Die Sturzfluten Mitte Juli werfen Fragen auf. Die Diskussion darüber, wer künftig solche Schäden zahlen und wie die Bevölkerung besser gewarnt werden soll, ist in vollem Gange.
In der Vorstandsetage der Munich Re, einem der weltgrößten Versicherer für Naturkatastrophen, muss man genau eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe zwischen Rhein und Mosel kurzzeitig erstaunt gewesen sein: Gerade hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz in Berlin verkündet, das jetzt erst mal der Bund mit 200 Millionen Euro Soforthilfe für die Schäden aufkommt. „Das ist aber nur der Anfang, am Ende werden es mehre Milliarden sein, allein für den Wiederaufbau", der auch mit Bundeshilfe gestemmt werden müsse, so Scholz.
Auf Nachfrage, ob denn der Staat den Flutopfern damit praktisch auch komplett den Neubau ihrer zerstörten Häuser finanziere, überlegte Deutschland oberster Kassenwart einen Augenblick und bejahte dies dann. Damit wären Versicherer bei der Schadensregulierung in dieser außergewöhnlich heftigen Hochwasserkatastrophe fein heraus. Denn der Staat sprünge mit Geld für die Betroffenen ein, ob versichert oder nicht.
Die gute Laune verging den Versicherern wieder
Doch die gute Laune verging den Versicherern sicher schon wenige Stunden später: Es hatte sich eine Debatte darüber entsponnen, ob es dadurch zukünftig überhaupt noch einer Elementarschadensversicherung für Gebäude bedarf. Wenn der Staat bei Großschadenslagen zukünftig sowieso voll einspringt – warum sollen die Hausbesitzer überhaupt noch eine möglicherweise kostspielige Versicherung abschließen? Damit würde den Versicherern auch ein Geschäft entgehen, immerhin verfügen in Deutschland gut 45 Prozent der Hausbesitzer über so einen Versicherungsschutz. Umgekehrt schlussfolgerte unter anderem der saarländische Verbraucherschutzminister Reinhold Jost, es könne ja nicht sein, dass der Staat und damit auch die Länder zukünftig für solche Risiken uneingeschränkt einstehen müssen.
Darum sollen Hausbesitzer zukünftig dazu verpflichtet werden, eine Elementarschadenversicherung abzuschließen, so Jost. Doch auf diese naheliegende Idee ist man nach den letzten schweren Hochwassern 1997 an der Oder, 2002 an der Elbe und 2013 an der Donau auch immer wieder gekommen – und am Widerstand der Versicherer gescheitert.
Rein ökonomisch wäre dies selbstverständlich im Interesse des Staates und im Sinne der Steuerbürger, die ja unterm Strich das Geld für die Soforthilfen und den milliardenschweren Wiederaufbau aufbringen müssen.
Allerdings müssten dann die Versicherer auch Hochrisikoimmobilien in möglichen Überflutungsgebieten, im Versicherungsjargon Zone 4 genannt, versichern. Und dies wird, Stand heute, teuer für die Versicherten. Grundlehre in der Versicherungsbranche: Höhere Risiken führen zu höheren Versicherungsprämien, die dann auf alle Versicherungsnehmer umgelegt werden. Auch darum lehnt die Branche eine Pflichtversicherung gegen Extremwetterereignisse kategorisch ab, denn dadurch werde es für alle teurer. Erstes Argument gegen eine Versicherungspflicht ist im Interesse der Versicherungswirtschaft zunächst die Signalwirkung.
„Eine solche Pflicht nähme Hausbesitzern den Anreiz, gegen Flut- und andere Extremwetterrisiken baulich vorzusorgen", so der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands Versicherungswirtschaft, Jörg Asmussen. Eine Pflicht zu einer Elementarschadenversicherung würde außerdem dazu führen, dass entweder die Prämien für die Versicherungsnehmer unbezahlbar hoch oder aber die Risiken für die Versicherer nicht mehr zu kalkulieren sind. „Eine Pflichtversicherung kann am Ende nicht die Kosten der fehlenden Klimafolgenanpassung schultern", bringt es Manager Jörg Asmussen auf den Punkt.
Genau jene Anpassung ist auch der Ansatz, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz für die Zukunft sieht. „Klimagerechtes Bauen" beziehungsweise nun Umbauen der hochwassergefährdeten Regionen. Als Beispiel dafür stehen Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Gerade diese drei Bundesländer haben in den letzten 20 Jahren Hunderte Millionen in den Hochwasserschutz an Elbe, Oder und Neiße gesteckt. Geht es nach SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, reicht es aber zukünftig nicht mehr, nur an die großen Ströme zu denken, sondern auch kleine Flüsse in Betracht zu ziehen. „Ich habe sehen müssen, welche Schäden ein Bach anrichten kann, wenn innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Liter Regen runterkommen", ist Scholz noch Tage nach seinem Aufenthalt in der Hochwasserregion erschüttert.
Die Frage nach einer verpflichtenden Elementarschadenversicherung ist das eine in der Folge solcher Naturkatastrophen. Ebenfalls nicht ganz unerheblich ist die Warnung vor solchen Extremwetterereignissen. Viele der Betroffenen wurden buchstäblich im Schlaf von den Fluten überrascht, eine kurzfristige digitale Warnung war nicht möglich, da Funkmasten ohne Strom ohnehin nicht mehr sendeten. Für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ein Super-GAU. Aber mit Ansage.
Künftig auch kleine Flüsse in Betracht ziehen
Im September 2020 wurde ein bundesweiter Warntag als Übung durchgespielt – mit einem verheerenden Ergebnis. Die Simulation sah keinen flächendeckenden Stromausfall vor, trotzdem funktionierten die Warn-Apps des Bundes wie „Nina" nur begrenzt, von einer Koordinierung der Hilfskräfte konnte keine Rede sein, ein bundesweites Lagezentrum fehlte und fehlt bis heute. Schlussfolgerung der Länder und des Bundes nach diesem Katastrophenalarm-Desaster: Der angesetzte Warntag 2021 wurde um ein Jahr auf September 2022 verschoben.
Ein Gutes hatte diese erste Warnübung nach 30 Jahren aber trotzdem. Alle Beteiligten inklusive Bundesinnenminister Seehofer begriffen, ohne die alte, analoge, graue Sirenenschüssel zum Beispiel auf dem Dach der Feuerwache geht es nicht. „Nur im Zusammenspiel von Analog- und Digitaltechnik kann die Bevölkerung umfassend gewarnt werden", sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Gespräch mit FORUM (siehe auch Seite 12).
Teilweise warnen auch heute noch wenige verbliebene Sirenen auf Deutschlands Dächern. Doch vermag aktuell kaum noch jemand die unterschiedlichen Signaltöne, zu denen auch Katastrophenwarnungen gehören, zu deuten. So bedeutet ein einminütiges Dauersirenenheulen mit an- und abschwellendem Ton eine Katastrophenwarnung, dreimal zwölfsekündiges Heulen alarmiert üblicherweise die örtliche Feuerwehr. Vielerorts in der Eifel heulten in der Flutnacht auch die Sirenen. Doch wissen die Menschen auch, was bei einer solchen Warnung zu tun ist? Auch hier besteht also Nachholbedarf, um Anwohner dahingehend zu schulen.
Viele ältere Menschen mögen sich vielleicht noch erinnern: Wenn die Sirene aufheult, sofort Radio anschalten. Doch auch dort gab es in der Flutnacht keine Warnungen, die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme setzten ihr musikalisches Nachtprogramm beinahe ohne Unterbrechung fort, erst am Morgen nach der Sturzflut wurde das Programm geändert.
Nach dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 90er-Jahre wurde das zentral gesteuerte zivile Frühwarnsystem der alten Bundesrepublik aufgegeben. Beim Mauerfall gab es in ganz Deutschland 90.000 sogenannte Geräuschwarnanlagen, heute sind es „vermutlich" noch 15.000. Allein die Formulierung des BBK „vermutlich" beschreibt treffend den Zustand des selbigen. Niemand weiß tatsächlich, wie viele funktionierende Sirenen es überhaupt noch gibt: Zwar ist das Bundesamt für den Katastrophenschutz zuständig, aber die Unterhaltung der Anlagen und das Auslösen des Alarms ist auf der kommunalen Ebene angesiedelt. Für die Sirenen-Infrastruktur wurden vom Bund bereits im vergangenen Winter 90 Millionen Euro für die Kommunen zur Neuinstallation bereitgestellt. Bis zum erneuten flächendeckenden Ausbau des Sirenensystems aber wird noch eine Weile vergehen. Somit bleiben das Warnen und auch die verheerenden Schäden in den vergangenen Tagen vor allem eines: elementar.