Bundeskanzlerin Merkel ist nach 16 Jahren im Schlussspurt ihrer politischen Karriere. Dieser geht genauso unprätentiös über die Bühne wie ihre gesamte Kanzlerschaft. Doch die Kanzlerin hat offenbar noch einiges vor.
Mit der Technik ist es manchmal wie verhext. Wenn es drauf ankommt, funktioniert sie nicht, wie sie soll. In der vermutlich letzten Sommerpressekonferenz der Kanzlerin spinnt die Mikrofonanlage, ein Saalmikro geht nicht mehr aus, damit sind alle anderen an den Sitzplätzen der Fragenden blockiert. Die Moderatorin vorne kämpf mit der Anlage, ein Haustechniker der Bundespressekonferenz hockt, halb versteckt, neben ihr. Beide sind vertieft in das Macken und Mucken des verklemmten Mikros. Rechts daneben beantwortet Angela Merkel gerade die durchaus berechtigte Frage, ob sie gerne eine Krisenkanzlerin gewesen ist, oder aber vor allem als eine solche wahrgenommen werden möchte? Beides träfe zu, das ist nun mal die Herausforderung des Lebens als Politiker. Ihre Antwort wird in diesen Minuten, durch ihr persönliches Handeln unterstrichen. Die Bundeskanzlerin beobachtet während ihrer Antwort aus dem linken Augenwinkel das Mühen der Moderatorin, sie ist immer noch schwer beschäftigt mit der kaputten Saalanlage. Pragmatisch entschließt sich die Kanzlerin, ihrer eigentlich fertigen Antwort noch was anzuhängen, um Zeit zu schinden. Schließlich wähnt sich die Moderatorin auf einem guten Weg und übernimmt wieder, doch im Saal geht weiterhin nur das eine und kein anderes Mikrofon. Ratlosigkeit und Merkel spontan: „Na dann müssen die Kolleginnen und Kollegen von diesem einen Mikrofon aus fragen." Typisch Merkel. Klar, effizient, kurze Wege. Sie ist offenbar die geborene Krisenkanzlerin, auch bei kleinerem Malheur. Genau eine Woche vorher bestätigten dies auch wieder Bilder aus dem Eifeldörfchen Schuld nach der Hochwasserkatastrophe. Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in dem restlos zerstörten Ort. Dabei stützt Merkel die an Multiple Sklerose erkrankte Dreyer mit der linken Hand, während diese sich auf der anderen Seite bei ihrem Personenschützer unterhakt. Ursprünglich sollte anstelle der Kanzlerin ebenfalls ein Personenschützer Dreyer stützen, was Merkel aber ablehnt. Schließlich wollen sich die beiden Frauen auch vernünftig miteinander unterhalten. Es entstanden Bilder, die man sich als PR-Berater so nicht ausdenken kann. Würde Angela Merkel noch mal als Kanzlerin antreten, mit diesem Besuch in Schuld in der Eifel bei ihrer politischen Konkurrenz, hätte sie ihre fünfte Legislatur als Regierungschefin in der Tasche gehabt. Aber darum ging es der Pragmatikerin nicht. Sie tritt nicht mehr an und spielt offenbar genau aus diesem Grund parteiübergreifend so unbedarft auf. Was übrigens in der CDU-Wahlkampfleitung in Berlin für Irritationen sorgte, immerhin war Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet zur gleichen Zeit, keine 100 Kilometer entfernt ebenfalls im Katastrophengebiet auf der anderen Seite im Sauerland unterwegs. Doch seine Parteifreundin aus dem Kanzleramt fuhr lieber erst mal ins Nachbarland.
Die Bundeskanzlerin will sich in ihren letzten Amtstagen, wie angekündigt, weitgehend aus dem Wahlkampf raushalten. Nur wenige Auftritte mit Laschet sind für die heiße Wahlkampfphase im September geplant. Dass Laschet und Merkel in diesem Leben wohl nicht mehr „ziemlich beste Freunde werden", war dann bei Merkels Rettungsbesuch in der Flutregion Bad Münstereifel auf der NRW-Seite geradezu körperlich zu spüren. Wobei der Rettungsbesuch, wie es schien, dem Aspiranten auf ihre Nachfolge im Kanzleramt galt. Laschet hatte sich zuvor beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Erftstadt einen medial wie auch menschlich unverzeihlichen Schnitzer erlaubt. Während das deutsche Oberhaupt vor Menschen spricht, die in der Flut alles verloren haben, feixt der NRW-Ministerpräsident mit zwei Mitgliedern aus seiner Düsseldorfer Regierungs-Entourage im Hintergrund. Die öffentliche Wirkung war für Laschet fatal. Nun muss auf Drängen der CDU-Wahlkampfleitung ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchen, mit ihrer Anwesenheit die Reputation des Unions-Kanzlerkandidaten wieder von der abschüssigen auf eine halbwegs gerade Bahn zu lenken. In diesem Augenblick konnte Merkel nicht anders, sie musste nach Münstereifel, doch die Distanz, die sie hielt, war nicht zu übersehen.
Pragmatisch und immer bereit für politische Spitzen
Angela Merkel ist auch auf den letzten Metern ihrer Regierungskunst nicht bereit, bei kapitalen Fehler ihrer Parteifreunde, schon gar nicht für überfliegende Ministerpräsidenten, auch noch ihre schützende Hand drüber zu halten. Erinnerungen werden wach an die Wintertage im Januar und Februar 2012. Damals geriet Bundespräsident Christian Wulff (CDU) wegen eines privaten Hauskredits in Erklärungsnot. Er hatte als Ministerpräsident den Niedersächsischen Landtag angelogen und sich dann obendrein auch noch mit einem „restlos idiotischen" Anruf, so Wulf im Nachgang gegenüber dem FORUM, mit dem Springerkonzern angelegt. Es wäre damals für Merkel ein leichtes gewesen, bei Konzernchefin Friede Springer anzurufen um die Wogen wieder zu glätten, doch genau das geschah nicht. Bundespräsident Christian Wulff musste nach nur 598 Tagen sein Amt verlassen.
Dabei ist Merkel, wie aus ihrem direkten Umfelds zu hören ist, nicht nachtragend, sondern sie vergisst nur nichts. Wulf hatte ihr gerade in ihren ersten Jahren als Kanzlerin immer wieder als niedersächsischer Ministerpräsident politische Wackersteine per Bundesrat in den Weg gelegt. Ähnlich agierte in den letzten 18 Monaten auch Armin Laschet bei den Corona-Maßnahmen. Letztes diesbezügliches Kabinettsstückchen: Merkel schlägt Mitte März dieses Jahres die Corona-Osterruhe vor und unter anderen torpediert Armin Laschet als Anführer der Ministerpräsidentenriege diesen Mega-Lockdown-Vorschlag über die höchsten christlichen Feiertage.
Merkel vergisst nichts, und das zieht sie dann auch konsequent durch. Bei der vermutlich letzten Sommerpressekonferenz ihrer Amtszeit geht sie mit keiner Silbe auf den Kanzlerkandidat Armin Laschet ein, da können die Anwesenden gezielt fragen, wie sie wollen. Er existiert faktisch nicht in ihrer derzeitigen politischen Welt, auch wenn der Kanzlerkandidat aus Aachen gerade erst letzte Woche im von der Flut zerstörten Bad Münstereifel neben ihr stehen durfte. Spannend wird das Verhältnis der beiden nach der Bundestagswahl. Sollten sich die Umfragen bestätigen und die Union mit irgendwas um die 30 Prozent über die Zielmarke gehen und die Grünen mit um die 20 Prozent folgen. Die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen werden wohl mindestens zehn, vermutlich eher 14 Wochen dauern.
In dieser Zeit ist Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Funktion endlich frei von aller Zurückhaltung, sie muss keine parteipolitische Rücksicht mehr nehmen und kann so noch einmal Pflöcke einschlagen, etwa beim Klima-Thema. Darum geht es ihr selbsterklärter Maßen. Sie will sich sicherlich als Krisen-, vor allem aber als Klimakanzlerin in den Geschichtsbüchern eingetragen wissen. Eine letzte Empfehlung ihrerseits dazu könnten die deutsche gesetzlich verankerte Klimaneutralität bereits ab 2040 und nicht erst fünf Jahre später sein. Auch den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor könnte man um fünf Jahre vorziehen. Mit solchen letzten Umwelt-Initiativen würde Merkel ihren möglichen zukünftigen Nachfolger Armin Laschet mitten in den anstehenden Koalitionsverhandlungen mächtig zusetzen. Zuzutrauen ist es ihr. Es ist schon bemerkenswert, wenn eine CDU-Bundeskanzlerin bei einem ihrer letzten großen Auftritte vor der Bundestagswahl, zweimal den Namen der jungen Klimaaktivistin Louisa Neubauer (Bündnis90/Die Grünen) erwähnt, den Namen des Unionskanzlerkandidaten und ihres möglich Nachfolgers aus den eigenen Reihen dagegen beharrlich unterschlägt.