Vor einem halben Jahr warf Ex-Coach Lukas Kwasniok den damaligen U19-Kapitän Luca Kerber ins kalte Wasser. Vor dem ersten Heimspiel der neuen Saison ist der Saarländer Stammkraft beim 1. FC Saarbrücken. Er selbst nimmt sich dabei gar nicht so wichtig.
Selbst seine Mitspieler loben die guten Manieren des 19-Jährigen. Wer mit Luca Kerber einen Termin ausmacht, kann sich ein Bild davon machen. Trainer Uwe Koschinat trainiert an diesem heißen Sommertag ein wenig länger. „Entschuldigung, dass Du warten musst. Ich geh noch schnell duschen", sagt Kerber und steht exakt sechs Minuten später auf der Matte. Es ist ein halbes Jahr her, da fragte sich die Saarbrücker Fan-Szene „Luca wer?" als der damalige Trainer Lukas Kwasniok aus der Personalnot eine Tugend machte und den damaligen U19-Kapitän aus dem Hut zauberte. 21 Drittliga-Spiele hat er seitdem absolviert, hinzu kam ein Lehrgang mit der Junioren-Nationalmannschaft. Vor Saisonbeginn stand das Eigengewächs in jeder Wunsch-Formation. Beim Ligauftakt in Havelse war er der beste FCS-Akteur. Nun steht das erste Heimspiel der neuen Saison an. „Wenn man als Saarländer einen Profivertrag beim FCS angeboten bekommt, muss man ihn unterschreiben", sagte der 19-Jährige vor einigen Monaten. Jetzt spielt er erstmals vor mehreren tausend Zuschauern im heimischen Ludwigspark gegen den VfL Osnabrück. „Ich habe bisher maximal vor 300 oder 400 Leuten gespielt. Beim Testspiel in Freiburg waren es dann 3.000. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Aber ich glaube kaum, dass sich mein Spiel davon beeinflussen lässt. Wenn, dann pusht es mich höchstens noch ein bisschen."
Als Kerber vor einigen Jahren in die Jugend des FCS wechselte, maß er gerade einmal 1,68 Meter und wog 62 Kilo. „Zu klein, zu leicht", lautete damals das Urteil einiger Trainer. Mittlerweile hat Kerber die optimale Statur für einen zentralen Mittelfeldspieler. 1,82 Meter ist er groß und wiegt 80 Kilo. „In der Kabine ist er der höflichste Mensch der Welt. Auf dem Platz kann er einem richtig wehtun", lobt Mitspieler Mario Müller. Aus dem schlaksigen Talent ist ein Muskelpaket geworden. „Ich war während der Ferien jeden Tag im Fitness-Studio. Ich glaube, man sieht es ein bisschen", sagt Kerber lachend.
Während der Pause jeden Tag im Fitness-Studio
Nicht nur sein Körper hat sich verändert, sondern auch seine Situation. Viele sehen in ihm den Nachfolger von Kapitän Manuel Zeitz. Doch die Konkurrenz ist groß. Mit Dave Gnaase kam ein gestandener Drittligaspieler, Alexander Groiß hat sogar schon Zweitliga-Erfahrung. „Ich werde Luca immer fördern", sagt der neue Trainer Uwe Koschinat, „dazu gehört auch, dass ich sehen muss, dass er die größtmögliche Konkurrenz bekommt. Luca hat die Ambitionen, um einmal mindestens Zweite Liga zu spielen. Also muss er sich durchsetzen. Aber im Vorjahr hat er Fanol Perdedaj verdrängt, den viele Fans sehr verehrt haben." Heißt frei übersetzt: Publikumsliebling Perdedaj, der bei Ligakonkurrent Würzburg unterkam, musste auch gehen, weil Kerber so einschlug. „Wenn der Verein das so sieht, ist es eine große Ehre für mich. Aber letztlich muss man sich als Fußballer immer durchsetzen. Egal, wie die Namen sind", sagt Kerber.
Dazu gehört auch eine fußballerische Entwicklung. U19-Nationaltrainer Christian Wörns hat Luca Kerber als einzigen Drittliga-Spieler zu einem Lehrgang im Mai berufen. „Er bringt sehr viel mit, ist aber ein Stück weit darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Er muss lernen, mehr für die Spieleröffnung zu tun. Aber man darf nicht vergessen, dass er eigentlich noch A-Jugendspieler ist", sagte Wörns am Rande des Ligaspiels des FCS beim FC Ingolstadt am 8. Mai.
„Das hat mir Herr Wörns beim Lehrgang auch so gesagt. Und ich versuche, es in jedem Training durchzusetzen. Unser Trainer sagt aber auch, dass ich mich nicht zu sehr unter Druck setzen und viele kleine Schritte gehen soll", sagt Kerber, für den mit dem Heimspiel gegen Osnabrück eine neue Zeitrechnung beginnt. Endlich wieder Fußball im heimischen Stadion vor Zuschauern. Auch wenn das abrupte Ende der Jugend durchaus schmerzhaft war. „Für mich war es sicherlich eine glückliche Fügung, dass die Junioren-Bundesliga unterbrochen wurde. Aber am Ende ist die Mannschaft auseinandergefallen, und da waren Jungs dabei, mit denen ich Jahre zusammengespielt habe. Das ist schon bitter, aber das gehört zum Fußball dazu."
„Ich habe Glück, meinen Beruf in der Heimat auszuüben"
Sein Wirtschaftsingenieur-Studium hat er ein wenig zurückgestellt, zu Hause bei den Eltern im Dillingen wohnt er immer noch. „Im Endeffekt ist Fußballprofi ein Beruf wie jeder andere auch. Nur dass viele von der Familie und den Freunden wegmüssen. Ich habe das Glück, ihn in der Heimat ausüben zu können. Da kann ich ruhig noch ein oder zwei Jahre bei den Eltern wohnen bleiben", sagt er grinsend. Genauso ruhig und nüchtern wie er seine Situation einschätzt, beurteilt er auch die Lage beim FCS: „Ein guter Saisonstart ist immer wichtig. Es kommt eben darauf an, dass wir die Fans mitnehmen. Aber die Liga ist extrem ausgeglichen. Man hat in der vergangenen Saison gesehen, dass Mannschaften, die unten drin waren, plötzlich eine Serie gestartet haben. Umgekehrt sind auch Mannschaften nach einem guten Start durchgereicht worden."
Langfristig, daraus macht er keinen Hehl, soll sein Weg aber in die Zweite Liga führen. Am liebsten natürlich mit seinem Heimatverein. Im vergangenen Winter unterschrieb er seinen ersten Profivertrag bis zum Sommer 2023. Vor wenigen Wochen verlängerte er vorzeitig um ein weiteres Jahr. „Ich bin jemand, der gerne langfristig plant. Der Verein hat große Ziele, ich habe sie auch. Also passt das", sagt Kerber, der auch Rückschläge einkalkuliert. „Bisher lief es für mich optimal. Aber es kann auch mal sein, dass ich auf der Bank sitze. Das ist dann nicht der Fehler des Trainers, sondern meiner. Dann muss ich im Training eben noch mehr Gas geben", sagt er ruhig und bescheiden. Ganz wie es seine Art ist.