Durch die Pandemie haben viele Outdoor-Sportarten an Beliebtheit gewonnen. So auch das Klettern und Bouldern am Felsen. FORUM-Autorin Celine Koch begab sich gemeinsam mit der Saarpfalz-Touristik auf eine Erkundungstour im Biosphärenreservat Bliesgau in Kirkel.
Die morgendlichen Sonnenstrahlen scheinen durch das leise raschelnde Blätterdach und werfen ein zartes, gelb-grünes Licht in den ruhigen Wald. Die Truppe versammelt sich am Parkplatz des Kirkeler Naturfreundehauses und macht sich gemeinsam auf den Weg zu den Kletterfelsen im Herzen des Waldes. Von Jung bis Alt, von Klein bis Groß, von Anfänger bis Fortgeschrittener ist alles dabei. Auf dem kurzen Fußweg zu den Felsen lernen sich die Kletterführer Sergej und Bärbel und die neugierigen Klettereinsteiger kennen. An einem Holzbalken mit der Aufschrift „Kletterfelsenpfad" bleibt Sergej stehen und fragt: „Na, ist euch auf dem Weg hierher etwas aufgefallen?" Einige Dinge tatsächlich: die Wegweiser aus Holz, ein ausgeschilderter Notfallsammelpunkt, ein vorbeifahrendes Auto. Doch worauf Sergej hinauswill, ist eine ganz bestimmte Sache: „Am Anfang unseres Weges hing ein Schild auf dem ‚Naturschutzgebiet‘ steht. Und es ist mir wichtig, dass ihr euch darüber im Klaren seid, dass ihr euch hier in einem befindet." Er erklärt, dass sich alle Kletterfelsen im Saarland und auch einige in Rheinland-Pfalz in Naturschutzgebieten befinden und deren Erhaltung direkt vom Verhalten der Menschen abhängt. „Viele Felsen sind durch ihre Mineralien Teil des natürlichen Kreislaufs der Erde. Damit wir sie erhalten können, müssen wir uns in den Naturschutzgebieten an entsprechende Regeln halten. Wir dürfen uns hier zwar wie zu Hause fühlen, sollten es aber vielleicht eher so betrachten, als wären wir irgendwo zu Besuch. Das heißt: Wir sind nicht zu laut, lassen keinen Müll liegen und schauen, dass wir wieder weg sind bevor es dunkel wird, damit die Tiere dem nachgehen können, was sie nachts eben so tun", erklärt der Kletterführer.
Statt Magnesium Waldboden für Hände
Nach wenigen Schritten durch das hölzerne Tor erheben sich in einigen Metern Entfernung schon die imposanten, rot-braunen Sandsteinfelsen. Von hier aus wirken sie gar nicht so bedrohlich. Diese Felsen zu erklimmen, sollte ein Klacks werden. An der Kletterstelle angekommen, können Gurte, Seile und Rucksäcke an einer kleinen Holzbank, umgeben von sitzgerechten Felsen, abgelegt werden. Nach einer kurzen Stärkung wird zum Einstieg an einer niedrigen Stelle an einem der Felsen gebouldert. Das bedeutet, es wird auf Absprunghöhe ohne Sicherung am Felsen geklettert, um ein Gespür für den Einsatz von Händen und Füßen zu gewinnen. An dieser Stelle wird auch direkt klar, wie wichtig Teamarbeit in dieser Sportart ist. Auch beim Bouldern muss jeder Kletterer von einer weiteren Person „gespottet" werden. Diese Person positioniert ihre Hände mit gestreckten, nicht gespreizten Fingern auf Höhe der Schulterblätter der kletternden Person, um sie im Notfall stützen zu können, falls sie nach hinten fällt.
Sergej macht mit gezielten Griffen vor, wie man sich am Felsen bewegt. Er weist darauf hin, dass auf das von Kletterern häufig genutzte Magnesium im Naturschutzgebiet verzichtet werden sollte. „Magnesium ist nicht gut. Es greift den Felsen an. Man kann etwas Sand vom Waldboden zwischen den Händen zerreiben. Das ist genauso gut und wesentlich günstiger." In Zweierteams versucht sich die Truppe am ersten Felsen. Schnell ist klar: Es sieht wesentlich einfacher aus, als es ist. Der Griff an die Felswand fühlt sich rau und sandig an. Die Handfläche wirkt plötzlich weich und verletzlich. Der Sand, der an den Sohlen der Turnschuhe klebt, erschwert den Halt an dem ebenfalls sandigen Felsen. Die Angst abzurutschen ist groß. Mit dem Gesicht nur wenige Zentimeter von der Felswand entfernt und dem plötzlich seltsam schwer wirkenden Körper hat man das Gefühl, man könne sich kaum halten. Auch wenn der weiche, sandige Boden weniger als einen Meter entfernt ist, löst der Gedanke, mit dem Kopf auf dem Boden aufzuschlagen leichte Panik aus. Doch zum Glück ist da immer die Person, die einen sichert. Nach mehreren Anläufen, erst zaghaft dann etwas mutiger, siegt die Neugierde über die Angst.
Doch auch die Kraft lässt schon spürbar nach. Mit den Händen an der Felswand entlang tastend, nach den richtigen Griffstellen suchend, entwickelt sich ein völlig neues Gespür für den sandigen Stein. Der Fels gibt sich auf eine Art zu erkennen, wie man ihn aus der Entfernung niemals sehen würde. An einer Stelle ist er sandig und warm, an einer anderen wiederum feucht und kalt. An manchen Punkten leuchten Flecken aus kräftig grünem Moos. Eine Maus huscht aus einer Felsspalte. Käfer und Ameisen krabbeln über die Einkerbungen im Stein. Zarte Spinnweben schmiegen sich über Löcher in der Felswand und glitzern von Zeit zu Zeit durch die Sonne.
Nachdem ein Gespür für das Bouldern gewonnen werden konnte, ist es Zeit für die schweren Geschütze. In einer kurzen Einweisung zeigen Sergej und Bärbel, wie man die Klettergurte korrekt anlegt und welche Knoten für das Klettern am Felsen wichtig sind. Der „Achterknoten" und der „Halbmastknoten" bilden die Basics. Zu jedem Knoten hat Sergej eine lustige Geschichte parat, die es einfach macht, sich die Vorgehensweise zu merken. Auch hier gilt Teamarbeit. Am Felsen wird erst nach dem Partner-Check gestartet. Jeder muss sich darauf verlassen, dass die Knoten gegenseitig sorgfältig überprüft wurden. Zusammen geht es zum nächsten Felsen. Dieser ist eine ganz andere Nummer. Der Sandstein ragt massiv und bedrohlich in die Höhe. Am Fuße stehend, fühlt man sich klein und zerbrechlich. Nachdem die Knoten gemacht und überprüft wurden, werden die Kommandos noch einmal wiederholt: Ruft man „Zu!", bedeutet das, man möchte kurz verweilen, um sich neu zu orientieren oder abgelassen werden. Die sichernde Person muss darauf achten, dass sie das Sicherungsseil stets gespannt hält. Beim Kommando „Zu!" greift sie die Seite mit dem überschüssigen Seil mit beiden Händen. Anschließend spricht sie das Kommando „Ist zu!". Dann kann die kletternde Person entscheiden, ob sie sich neu orientieren oder abgelassen werden möchte. Falls Letzteres der Fall ist, gibt die sichernde Person nach und nach etwas Seil zu, sodass die kletternde Person langsam und kontrolliert nach unten gleiten kann. Wichtig ist, dass die sichernde Person nie die Hände über Kreuz hält und beide Hände immer fest um das Seil geschlossen sind.
„Nie nach unten sehen, immer nach oben"
Dank der Sicherung ist die Angst, plötzlich abzurutschen und zu fallen geringer. Doch beim Klettern mit Sicherungsseil spielt die Höhe eine ganz neue Rolle. Was von unten leicht und flink aussieht, ist am Felsen schwierig und kräftezehrend. Vom Regen der vergangenen Tage sind die Felsspalten moosig und klitschig. Noch dazu tummeln sich in den dunklen Ecken zahlreiche Krabbeltierchen. Die Frage, wer am Ende mehr Angst vor wem hat, bleibt unbeantwortet. An der Felswand hängend bekommt alles eine neue Dimension. Der Boden wirkt weiter weg. Arme und Bein sind kürzer. Die Felsspalten, die man vom sicheren Waldboden aus noch als perfekte Tritt- und Griffstellen analysiert hat, scheinen trotz unmittelbarer Nähe in unerreichbarer Ferne zu liegen. Die Muskeln sind angespannt, Ober-, Unterarme und Finger tun weh. Auch den ein oder anderen Fingernagel hat es an der rauen Felswand schon gekostet. Der Blick nach unten ist der größte Fehler. Das Herz beginnt wild zu klopfen, der Atem geht schnell und flach. „Nie nach unten sehen, immer nur nach oben", lautet das ständige Mantra. Von der ruhigen Atmosphäre des umliegenden Waldes fühlt man sich abgetrennt. An der Felswand herrscht eine völlig andere Stimmung. Noch ein Griff, noch ein Schritt und wieder ein kleines Stück an Höhe gewonnen. Doch irgendwann ist die Grenze erreicht und die Angst, womöglich auch die Vernunft, siegt über den Mut. „Zu!" lautet das Kommando, „Ist zu!" die Antwort. Und nach ein paar Sekunden spürt man wieder den sicheren Waldboden unter den Füßen.
Die Verabschiedung von den königlichen Gesteinen erfolgt mit müden Armen, ein paar Schürfwunden und tiefen Eindrücken. Der Wald und seine Bewohner halten einige Lehren für den Menschen bereit. Eine davon wurde durch das Klettererlebnis deutlich: Die Schönheit der Natur umgibt uns überall, doch häufig realisieren wir erst, welchen Respekt sie verdient, wenn wir uns mit ihr auf Augenhöhe begeben.