lacht) Mit Männern ist das etwas anders.
Finden Sie es sinnvoll, zwischen männlichen und weiblichen Regisseuren zu unterscheiden? Kommt es nicht einfach auf das ganz individuelle Einfühlungsvermögen an?
Absolut. Und das ist ganz sicher nicht geschlechtsspezifisch. Wenn jemand intuitiv und sensibel, kompetent und intelligent ist, lasse ich mich als Schauspielerin gern führen. Ganz gleich, ob es von einem Mann oder einer Frau ist.
Viele junge Mädchen nehmen sich – vor allem angeregt durch die Filme – Figuren wie Wonder Woman und Black Widow zum Vorbild. Finden Sie das gut?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich vom ersten „Wonder Woman"-Film total begeistert war. Das war ein vollkommen neues Erlebnis für mich.
Nachdem ich mein ganzes Leben lang im Kino fast ausschließlich männlichen Helden zugesehen habe, war das eine echte Befreiung. „Wonder Woman" hat mir ungeheuer großen Spaß gemacht. Es hat mich auch an meine Kindheit erinnert.
Ich war nämlich nie das zarte, nette Mädchen, sondern ein echter Wildfang, bin wahnsinnig gern auf Bäume geklettert und habe mich von den Jungs nicht unterkriegen lassen. Auch als Teenager war ich ziemlich rebellisch drauf; ich hatte immer meinen eigenen Kopf. Deshalb konnte ich mich mit diesen ganzen männlichen Action-Helden nie richtig identifizieren. Diese Machos haben das Kino in den 80er- und 90er-Jahren ja leider dominiert. Frauen waren meist bloß das sexy Girlfriend, oder die hilflose Frau, die vom Mann gerettet werden musste. Wie langweilig.
Natürlich gab es auch zu dieser Zeit Ausnahmen …
Sicher, ja. Aber nach dem Ende der goldenen Ära von Hollywood, in der Frauen wie Katherine Hepburn, Bette Davis, Joan Crawford, Ingrid Bergman und noch einige mehr große Hauptrollen spielten, waren Frauenfiguren im Film nicht mehr so substanziell. Sie verkörperten damals komplizierte, schwierige, böse, verletzbare und vor allem starke Frauen. Das war eine wunderbare Band-breite, die es im Kino dann über lange Jahre hinweg leider fast nicht mehr gab. Ich finde es sehr wichtig, dass junge Mädchen heutzutage sehen, dass Frauen immer mehr Verantwortung überneh-men und dabei sehr erfolgreich sind. Und das betrifft alle Bereiche des Lebens – nicht nur das Filmbusiness. Das gibt ihnen hoffentlich Mut, um es auch selbst zu versuchen.
Verspüren Sie als Filmstar eine Verantwortung, Vorbild für junge Mädchen zu sein?
Für meine beiden Kinder (Anm. d. Red.: Weisz hat einen 15-jährigen Sohn aus der Beziehung mit dem Regisseur Darren Aronofsky und eine dreijährige Tochter zusammen mit Ehemann und Bond-Darsteller Daniel Craig) bin ich als ihre Mutter hoffentlich ein Vorbild. Auf welche Art und Weise ich das bin, wird außerhalb meiner Familie sicher niemals irgendjemand erfahren! (lacht) Aber Vorbild sein für den Rest der Welt – das eher nicht. Wie könnte ich auch? Allerdings ist es mir beruflich schon wichtig, welche Filme ich aussuche, welche Frauen ich darstelle, welche Geschichten ich erzählen möchte. Doch auch da hängt das immer von meinem persönlichen Empfinden ab. Ich denke dabei nie daran, wie ich auf der Leinwand wirke oder was der Zuschauer womöglich in meine Rolle hineininterpretiert. Als Schauspielerin will ich sicher nicht erziehen oder belehren. Hätte ich das gewollt, wäre ich Lehrerin geworden.
Die meisten von uns haben zwei Familien: die, in die wir hineingeboren wurden, und die, die wir uns selbst ausgewählt haben. Welches sind denn Ihre wichtigsten Kriterien bei der Wahl der Menschen, denen Sie nahe sein möchten?
Dass sie über sich selbst lachen können. Dass sie sich selbst nicht so wichtig nehmen. Bescheidenheit, Empathie, Zärtlichkeit … Bei der zweiten Familie ist natürlich vor allem der Mann sehr wichtig. Der Mann, mit dem man Kinder haben und eben eine Familie gründen möchte. Und im weiteren Sinne gehört natürlich auch der Freundeskreis dazu. Ehrlichkeit ist mir auch noch wichtig. Und Charakter.
Sie haben mal gesagt, dass Sie exzentrische Menschen sexy finden. Welcher Aspekt Ihres eigenen Charakters ist wohl der exzentrischste?
Oh, das kann ich selbst gar nicht beurteilen. Da müssten Sie Menschen fragen, die mich gut kennen. Ich bin überhaupt ziemlich schlecht darin, mich selbst zu beschreiben. Aber bei Licht betrachtet halte ich mich eigentlich gar nicht für exzentrisch. Sondern für ziemlich normal. Alles, was ich im Leben so mache, hat Hand und Fuß. Und ich bin ganz sicher jemand, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht.
Woher kommt diese Bodenständigkeit?
Meine Bodenständigkeit habe ich bestimmt meinen Eltern zu verdanken. Die haben mich zwar immer auch in meinen Träumen beflügelt, mir aber, wenn nötig, die Flausen aus dem Kopf getrieben.
Welche Flausen denn?
Na ja, ich wollte schon mit 16, 17 Jahren unbedingt Schauspielerin werden. Da schoben meine Eltern erst einmal einen Riegel davor.
Sie bestanden darauf, dass ich vorher studieren sollte. Um etwas Handfestes vorweisen zu können. Ich habe dann auch ein Anglistik- und Literaturstudium an der Universität Cambridge absolviert. Allerdings habe ich die Zeit auch noch dazu genutzt, eine experimentelle Theatergruppe mit zu gründen. Das war dann auch, wie sich herausstellte, meine Eintrittskarte in die Theaterwelt von London.
Wie sind sie eigentlich bisher durch die Pandemie gekommen?
Das war für uns alle ein großer Stress. Und für viele war es ja sogar lebensbedrohend. Aber meine Familie und ich hatten das Glück, dass wir uns wirklich sehr zurückziehen konnten. Wir waren also relativ sicher. Und das einzig Gute an dieser Situation war, dass ich eben mehr Zeit gemeinsam mit meinem Mann und meinen Kindern verbringen konnte. Aber ich bin sehr froh, dass das Leben jetzt endlich wieder richtig losgeht.
Beenden Sie doch bitte zum Schluss noch folgenden Satz: „Mein Leben ist …"
… sehr langweilig. Aber meine Einbildungskraft ist fabelhaft!