„Lola rennt"-Star Franka Potente gibt ihr Debüt als Regisseurin. Ihr berührender Spielfilm „Home" stellt die Frage, ob und wann wir die Sünden anderer Menschen vergeben sollten.
Marvin ist 40 Jahre alt, und wäre sein Leben frei von Schuld verlaufen, würde er nun verheiratet sein, Kinder und wahrscheinlich einen vernünftigen Job haben. Weil Marvin aber als junger Mann in seiner kleinen Heimatstadt eine Frau getötet hat, saß er 17 Jahre im Gefängnis. Nun ist er wieder frei, er hat seine Zeit abgesessen. Aber dem Gesetz nach eine Tat verbüßt zu haben ist die eine Sache. Die andere Sache ist, ob die Angehörigen des Opfers ihm als Täter vergeben haben. Und wie kann der Täter sein Leben wieder ins Lot bringen? Dies zu beantworten versucht das amerikanische Drama „Home".
Die Geschichte beginnt, als Marvin in seinem Heimatort Clovis ankommt. Der 40-Jährige fährt wie ein Teenager auf einem Skateboard und trägt wieder denselben Trainingsanzug wie vor 20 Jahren – beides Zeichen für seinen Wunsch, wieder zu Hause zu sein, um ein neues Leben dort anzufangen, wo sein altes aufhörte. Im Elternhaus angekommen, erfährt er, dass seine Mutter Bernadette an Krebs erkrankt ist. Er beschließt, sich um sie zu kümmern. Aber so einfach geht es nicht. Die Menschen in der Stadt haben Marvins Gräueltat noch nicht vergessen. Vor allem die Familie des Opfers macht ihm schnell klar, dass in Clovis kein Platz mehr für ihn ist. Die einzige Ausnahme ist die Enkelin der getöteten Frau, die 22-jährige Delta.
Marvin (gespielt von dem in Deutschland recht unbekannten Jake McLaughlin) ist ein undurchsichtiger Charakter. Dass er nach seinem Gefängnisaufenthalt zurück in den Ort des Verbrechens kommt, hat anfangs keinen ersichtlichen Grund. Dass er wenig willkommen ist, muss ihm klar sein. Und auch zu seiner Mutter (die wie immer großartige Kathy Bates) hat er ein gebrochenes Verhältnis. Für Marvin wäre es einfacher gewesen, anderswo eine neue Existenz aufzubauen. Er jedoch sucht die direkte Konfrontation, erträgt den Hass und sogar die Prügel ohne Wehr. Warum?
Ein Film, der ohne laute Dramatik auskommt
Für ihr Debüt als Regisseurin hat Franka Potente aus ihrem Erfahrungsschatz gegriffen – immerhin stand sie als Schauspielerin seit „Lola rennt" (1998) in einigen Dutzend internationalen Film- und Fernsehproduktionen vor den Kameras, zudem hat sie 2006 einen Kurzfilm produziert und einige Bücher geschrieben. Potente siedelt „Home" in einer amerikanischen Kleinstadt an – einer jener zahlreichen Orte, die abseits aller Großstädte liegen und in denen traditionell der religiöse Glaube über allem thront.
So steht in dem sonst recht trostlosen Ortszentrum von Clovis die weiß getünchte Kirche, an der Marvin bei seiner Ankunft achtlos vorbeigeht, als ahne er schon, dass die Menschen in dem Gotteshaus zwar beten, außerhalb des Gebäudes aber voller Starrsinn und Hass sind. „Ich wollte die Geschichte von jemandem erzählen, der nach Hause zurückzukehrt – trotz des schweren Fehlers, den er begangen hat", sagt Franka Potente. Sie wolle zeigen, wie sich ein Mensch seiner Schuld stellt und zudem die Personen um ihn herum mit der gemeinsamen Vergangenheit konfrontiert, sagt sie.
Ein schwieriges Thema, das Franka Potente (die auch das Drehbuch geschrieben hat) gut darstellt, weil sie die Geschichte zurückhaltend erzählt. Potente beobachtet durch ihre Kamera das Geschehen aus einer respektvollen Distanz, weil sie weiß, dass Marvins Anwesenheit in Clovis auch ohne laute Dramatik zu einem erlösenden Ende führt.
Denn indem Marvin lange Zeit stoisch alle Erniedrigungen und sogar Prügel erträgt, nimmt er seinen Widersachern in kleinen Schritten ihren Zorn. Und auch Sohn und Mutter nähern sich vorsichtig einander an. Dass die Szenen zwischen den beiden so wahrhaftig und berührend sind, kommt durch einen Einfall von Kathy Bates. Statt bereits vor dem Dreh haben sie und Jake McLaughlin sich erst vor der Kamera getroffen und sich auf diese Weise genauso erst kennengelernt wie ihre Filmfiguren.
„Home" stellt die Frage, wann es Zeit ist, anderen Menschen zu vergeben. Wie lange kann sich Zorn in einer Seele festbeißen? Marvin jedenfalls will mit seiner Tat abschließen und fleht zum Schluss um Vergebung. Für seinen Frieden braucht er die Gnade der Bewohner in Clovis, und es bleibt bis zum Ende offen, ob die Menschen bereit sind, ihm zu verzeihen.