Dass Menschen ihre Samtpfoten meist innig lieben ist kein Geheimnis. Ob diese Liebe aber auch auf Gegenseitigkeit beruht oder ob wir Menschen nur nützliche Helfer bei der Befriedigung ihrer Wünsche sind, galt lange Zeit als umstritten. Inzwischen wandelt sich die wissenschaftliche Einschätzung.
Es ist 6.30 Uhr morgens. Die alte Katzendame steht an der geschlossenen gläsernen Wohnzimmertür und fordert Einlass. Lautstark. Sie hat ihr Nachtquartier in der unteren Etage verlassen und verlangt nun die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Unverzüglich und gefälligst ohne jede Verzögerung. Ihre Forderung untermauert sie in einer Tonlage, die keinerlei Widerspruch duldet und sich mit jeder Sekunde Verzögerung mehr und mehr zu einem markerschütternden Katzenjammer steigert, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt und jeden im Umkreis von 20 Metern selbst aus dem tiefstmöglichen Schlaf reißt. Manch einer munkelt, damit ließen sich sogar Tote erwecken.
Gut, ein stückweit ist die Lautstärke der Tatsache geschuldet, dass die alte Dame nahezu taub ist. Aber ansonsten ist die Diva für ihre mehr als 19 Jahre erstaunlich rüstig und noch ordentlich in Schuss. Allerdings hält sie es noch immer für einen unglaublichen Affront, dass es ihr Personal gewagt hat, ihr Schlafquartier des nächtens in die untere Etage zu verlegen und ihr in dieser Zeit den Zugang zu Wohn- und angrenzendem Schlafzimmer zu verweigern. Schließlich sei es ihr naturgegebenes Recht, zu jeder Tages- und Nachtzeit Einlass in jedes Zimmer zu haben – und vor allem jeden Wunsch erfüllt zu bekommen. Wenn sie um 4.30 Uhr das Verlangen nach einer Mahlzeit hat, hat das Personal dies gefälligst auch umzusetzen. Was schert es sie, dass Letzteres um diese Zeit schlafen möchte.
Eine Katze hat keinen Besitzer
Es soll tatsächlich Menschen geben, die glauben, sie nehmen eine Katze bei sich auf und geben dem Tier ein Zuhause. Stolz erzählen sie dann im Freundeskreis, sie könnten endlich mitreden, denn sie seien nun auch Katzenbesitzer – stattdessen ernten sie dann meist nur mitleidige Blicke. Wer sich an dieser Stelle wiedererkennt: Die wichtigste – nein, die EINZIGE – Regel lautet: Eine Katze hat keinen Besitzer! Niemals. Never ever. Die Katze sucht sich ihren menschlichen Mitbewohner aus, nicht umgekehrt. Gefällt es ihr irgendwo nicht, geht sie – ohne sich noch einmal umzudrehen.
Häufig ist zu lesen, Katzen seien Einzelgänger. Das ist grundlegend falsch. Katzen brauchen sehr wohl soziale Kontakte, sie brauchen die Begegnung mit anderen Artgenossen. Der Tierschutzbund etwa schreibt: „In der Biologie werden Tiere dann als Einzelgänger bezeichnet, wenn sie den näheren freundlichen Kontakt mit Artgenossen ausschließlich in der Fortpflanzungszeit suchen. Außerhalb der Fortpflanzungszeit gehen Einzelgänger einander aus dem Weg." Viele Katzen hingegen pflegen aber auch außerhalb der Fortpflanzungszeit einen freundschaftlichen Umgang mit den Artgenossen ihres Haushalts oder mit denen der näheren Umgebung. Sie kuscheln miteinander, lecken und säubern sich gegenseitig und spielen miteinander. „Das innerartliche Sozialverhalten ist viel komplexer als lange angenommen", betont der Tierschutzbund.
Vor allem gilt dies für Wohnungskatzen ohne Freigang. Werden Tiere alleine gehalten, verkümmern sie und leiden darunter – auch wenn man ihnen es auf den ersten Blick vielleicht gar nicht anmerkt und sie scheinbar zufrieden wirken. Ausnahmen sind meist ältere Tiere. Sie sind häufig alleine zufriedener, denn andere Artgenossen bedeuten für sie Stress. Sie sollten dann tatsächlich lieber alleine gehalten werden. Studien zeigen aber, dass jüngere Tiere hingegen unter der Einsamkeit oft still leiden. Eine Katze, die nur Kontakte zu Menschen hat, nicht aber zu Artgenossen, zieht sich meist mehr und mehr zurück und schläft fast nur noch. Auch Unsauberkeit, das Zerkratzen von Tapeten und Möbeln oder im schlimmsten Fall gar aggressives Verhalten Menschen gegenüber können starke Indizien dafür sein.
Dies gilt insbesondere dann, wenn Katzenbabys zu früh aus dem Wurf genommen werden. Der häufigste Fehler ist, Jungtiere vor der zwölften Woche von der Mutter zu trennen, denn bis dahin haben sie meist die wichtigsten Regeln noch nicht gelernt. Ihre Sozialisation ist schlicht noch nicht abgeschlossen. Im spielerischen Umgang mit anderen Katzen – beim Raufen, Balgen, Spielen und Kuscheln – lernen die Kleinen in dieser Phase die wichtigsten Verhaltensweisen, um gestärkt und nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gesund durchs Leben zu kommen.
Individualisten, keine Einzelgänger
Katzen sind also keineswegs Einzelgänger, wie oftmals behauptet wird. Aber sie sind fraglos Individualisten – ein kleiner, aber sehr feiner Unterschied. Und sie sind Opportunisten. Sie suchen sich Gesellschaft, wenn ihnen danach ist. Ansonsten haben sie ihren eigenen Kopf, eine ausgeprägte Persönlichkeit. Wer versucht, eine Katze erziehen zu wollen, ist kläglich zum Scheitern verurteilt. Im Gegensatz zu Hunden lassen sich Katzen nicht erziehen. Sie werden den gleichen „Fehler" – zumindest aus Sicht ihres menschlichen Mitbewohners – immer und immer wieder machen. Weil sie es so wollen. Aus Überzeugung, aus Protest oder warum auch immer. Kommt ihr menschliches Gegenüber nicht damit klar, ziehen sie nicht selten weiter und suchen sich jemanden, der dies respektiert. Durchaus auch nach Jahren einer vermeintlich engen Beziehung.
Umgekehrt gelingt Katzen die Erziehung ihres oder ihrer Menschen erstaunlich gut. Womit wir wieder beim Beispiel unserer Diva wären. Nachdem ihr die volle Aufmerksamkeit ihres Personals sicher ist, fordert sie sich ihr Frühstück ein. Den ersten Ansatz leichter Gereiztheit ihrer Untergebenen ob ihres Geschreis weiß sie erfolgreich abzufangen. Da sie leider nicht in der Lage ist, die Futterdose selbst zu öffnen, setzt sie zielsicher berechnend ihre stärksten Waffen ein und startet eine Charme-Offensive. Schnurrend und schmusend streicht sie ihrem Dosenöffner auf zwei Beinen um selbige – und schon sind alle Wogen geglättet. Bis sie den Inhalt des Futternapfs inspiziert, pikiert die Nase rümpft und ihrem Untergebenen einen vielsagenden Blick zuwirft, der übersetzt so viel bedeuten soll wie: „Nicht Dein Ernst! Das gleiche Futter, das ich vorgestern bereits hatte?" Sofort ändert sich ihre Körperhaltung – und ihr Ton. Obwohl die Wohnzimmertür weit genug offen steht, um problemlos hindurchzugehen, fordert sie ihren vom Dosenöffner zum Pagen mutierten Zweibeiner lautstark auf, ihr die Tür gefälligst weiter zu öffnen. Und da dieser nicht will, dass Madame mit ihrem Geschrei den Rest der Familie aufweckt, kommt er ihrem Ansinnen pflichtgemäß nach.
Der Versuch, sich danach wieder seinen eigentlichen Aufgaben zu widmen, während die ältere Dame ihre Frühgymnastik verrichtet – einige Runden um den Esszimmertisch, um die vom langen Liegen eingerosteten Knochen zu mobilisieren – wird durch erneutes lautes Geschrei jäh unterbrochen. Ganz nach dem Motto: „Du bist noch nicht entlassen."
Nach weiteren drei Runden um den Tisch lässt sie sich auf dem Sofa nieder und möchte nun massiert werden. Schließlich zwicken nicht nur die alten Knochen. Zwei Versuche, dies vorzeitig zu unterbrechen, werden mit einem vielsagenden Blick in Richtung Schlafzimmer lautstark kommentiert. Erst wenn auch diese Tätigkeit zu ihrer vollen Zufriedenheit erledigt ist, hebt sie wohlwollend eine Pfote und legt sie auf die Hand des Masseurs – um noch in der gleichen Sekunde beschwingt vom Sofa zu springen, schnurstracks zum Futternapf zu laufen und sich genüsslich darüber herzumachen.
Sie bauen eine ähnliche Bindung auf wie Kinder
Wir Menschen sind für Hauskatzen also je nach Bedarf Dosenöffner, Page, Bespaßer und Masseur. Zur Belohnung dafür, dass sie uns all das ermöglichen, dürfen wir auch regelmäßig ihr Katzenklo sauber machen und ihre Haare entfernen, die sie überall freimütig für uns hinterlassen. Werden wir also tatsächlich nur geschickt ausgenutzt, und ist unsere Liebe zu diesen Tieren tatsächlich eine sehr einseitige?
Nein. Eine Studie der US-amerikanischen Oregon State University in Corvallis macht Hoffnung, dass uns unsere Katzen ebenfalls mögen und uns sogar fest vertrauen. In der Fachzeitschrift „Current Biology" präsentierten die Forscher vor zwei Jahren die Ergebnisse eines Versuchs, der ähnlich wie andere klassische Studien zur Eltern-Kind-Bindung aufgebaut ist. Dabei wurde untersucht, ob Katzen eine ähnliche Bindung zu Menschen aufbauen wie dies Kinder tun. Tatsächlich stellten die Wissenschaftler in ihrem Versuch fest, dass fast zwei Drittel der Tiere eine feste und gesicherte Verbindung zu ihren Menschen hatten. In einer Situation, in der sie zuvor alleine waren und durch die sie sich gestresst fühlten, wurden 64,3 Prozent der Tiere nach der Rückkehr ihrer Bezugsperson sofort merklich ruhiger und entspannter. Das Verblüffende dabei: Die Ergebnisse haben große Ähnlichkeiten mit den Ergebnissen, die bei ähnlichen Tests mit Kindern erzielt wurden. Auch dort zeigten 65 Prozent der Kinder vergleichbare Reaktionen und eine ebenso enge Bindung zu ihren Müttern.
Wir sind also keineswegs nur Versorger der stolzen und eigensinnigen Samtpfoten. Auch wenn diese gerne die Kontrolle über uns haben: Sie mögen uns genauso wie wir sie. Dies gilt auch für die selbstbewusste 19-jährige Diva. Vor fast zwei Dekaden als extrem scheues Tier, dass sich mehr als ein Jahr fast nicht anfassen ließ, aus dem Tierheim in unserem Haushalt angekommen, hat sie längst das größtmögliche Vertrauen zu allen Familienmitgliedern. Sie sucht regelmäßig aktiv die Nähe, ist heute extrem verschmust und genießt selbst alle ungefragten Kuschelattacken unsererseits laut schnurrend. In all den Jahren hat sie kein einziges Mal ihre Krallen gegen irgendein Mitglied ihrer Familie erhoben oder gar eingesetzt. Einen größeren Liebesbeweis ihrerseits kann es wohl kaum geben.